Rucksacktouristen in Südostasien:Heerscharen von Individualisten

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Egal, wo man hinreist - die Backpacker sind schon da. Doch sie sehnen sich nicht mehr nach einsamen Welten. Inzwischen reisen Rucksacktraveller in Gruppen, mit Reiseleiter, Laptop und I Pod.

Verena Krebs

Irgend etwas stimmte nicht mit meinen Mitreisenden. Sicher, sie waren nett und gebildet, schmutzten nicht und trugen außerdem manchmal meinen Rucksack. Aber sie hatten alle irgendwie ein Problem. Das wurde mir bewusst, als ich nachts in Phnom Penh aufwachte und Chrystal schweißbedeckt und schwer atmend in ihrem Bett sitzen sah.

Chrystal war eine 33-jährige Apothekerin aus North Carolina. Sie trug ein neckisches Negligé und zuerst dachte ich, sie hätte einen erotischen Traum gehabt. Chrystal schrie ins Telefon, um drei Uhr morgens, und wieder einmal wunderte ich mich, dass es in Guesthouses in Kambodscha Telefon und den amerikanischen PayTV-Sender HBO gab.

Die Klimaanlage war jedoch aus, und Chrystal hatte es gern so kalt, als würde sie in einer Tiefkühltruhe gleich neben der Pizza schlafen. Also forderte sie eine sofortige Reparatur, und ich konnte mir gut vorstellen, wie der Nachtportier, ein junger, magerer Mann, der in der Hotellobby auf dem Fußboden schlief, über sie im Speziellen und Touristen im Allgemeinen lachte. Ich dagegen versteckte die Fernbedienung der Air Condition unter meinem Kissen - ich wollte nämlich Urlaub in Kambodscha machen, nicht im Wal-Mart.

Südostasien ist das klassische Rucksacktouristen-Ziel. Hippies, Drogen und gebratene Taranteln - so war es mal. Der erste Lonely Planet-Reiseführer beschäftigte sich in den Siebzigern mit eben dieser Region, und von da an ging alles abwärts. Heute gibt es überall Klimaanlagen, Seidenschals und Water Buffalo Burger.

Bier aus Krügen und Süßes zum Frühstück

Auf der Toilette einer Kneipe in der Khaosan Road bewirbt ein Plakat einen Strand: "NOT listed in Lonely Planet". Die thailändische Polizei wartet am Ende der Straße mit Autos, so groß wie Reisebusse, um all die Touristen abzuholen, die auf die Straße pinkeln, sich prügeln oder den König beleidigen. Diese tranken Bier aus Krügen, die wie Raketen geformt waren und am Nachbartisch schenkten sich drei schwule Hamburger gegenseitig Rosen. "Tuk Tuk, Lady? Ping Pong-Show? Pussy-Show?" flüsterte mir ein Taxifahrer mit schlechtem Atem ins Ohr, und auf einmal fühlte ich mich wie in einem Roman von Joseph Conrad. Nur: Das Herz der Finsternis, das sind immer wir.

Früher waren die Backpacker per Anhalter auf dem Hippie-Trail unterwegs: Istanbul, Iran, Afghanistan, Pakistan und von dort nach Goa. Heute folgt der moderne junge Traveller dem Banana Pancake-Trail, wie es der Kulturwissenschaftler John Hutnyk nennt: Die Hostals bieten den Touristen Süßes zum Frühstück, damit sie sich wie daheim fühlen.

Stefan Loose, der die andere legendäre Reisebuchreihe gegründet hat, saß mal wochenlang in Luang Prabang, der alten Königsstadt in Laos fest, weil im Umland gerade Krieg tobte. Heute gibt es dort einen großen Night Market, auf dem die Touristen Schmuck und putzige Kinderpantoffeln kaufen. Für den nötigen Nervenkitzel sorgen originale Bombenhüllen der US-Army, die in unserem Hotel als Aschenbecher dienen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Backpacker im Rudel reisen und sich trotzdem total individuell fühlen.

Die Backpacker von heute stranden nicht; sie sind ständig in Bewegung, zwei Tage pro Ort, und nach einem halben Jahr wieder daheim. Und sie haben längst erkannt, dass die Suche nach einsamen Welten eine Illusion ist.

