Reisewarnungen:"Deutscher? Däne? Das erkennt ein Attentäter nicht"

Österreich evakuiert, Deutschland lässt weiter Badeurlaub machen: Warum Reisewarnungen so unterschiedlich sind.

Hans Gasser

Europa ist ein buntes Land, und genauso unterschiedlich wie seine Nationen sind auch deren Reisewarnungen. Zwar sind völlig gegensätzliche Einschätzungen der Zustände eher selten, doch je nach Interessenslage und Verbundenheit mit dem in die Krise geratenen Land sind die Reisehinweise der Außenministerien recht unterschiedlich.

Krisenstab im Auswaertigen Amt

Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes in Berlin beurteilen die Situationen in Krisengebieten. Dabei kommen sie manchmal zu anderen Ergebnissen als ihre Kollegen in den Nachbarländern.

(Foto: ddp)

Während der Umwälzungen in Ägypten kam es etwa vor, dass Österreich und die USA bereits ihre Bürger zurückholten, während Deutsche und Briten noch mit dem Plazet ihrer Regierungen am Strand des Roten Meers lagen oder den Nil auf einem Kreuzfahrtschiff hinunterschipperten.

Angesichts des atomaren GAUs in Japan gehen die Reisewarnungen zwar alle in dieselbe Richtung. Doch im Detail gibt es unterschiedliche Formulierungen: Während etwa Deutschland und Österreich eine Reisewarnung für den gesamten Nordosten des Landes aussprechen und ihren Bürgern empfehlen, den Großraum Tokio zu verlassen, rät das britische Außenministerium nur von "nicht notwendigen" Reisen nach Tokio und in den Nordosten des Landes ab.

Britische Staatsbürger sollten "in Erwägung ziehen", den Großraum Tokio zu verlassen. Wer das aber nicht wolle, solle sich Jodtabletten an den Ausgabestellen holen und bei erhöhter Strahlung nicht die Wohnung verlassen.

Selbst bei einem Worst-Case-Szenario wäre man nur im Umkreis von 80 Kilometern um das havarierte Atomkraftwerk akut gefährdet, schreibt das britische Außenministerium, deshalb rate man seinen Bürgern als Vorsichtsmaßnahme, diese Grenze einzuhalten - auch wenn zurzeit die von den japanischen Behörden eingerichtete 20-Kilometer-Zone ausreiche.

Man mag dies der allgemeinen britischen Unaufgeregtheit zuschreiben und ihrer Überzeugung von der Atomenergie, doch ist es für Bürger der EU nicht unbedingt hilfreich, wenn sie im Krisenfall im Ausland unterschiedliche Anweisungen bekommen.

So beschwert sich etwa Ralf Teckentrup, Vorstandsmitglied beim Reiseveranstalter Thomas Cook: "Wir haben keine deutschen Urlauber mehr nach Ägypten geflogen, während die Hotels voll mit Engländern blieben." Er verstehe nicht, "warum die Außenministerien der verschiedenen Länder zu so unterschiedlichen Einschätzungen der Sicherheitslage kommen".

Eindeutig mehrdeutig

Dass sich, wie jüngst im Fall Libyen, die EU-Außenminister einmal zu einer gemeinsamen Reisewarnung entscheiden, sei die Ausnahme, sagt Annegret Bendiek, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik zur EU-Außenpolitik forscht. "Die strategischen Interessen sind einfach zu unterschiedlich."

Die Reisewarnungen seien immer noch Hoheitsrecht der einzelnen Mitgliedsstaaten, bestimmt von einer Abwägung zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Überlegungen. So sei es auch zu erklären, dass die Deutschen keine Reisewarnung für das Rote Meer in Ägypten ausgesprochen haben, da die Evakuierung von 30.000 Urlaubern aus den Ferienorten am Roten Meer schwierig und teuer geworden wäre. "Es ist immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung", so Annegret Bendiek.

Dabei mache es manchmal durchaus Sinn, verschiedene Staatsbürger unterschiedlich zu behandeln. Nach den Mohammed-Karikaturen seien besonders Dänen gefährdet gewesen, im Maghreb müssten Franzosen stärker aufpassen, und Amerikaner seien in der arabischen Welt grundsätzlich weniger beliebt als Deutsche. "Dass aber ein Attentäter nicht unbedingt zwischen einem Deutschen und einem Dänen unterscheiden kann", sagt Bendiek, "ist auch klar."

Dennoch werden die Reisewarnungen der EU-Länder auf absehbare Zeit uneinheitlich bleiben. Denn die Auslandstraditionen sind überall anders. Die Briten seien etwa durch ihre lange Zeit als Kolonialmacht in vielen Ländern viel stärker involviert als die Deutschen, so Bendiek.

Und je mehr eigene Staatsbürger in einem bestimmten Land ansässig sind, desto detaillierter sind die Reisewarnungen. Während etwa das Auswärtige Amt im Fall Bahrain relativ allgemein von Reisen dorthin abrät, gibt das britische Außenministerium seinen Bürgern im Land ganz detaillierte Tipps zur Fahrt auf Haupt- und Nebenstraßen, zum besten Weg an den Flughafen und zum nächtlichen Ausgehverbot.

Und die Briten sind wohl auch die Einzigen, die einen Reisehinweis zu so unwirtlichen Gegenden wie dem Britischen Antarktis-Territorium im Repertoire haben: Dort gebe es keine diplomatische Vertretung, die Bedrohung durch Terrorismus sei gering, und zwischen März und Oktober sei die Antarktis ohnehin für alle Reisenden geschlossen.

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