Reykjavík:Versammlungsort der Nacht

Am Hafen in Reykjavík

Fehlen tut ihnen fast nichts. In Reykjavík verstehen sich die Menschen als Weltbürger.

(Foto: Monika Maier-Albang)

In Reykjavík ziehen die Menschen ruhelos durch die Bars der Stadt. An einem Fixpunkt der Nacht treffen sie sich: dem Hot-Dog-Stand am Hafen.

Von Monika Maier-Albang

Mit einem jedenfalls kann man die Popularität dieser Hot Dogs nicht erklären: mit dem Geschmack. Die Würste schmecken, nun ja, wie Brühwürste halt so schmecken. Ein bisschen knackig außen, innen weich. Und die Semmeln sind schön labbrig, wenn sie aus dem Dampfbad kommen, kurz bevor sie die Verbindung mit Wurst, Ketchup, Remoulade, Senf und gerösteten oder rohen Zwiebeln eingehen. Da mag Baldur Ingi Halldorsson, Geschäftsführer von Bæjarins Beztu Pylsur - "der Stadt besten Würste" - noch so betonen, dass die Qualität eine besondere ist und alles hier extrem frisch. Kann ja auch gar nicht anders sein, denn die Hot Dogs sind weg, kaum dass die Zutaten wieder aufgefüllt sind. Und das um vier Uhr morgens.

Der Hot-Dog-Stand am Hafen von Reykjavík ist ein Mythos der Stadt. Und der Versammlungsort der Nacht. Weil er so zentral liegt. Weil ein Hot Dog für 380 Kronen, etwa 2,40 Euro, auch nach einer heftigen Nacht im teuren Reykjavík noch erschwinglich ist. Weil die Verkäufer einen kennen - und die Hungrigen einander auch. Und weil es den Stand schon länger gibt als die 1944 gegründete Republik Island: seit 1937 nämlich. Halldorssons Urgroßvater hatte damals einen Würstchenwagen an den Hafen gestellt. War wohl sein Sehnsuchtsort; er war Fischer, aber so krank, dass er nicht mehr zur See fahren konnte. Und dann gibt es noch die Geschichte mit Bill und María, wegen der die Touristen kommen.

María Einarsdóttir, heute 74, hatte 2004 Bill Clinton auf einen Hot Dog eingeladen. Er ging am Hafen entlang, María rief ihn zu sich und fragte, wie er den Hot Dog haben wolle. Er wollte auf die Wurst nur Senf. Seitdem verlangen die Touristen "einen Clinton". Wobei die Light- auch die Tagesvariante ist. In der Nacht sind vor allem Isländer unterwegs, und die essen in der Regel "ein með öllu", eine mit allem. Nur wenn es schon dämmert und die Gäste torkeln, verzichten sie auf die Zwiebeln. "Die meisten können den Geruch dann nicht mehr ertragen", sagt Kristmundur Jonsson, der in dieser Nacht die Hot Dogs zubereitet. Ach was, deren Zubereitung er zelebriert: mit dem Löffel den Ketchup aufstreichen, den Hot Dog ins weiße Papier legen, dabei ein bisschen flirten. Dazu gibt's nur Cola, keinen Schnickschnack wie Kaugummis oder Schokoriegel. Schlicht und stilvoll.

Heimelig ist das Ambiente rund um den Stand trotzdem nur bedingt. Hinter dem Wagen steht der Müllcontainer, davor versperrt eine Bretterwand den Blick auf die Harpa, das rundumverglaste Kongresszentrum, das aussieht, als würde es gleich in den Atlantik stürzen. Kristmundur Jonsson hat seine Schicht am Nachmittag begonnen, und gerne würde man ihn jetzt, da es bald dämmert, fragen, wie er das aushält: zwölf, 14, 16 Stunden volle Konzentration. Aber Kristmundur kann sich nicht unterhalten, es gibt keine Lücken in der Schlange. Hin und wieder steht jemand am Ausgabefenster und hat Mühe, seine Kreditkarte aus dem Geldbeutel zu fingern.

Hot-Dog-Stand in Reykjavík

Wenn die Nacht voranschreitet, wird aus der Schlange vor dem Hot-Dog-Stand, der sich selbst als den besten der Stadt lobt, ein Pulk.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Ein Isländer mag noch so viel getrunken haben, ausfallend wird er selten. Laut vielleicht. Und liebesbedürftig. Aber nicht aggressiv. Hat ja einen Grund, warum Reykjavík als eine der sichersten Städte der Welt gilt. Als der frühere Chef der Zentralbank, Davíð Oddsson, sich während der Krise von bewaffneten Bodyguards begleiten ließ, weil es Morddrohungen gegen ihn gab, war die Bevölkerung verstört. Islands Polizisten tragen für gewöhnlich nur Schlagstöcke.