Deswegen reisen sie gleich im Rudel. Ist ja auch viel einfacher, wenn die Reiseleiterin die Zugtickets kauft, die Bettler abhält und mit Trinkspielen die Sexualpartnerwahl erleichtert. Dennoch fühlt sich das alles total individuell an; schließlich verspricht der Reiseveranstalter großes Abenteuer für wenig Geld, und es dürfen nur junge Leute mitfahren.

Koffer streng verboten

"Der einzige Nachteil ist, dass wir alle die gleiche Idee haben", seufzt Leonardo DiCaprio im Film "The Beach". "Wir reisen Tausende von Meilen, nur um fernzusehen und irgendwo einzukehren, wo wir's genauso komfortabel haben wie zu Hause. Und Du fragst Dich: Was hat das alles für einen Sinn?"

Das frage ich mich auch, als ich zu meiner ersten Rucksackreise aufbreche - Koffer sind streng verboten, wohl des Images wegen. Interrail dagegen ist was für Nostalgiker, meine Mitreisenden umrunden die Welt: entweder in östlicher oder westlicher Richtung und mit bis zu 20 Flugsegmenten, streng nach Vorschrift ihres Around-the-world-Tickets.

Es reisten fast nur Frauen in unserer Gruppe. Der einzige Mann war Andy, der seine Heimatstadt Manchester herzlich liebte, von Beruf Gebrauchsanweisungsschreiber; aber er hatte diesen Job gekündigt, um in Malaysia Seeschildkröteneier zu bewachen. Andy reiste mit I Pod, Chrystal hatte ihr I Phone dabei, einen Memory Card Reader und eine englische Ausgabe von Hermann Hesses "Siddhartha", aus der sie penetrant zitierte.

Nachts saß sie meist zwischen verdutzten Einheimischen in der Hotel-Lobby und lud stundenlang tausende, völlig belanglose Fotos von vietnamesischen Ziegelfabriken, Geflügelgerichten mit Erdnussgeschmack oder ihren betrunkenen Mitreisenden in ihren Flickr-Account hoch. Sie schrieb Dinge in ihrem Reiseblog, die schon hundert Mal geschrieben wurden, wie etwa von Ute auf unsere-weltreise.net: "back to the roots. die einfachheit hat uns wieder. staub in den strassen, uralte autos, jeder versucht, seine leistung an den mann zu bringen, ist aber gleichzeitig sehr hilfsbereit und offenherzig." Ansonsten sprach Chrystal nicht viel. Aber sie hatte ein Foto von ihrem Bruder dabei, der sich letztes Weihnachten in den Kopf geschossen hatte.

Vietnam zum Aufwärmen

Die erste Station unserer Reise war Vietnam. Einheimische gehen gern ins Bia Hoi: Dort sitzt man mitten im Verkehr auf winzigen Plastikstühlen und trinkt billiges Bier. Der Traveller bevorzugt dagegen die asienweit verbreitete "Why not-Bar".

In der Küstenstadt Nha Trang, die aussieht wie Neuperlach by the Sea, tranken wir Pina Colada, kritzelten "I was here, 08" mit Edding an die Wand und grölten "I don't like Reggae". Wir waren unter uns, aber fraternisierten leutselig mit dem vietnamesischen Personal - der Kontakt mit den Einheimischen ist schließlich das Salz in der Suppe.

Laura, die englische Soziologiestudentin, zog ihr T-Shirt, auf dem "I survived the Inca Trail" stand, aus und ging im BH schwimmen. Tagsüber traf Chrystal zufällig zwei Norwegerinnen am Strand, die sie aus Australien kannte; nachts nahm sie sich einen sehr dicken Schweden mit aufs Zimmer.

Er war Grundschullehrer, sah aber wie ein Kinderschänder aus und gab alarmierende Würgegeräusche von sich. Bevor er sich nackig machen konnte, warf ich ihn hinaus. Auf dem Heimweg wurde er von einer Gruppe Mädchen auf Mopeds überfallen; mir gefällt diese vietnamesische Variante von Girls' Power. Aber Vietnam war nur zum Warmlaufen. Laos, das angeblich so unberührte Nachbarland, war das eigentliche Sehnsuchtsziel.

Lesen Sie weiter, warum Traveller heute am Lagerfeuer keine Joints mehr rauchen und statt dessen lieber Pina Colada trinken.

Mary Kingsley, die große Forschungsreisende des späten 19. Jahrhunderts, warnte: "Man hat nicht das Recht, in Afrika in Sachen herumzulaufen, für die man sich zu Hause schämen würde." Deshalb trug sie stets einen viktorianischen Wollrock und ein Mieder.

