Reiserecht:Arroganz statt Kulanz

Bei Verspätungen und Zwischenfällen gehen Fluglinien und Veranstalter lieber vor Gericht, als zu entschädigen.

Hans Gasser

Adrian K. hätte wohl nicht gedacht, dass seine Neckermann-Pauschalreise so beginnen würde. Mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern flog er Weihnachten 2007 nach Brasilien.

Reiserecht: Wer mehrere Stunden auf seinen Flug warten muss, schläft zur Not auch auf seinem Gepäckwagen.

Wer mehrere Stunden auf seinen Flug warten muss, schläft zur Not auch auf seinem Gepäckwagen.

(Foto: Foto: ddp)

Auf dem Transfer vom Flughafen zum Hotel wurde der Bus von einer brutalen Bande überfallen, die Gäste wurden bis auf die Unterwäsche entkleidet und ausgeraubt. Adrian K. entschied, den Urlaub trotzdem zu machen.

Am nächsten Tag gab man der Familie Geld und genau eine Stunde Zeit, um Kleidung und sonst Notwendiges zu kaufen.

Ein paar Tage später, man hatte noch mehr Bedarf an Kleidung, sagte der Neckermann-Vertreter, die K.s müssten selbst ein Taxi zum Einkaufszentrum nehmen und sich Geld aus Europa schicken lassen.

Nach dem Urlaub bot Neckermann außergerichtlich 500 Euro als Entschädigung, Adrian K. lehnte ab und klagte. Das Landgericht Frankfurt am Main (Az: 2-19 O 105/08) sprach ihm weder Entschädigung noch Reisepreisminderung zu, weil es den Überfall als "allgemeines Lebensrisiko" wertete, für das der Veranstalter nicht haften muss.

Solch krasse Fälle mögen die Ausnahme sein - doch unter den Millionen Reisen, die die Deutschen jährlich unternehmen, sind nicht wenige, bei denen manches schiefläuft.

Wie Reiseveranstalter und Fluggesellschaften darauf reagieren, kann man häufig nicht unbedingt als professionell und kulant, sondern eher als arrogant bezeichnen. Statt sich moralisch verpflichtet zu fühlen, berufen sich die meisten Reiseveranstalter schlicht auf Gesetze, wenn es Probleme gibt.

Gerade bei Flügen kommen sehr oft lange Verspätungen oder gar Annullierungen vor. Täglich verspäten sich allein innerhalb der Europäischen Union rund 6000 Flüge, ein Viertel des Gesamtaufkommens, rund 400 Flüge werden annulliert.

Lügen und Laviererei

In diesem Fall versuchen die meisten Fluglinien, die in einer EU-Verordnung festgelegten Entschädigungszahlungen durch Lavieren und manchmal auch durch Lügen zu umgehen. Behandlung und Information der Gäste lassen oft zu wünschen übrig.

Nur ein Fall von vielen: Im August dieses Jahres wollte eine Frau mit Lufthansa aus Texas nach Frankfurt zurückfliegen. Wegen eines technischen Problems ließ man die Passagiere vier Stunden lang im stehenden Flugzeug sitzen. Zu essen bekamen sie nur trockene Brezeln, Essen heißzumachen sei zu gefährlich im stehenden Flugzeug, hieß es.

Die Passagiere mussten aussteigen, und es dauerte nochmals vier Stunden, bis sie in ein Hotel gebracht wurden. Informationen gab es so gut wie keine, genauso wie am nächsten Tag, an dem sich der Flug wieder um zwölf Stunden verspätete. Schließlich nahm die Frau ihr Schicksal selbst in die Hand und flog mit British Airways nach Deutschland.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, wohin Sie sich mit Beschwerden wenden können.

Arroganz statt Kulanz

Auf ihre Beschwerde hin erhielt sie von Lufthansa einen lapidaren Entschuldigungsbrief. Man berief sich auf ein "unvorhersehbares technisches Problem" und damit auf außergewöhnliche Umstände, für die keine Entschädigung gezahlt werden müsse.

Für das Hinhalten der Gäste, die schlechte Information und die fehlende Verpflegung fühlte man sich zu keiner, nicht einmal zu einer kleinen symbolischen Entschädigung verpflichtet.

Erstattung ab fünf Stunden Verspätung

Seit 2004 gibt es die Fluggastverordnung der EU. Diese besagt zum Beispiel, dass man ab einer Wartezeit von fünf Stunden vom Flug zurücktreten und sich die Kosten erstatten lassen kann. Ob man dann aber Anspruch auf zusätzliche Entschädigungszahlungen hat, ist strittig, sagt der Reiserechtexperte Ernst Führich.

Die 250 bis 600 Euro gebe es nämlich nur, wenn der Flug annulliert wird. Das versuchen die Fluglinien zu vermeiden. So bürden sie den Passagieren sehr lange Verspätungen auf. Nun stehe beim Europäischen Gerichtshof ein Verfahren an, in welchem entschieden werde, ob eine lange Verspätung irgendwann automatisch in eine Annullierung umschlage, so Führich.

Generell sei es so, dass Fluglinien noch weniger kulant mit ihren Gästen umgingen als etwa Reiseveranstalter, von denen mittlerweile doch einige verstanden hätten, "dass es mehr kostet, einen neuen Kunden zu gewinnen, als einen alten zu behalten".

Wohin mit den Beschwerden?

Gemäß einer an der Fachhochschule Kempten durchgeführten Untersuchung informierten zwei Drittel aller Fluglinien bei erheblichen Problemen ihre Gäste nicht über die ihnen zustehenden Rechte, obwohl dies gesetzlich festgeschrieben ist.

Die meisten Reisenden wissen nicht, wohin sie sich mit Beschwerden wenden können. Das ist bei grenzüberschreitenden Flügen oft schwierig. Zunächst gilt: an die Fluglinie. Wer damit nicht weiterkommt, kann zum Luftfahrtbundesamt gehen, das als technische Behörde mit solchen Angelegenheiten allerdings heillos überfordert ist.

Für Flüge innerhalb der EU gibt es das Europäische Verbraucherzentrum (EVZ) in Kehl (www.evz.de). Dessen Leiterin Jutta Gurkmann versucht, Streitigkeiten außergerichtlich beizulegen.

Allerdings sei es sehr schwierig, Fluglinien zu Ausgleichszahlungen zu bewegen. Dann würden häufig außergewöhnliche Umstände angeführt, wie etwa Streik oder technische Probleme.

Eine Entscheidung steht noch aus

Ob technische Probleme, die häufig vorgeschoben würden, ein außergewöhnlicher Umstand sind, dazu müsse der Bundesgerichtshof oder der Europäische Gerichtshof noch urteilen, sagt Gurkmann. Von 127 Fluggast-Klagen konnte man 2007 immerhin 59 einvernehmlich lösen.

"Sehr schade" sei es aber, dass sich die meisten deutschen Fluglinien keiner Schlichtungsstelle angeschlossen hätten, die zwischen Kunden und Unternehmen vermittelt. Die Lufthansa etwa weigert sich, genau wie Air Berlin.

Viele Verbraucher kämen sich "regelrecht verschaukelt" vor, wenn sie stundenlang in einem Flugzeug warten müssten und kaum Unterstützung durch das Personal erhielten. Zu wenig Essen, Trinken, keine Möglichkeit zu telefonieren und meist zu wenig Information - das seien die immer wiederkehrenden Beschwerden, und das unabhängig von Ticketpreis und Fluglinie, so Gurkmann.

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