Wurst für Männer im Anzug und Mädchen mit Blumenkranz

Und so stehen die Hungrigen dann also mitten in der Nacht vor dem Wagen, auf den die rote, lachende, laufende Wurst gemalt ist: Männer im Anzug, Jungs mit Nasenpiercing. Ein Mädchen hat sich Feenstaub auf die Wangen gelegt, ein anderes einen Blumenkranz aus Plastik auf den Kopf. Die Frauen kommen hochhackig und meistern elegant das Kopfsteinpflaster. Touristen, die in Bergschuhen und Outdoor-Hosen losziehen, nur weil die Aprilnächte mit sieben Grad plus noch etwas frisch sind, wirkten da ein wenig plump.

Kristmundur Jonsson am Hot-Dog-Stand in Reykjavík

Auch wenn es vor dem Hot-Dog-Stand voll wird, Gerangel gibt es nie. Kristmundur Jonsson arbeitet im Akkord.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Die isländischen Männer indes sehen so aus, als seien sie gerade der hier überall plakatierten 66°North-Klamottenwerbung entstiegen: Viele tragen Hipster-Bart, und der darf schon ein bisschen länger sein als in New York gerade angesagt. Man ist ja im hohen Norden und gezwungen, bei Wind und Wetter zum Rauchen vor die Kneipe zu gehen. In Island gibt es das Rauchverbot in Lokalen seit 2007. Nur im Winter ist die Stadtverwaltung gnädig; da dürfen die Betreiber beheizbare Zelte vor den Kneipen aufbauen.

Die Insel ist zu überschaubar. Und zu kalt. Und trotzdem zieht es fast alle wieder zurück

Allerdings hält es die Bewohner Reykjavíks ohnehin nicht lange in einem Restaurant. Sie ziehen umher. Aber erst einmal kommen sie spät: Gegen halb zwei füllen sich die Straßen des 101er-Bezirks, des Zentrums. Vorher wird zu Hause gefeiert und vorgetrunken - Alkohol ist teuer im Land. Cocktails kosten gerne mal 15 Euro, 0,4 Liter Bier sechs Euro aufwärts. Die Alkoholsteuer beträgt etwa für den Liter Wein drei Euro. Trotzdem scheint die halbe Stadt in Bewegung zu sein, sobald die Nacht dann endlich beginnt.

Die Menschen stromern durch die Puppenstuben-Innenstadt mit den bunten Holzhäusern, in denen Designläden und Friseursalons um die kreativste Inneneinrichtung wetteifern: Rad an der Wand, mit Kuhfell bezogene Sitze. Man passiert am Eingang zu den Klubs freundlich lächelnde Türsteher. Eintritt wird nirgendwo verlangt, das macht das Wandern von Bar zu Bar einfacher. Einen Kaffee Mokka noch - dann ist man wieder unterwegs, jeder scheint jeden zu kennen, was nicht nur Vorteile hat in einem Land mit 320 000 Einwohnern, von denen annähernd die Hälfte in der Hauptstadt lebt und wo eine lebenslange Beziehung Seltenheitswert besitzt.

Da kann es passieren, dass man in der Thorvaldsen Bar an der Austurstræti steht, die Tanzfläche ist voll, und man würde sie jetzt gerne nutzen. Aber da entdeckt der Begleiter zuerst den Mann seiner Ex-Frau. Dann die von ihm getrennt lebende Mutter seiner Tochter - Zeit, den Ort zu verlassen.

Weiter also ins Snaps, ein Restaurant in der Nähe der Kathedrale, in dem sich die Musiker der Stadt die Nächte vertreiben. Das Haus ist ein grauer Kasten, über dem Restaurant wohnen die Gäste des Hotels Óðinsvé. Im Lokal sind die Wände mit Zeitungen tapeziert, von der Decke hängen Retro-Glühbirnen, und man kann den Köchen dabei zusehen, wie sie den "catch of the day" zubereiten, das täglich wechselnde Fischgericht. Vor der Tür rauchen Tinna Tetusdóttir und Signy Kolbeinsdóttir, die eine arbeitet bei einer Telefongesellschaft, die andere betreibt den Designshop Tulipop in Reykjavík. Beide waren im Ausland, in Deutschland, in Italien, bevor es sie mit Anfang 30 auf die Insel zurückzog. Eine Vita, die typisch ist für die junge Stadtbevölkerung. "Du musst hier erst mal weg von diesem Platz inmitten des Nichts", sagt Tinna. "Aber dann musst du zurück. Obwohl das hier zu überschaubar ist, und zu kalt."

Bar Snaps in Reykjavík

Vor Wände aus Zeitungen arbeiten die Angestellten im Snaps.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Kartenzahlung nach der Krise

Aber fehlt ihr nichts? Kaum etwas, sagt Tinna. Mal eben nach Österreich zum Skifahren, das war schon schön. Aber jetzt: "Wir holen die Welt einfach zu uns." Die Touristen, all die Pizza- und Asia- und Burgerläden, die in ihrem Schlepptau aufgemacht haben, all die internationalen Festivals. In Reykjavík verstehen sich die Menschen als Weltbürger. Und genießen es zugleich, auf ihrer Insel enge Familien- und Freundschaftsbande leben zu können. Für immer wegzubleiben - "undenkbar", sagt auch Jakob Frímann Magnússon, der mit seinen Gaudiburschen, der Band Stuðmenn, viel außer Landes ist. "Aber jedes Mal, wenn ich zurückkomme, fühle ich, wie mein Energielevel steigt. Die junge Erde, das Wasser, die Luft." Auch so etwas, das sie lieben: ihre Insel zu verklären. Aber ein Künstler darf das auch tun.