Suse, unsere lebensfrohe Reiseleiterin, tat alles, um uns dieses Prinzip näher zu bringen. Kurz vor der laotischen Grenze trug sie uns aus einer Broschüre für den verantwortungsvollen Touristen vor: Schultern, Knie und alles dazwischen seien zu bedecken, um die zwar sehr freundlichen, aber rückständigen Laoten nicht zu erschrecken.

Kaum in Vang Vieng, dem Ferienparadies für den Alternativreisenden, angekommen, warfen wir uns in unsere Bikinis und ließen uns in alten Lkw-Reifen einen kleinen Bergfluss hinuntertreiben. Die kleine Tourismusindustrie zehrt vom Mythos Goldenes Dreieck.

An den Bars, die ein paar in den Fels gezimmerte Holzbretter waren, hingen Schilder: "Spider Bar", "Beer Lao and more", "Sex, Drugs, Rock Roll. DJ Handsome". Über den Fluss dröhnte "Cheri Cheri Lady" von Modern Talking. Die Besitzer schrieen sich die Kehle wund, Bier für einen Dollar, Spaß gratis, und sie fischten die Touristen mit langen Bambusstöcken aus dem Wasser.

Es war ein bisschen wie in der Wildwasserbahn auf dem Oktoberfest. Wir tranken Bier und aßen Chips, ein Stockwerk über uns saßen die mürrischen Barbesitzer auf bunten Decken und rauchten Zigaretten mit undefinierbarem Wirkstoff. Sie waren die letzten wahren Hippies. Aber auf einem Regal stand ihr Besitz: ein gegen die Feuchtigkeit eingeschweißtes Mischpult und ein Computer. Egal wo man hinreist - YouTube und Facebook sind schon da.

"Ist das Kinderarbeit?"

Als wir uns wieder zu Wasser ließen, schoben uns kleine Mädchen an und fuhren auf unseren Reifen mit. "Ist das Kinderarbeit?", fragte meine Schwester entsetzt, als sie später die Fotos mit den Travellern und den Mädchen sah. "Nein", sagte ich entrüstet, "so was hätten wir nie zugelassen. Die machen das freiwillig".

Die Mädchen und ich haben uns vorgestellt und angelächelt und ich dachte: Da ist er endlich, der ungezwungene Kontakt mit den Einheimischen! Die Mädchen aber fragten schüchtern nach unseren Wasserflaschen und Geld.

Abends waren wir dann in der Smile Bar am Fluss auf der Suche nach Sex, Drugs, Rock'n'Roll. Dort gab es Lagerfeuer und Elektro-Musik bis Mitternacht. Dann war Sperrstunde. Und tatsächlich legte uns der Barmann mit dem Augenbrauen-Piercing das "Special Menu" neben unsere Eimer mit billigem Whiskey-Cola. Ein Joint für 14 000 laotische Kip, einen Opium-Joint für 50 000 und ein Gramm Opium für 112 000. Hier war es wohl endlich, das Abenteuer.

Aber alle taten so, als hätten sie nichts gesehen, denn unser Reiseveranstalter verfolgt eine strikte Anti-Drogen-Politik und wer nicht gehorcht, fliegt raus. Also tranken wir alle noch eine Pina Colada, träumten von Bewusstseinserweiterung und gingen dann ins Bett.

Bruce Chatwin beschreibt in "Traumpfade" das Reisen so: "Ich segelte auf einer Feluke (...) den Nil hinunter. Ich ging zu den Äthiopiern, was ein Euphemismus für Bordell war. (...) In einer Klinik, die nicht genügend Personal hatte, übernahm ich die Rolle des Anästhesisten. Als nächstes schloss ich mich einem Geologen an, der in den Bergen am roten Meer nach Mineralien suchte."

Heute reist man so wie in "The Beach" beschrieben: "Nach 18 Stunden im hinteren Teil des Flugzeugs, drei dämlichen Filmen, zwei Plastik-Mahlzeiten, sechs Bier und ohne Schlaf bin ich endlich gelandet." Nur wo? Das spielt keine Rolle. Es ist sowieso überall gleich und alle Reisen sind schon von anderen gemacht. Mögen die Rucksackreisenden einem Mythos hinterher rennen, der wahre Individualist von heute bleibt daheim.

© SZ vom 05.06.2008/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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