Vom Snaps aus kann man weiterziehen an den Hafen, um sich im Slippbarinn, der Werftbar, einen "topless burger" und einen nach Zimt und Thymian schmeckenden Winter-Sour-Cocktail zu bestellen. Dem Brennivín, dem Schwarzen Tod, ist dieser in jedem Fall vorzuziehen. Der mit Kümmel gewürzte Kartoffelschnaps wird nur noch von ganz harten Inselbewohnern zum fermentierten Hai getrunken. Auf so etwas sind die Isländer, die im vergangenen Jahr circa 700 000 ausländische Gäste beherbergt haben, längst nicht mehr angewiesen; als Touristenschreck macht sich der Brennivín aber noch immer gut.

Restaurant Slippbarinn Reykjavík

Essen mit Blick auf den Hafen gibt es im Slippbarinn.

(Foto: Monika Maier-Albang)

Ausgegangen wird in Reykjavík am Wochenende, das spätestens am Donnerstagabend beginnt. Und die Wirtschaftskrise? Nun ja, zumindest sieht man keine Gestrandeten in der nächtlichen Stadt. Kristmundur Jonsson aber, der Hot-Dog-Mann, kennt die Arbeitslosen und die Geringverdiener, die sich in die Schlange reihen. Viele Polen und Litauer seien darunter. "Sie kommen hierher und trinken zu viel", sagt Kristmundur und reicht einen Hot Dog durchs Fenster, für den sein Gegenüber nichts zahlen muss. Und Baldur Halldorsson, sein Chef, erzählt später, dass man die Hot-Dog-Preise stabil gehalten habe, als während der Finanzkrise quasi über Nacht alles teurer wurde. Die Familie dürfte es verschmerzt haben, die Bæjarins-Beztu-Dynastie ist reich geworden mit der Wurst, die sich während der Krise sogar noch besser verkaufen ließ.

Lieber verzichteten die Bewohner Reykjavíks auf einen Cocktail. "Wir haben nur gemerkt, dass plötzlich fast niemand mit Karte bezahlt hat. Alle hatten Bargeld dabei", sagt Halldorsson. Auf den Banken wollte man das Geld nicht lassen.

Jetzt zahlt die Kundschaft wieder mit Karte, selbst wenn sie nur einen Hot Dog ordert. Wie hatte Magnússon im Snaps noch gesagt? "Sparsam sein liegt uns nicht. Was du hast, wird ausgegeben." Kristmundur Jonsson, der Hot-Dog-Verkäufer, scheint da aus der Art zu fallen. Er gehe nicht so gern aus, sagt er, als gerade mal keine Menschentraube vor dem Wagen steht und er das Zeitfenster damit füllt, die Arbeitsplatte trocken zu wischen. Was will er auch draußen in der kühlen Nacht? Die Stadt kommt ja zu ihm.

Informationen

Aufwärmprogramm: Als Vorbereitung auf die Nacht lohnt ein Besuch im Schwimmbad Laugardalslaug mit Hot Pots unter freiem Himmel, www.visitreykjavik.is/laugardalslaug. Wer es einsamer mag, kann im Atlantik baden. Am Stadtstrand bei Nauthólsvík wird die Bucht durch Geothermalwasser erhitzt, dazu gibt es einen Hot Pot, www.nautholsvik.is

Stofan Cafe: wie in Omas Wohnzimmer, mit Polstersesseln und Almöhi-Aquarell, Aðalstræti 7, Tel.: 00354/5671881.

Kaffibarinn: Viele Cafés der Stadt wechseln stetig Name und Besitzer, dieses bleibt unverwüstlich, www.kaffibarinn.is

Essen: Snaps, Musiker-Szene-Treff und frischer Fisch, Þórsgata 1, Tel.: 00354/511 6677, www.snaps.is Slippbarinn, engagierte Bedienungen, die gute Cocktails servieren, Mýrargata 2, www.slippbarinn.is

Club: The English Pup, an der Gitarre sitzt Alexander Aron Guðbjartsson, ein Muskelpaket, und spielt, was man ihm zuruft, Austerstraeti 12A, www.enskibarinn.is

Anreise: Icelandair bietet eine Kurzreise ganzjährig ab Frankfurt und München und im Sommer auch ab Hamburg, Zürich und Genf an, hin und zurück ab 349 Euro inklusive drei Hotelnächte, www.icelandair.com.

Nachtbegleiter: Ýmir Björgvin Arthúrsson, ymir@myreykjavik.is, führt durch Reykjavíks Nachtleben oder vermittelt Guides, drei Stunden ca. 250 Euro,www.magicaliceland.is.

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Diese Tipps für die Städtereise sind Teil der Serie "Nachtleben", die donnerstags im Reiseteil der Süddeutschen Zeitung erscheint.

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