Reisen nach Deutschland:Ganz egal. Hauptsache Berlin!

Berlin-Hype beim Haustausch im Urlaub: Selbst der Millionär aus Acapulco verleiht seine Villa samt Pool, um in einer Wohnung am Prenzlauer Berg zu nächtigen.

Marlene Sørensen

Wie wäre es wohl gewesen, Frank Sinatra als Nachbar zu haben? Hätte man ihn beim Singen unter der Dusche gehört oder Einladungen zu Great- Gatsby-haften Cocktailpartys bekommen, an deren Ende alle Gäste bekleidet in den Pool hüpfen? Vielleicht wäre Frank Sinatra an einem tropisch-schwülen Sonntagnachmittag auch lieber in unseren Pool gehüpft. Der ist immerhin 20 Meter lang. Und danach hätte er den Meerblick genossen. Seine Villa hat nämlich weder einen so großen Pool noch Meerblick. Seine frühere Villa liegt hinter dem Grundstück unserer Villa.

Okay, noch ist es nicht unsere Villa. Aber wir dürften hier sofort einziehen. In diese Villa in Acapulco mit fünf Schlafzimmern, drei Badezimmern, umgeben von 7000 Quadratmetern Dschungellandschaft, besagtem Pool, einem fünf Meter hohen Wasserfall und einem eigenen Zugang zum Privatstrand. Die Einrichtung besteht aus mehr Möbeln von Harry Bertoia und Eero Saarinen als in ein Designmuseum passen. Das ist kein Haus, es ist die perfekte Kulisse für die Serie "Mad Men". Und wir dürften hier wohnen - unter einer Bedingung: Dass wir dafür den Schlüssel zu unserer Berliner Wohnung hergeben.

Denn die Besitzer der Villa in Acapulco wollen unbedingt nach Berlin. Wie momentan anscheinend die ganze Welt. Erst kamen Angelina Jolie und Brad Pitt mit ihrer Brut. Dann wurde bemerkt, dass es auch in Berlin eine Fashion Week gibt, und dass Prenzlauer Berg das In-Viertel ist. Das Berghain wurde zum besten Club der Welt gekürt. Inzwischen schreibt die New York Times regelmäßig Hymnen auf "eine der heißesten Destinationen weltweit". Kürzlich feierte selbst das angestaubte Time Magazine die Stadt: "Berlin stand nicht mehr auf der internationalen ,cool list', seit Christopher Isherwood in den frühen 30er Jahren hier lebte. Aber zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer ist die Stadt wieder ein Ereignis."

Wie groß der Berlin-Hype im Ausland wirklich ist, lässt sich unmöglich messen. Wir wagen dennoch ein kleines Experiment. Die Versuchsanordnung: Mal sehen, was einem die Welt für eine schicke Berliner Wohnung bietet.

Wir haben unsere Prenzlauer-Berg- Wohnung auf der Website Haustauschferien inseriert - einer Plattform, auf der Menschen weltweit für eine beliebige Zeit Wohnungen und Häuser tauschen können, um anderswo auf der Welt günstig Urlaub zu machen. 36000 Angebote gibt es derzeit. Das Phänomen Wohnungstausch ist nicht ganz neu, berühmt wurde es mit Kate Winslet und Cameron Diaz, die in der Komödie "Liebe braucht keine Ferien" von 2006 ein schmuckes Cottage in Surrey gegen eine protzige Villa in Los Angeles tauschten.

Unsere Drei-Zimmer-Wohnung liegt auf der Kastanienallee. Wir schreiben also in die Annonce: "Schöne, große Wohnung im Herzen von Prenzlauer Berg." Die Kastanienallee ist die Hauptschlagader Berlins, durch die sonnenbebrillte Hipster aus den Bars und Cafés in Prenzlberg zu den Galerien und Geschäften in Mitte strömen. Für möglichst großen Zuspruch schreiben wir in die Anzeige auch, dass unsere Nachbarschaft zu den beliebtesten der Stadt zählt (keine Übertreibung) und sehr kinderfreundlich ist (maßlose Untertreibung).

Wohnung statt Villa

Auf der Webseite Haustauschferien.com suchen gerade etwa 700 Menschen eine Tauschwohnung in Berlin - dagegen wollen gerade einmal 130 Leute aus Berlin heraus. Irgendjemand wird sich schon für unsere Wohnung interessieren.

Als die Einladung nach Acapulco kommt, steht unsere Anzeige kaum eine Woche im Internet. Der erste Gedanke: Ist denen aufgefallen, dass unsere gesamte Wohnung in etwa die Größe ihrer Abstellkammer hat? Es nicht mal einen Balkon gibt? Und wir als besondere Annehmlichkeit den Gebrauch von zwei Fahrrädern anbieten können?

Der Anbieter schreibt, dass er und sein Partner eben "schon immer Berlin kennenlernen wollten". Sie hätten beide "in der Kunstwelt, der Architektur, Public Relations und in der Welt der Oper" zu tun - gut, also wie schätzungsweise jeder Zweite in dem Berlin, in dem wir leben. Trotzdem: Ein wenig kommt es uns vor, als würde sich ein kultivierter Herr mit einer Rotzgöre verabreden - was finden die bloß an Berlin?

Aber dann wollen auch schon die Nächsten unsere Wohnung haben. Ein Paar, wie wir um die 30, aus Toronto. Ihre Wohnung liegt "direkt um die Ecke von großartigen Cafés, Restaurants und Boutiquen" - wie unsere Wohnung. Sie schreiben, dass Toronto "eine Stadt der Kieze" sei, wie unsere Stadt. Außerdem kontaktiert uns eine Malerin aus dem amerikanischen Montpellier, die sich als Weltbürgerin versteht: Sie möchte ihr "Künstlerloft" für die Gelegenheit tauschen, sich Berliner Galerien anzusehen. Zwei Chicagoer beschreiben ihr Zuhause als "lebhafte Stadt der Kultur und Kunst". Einerseits ist es schmeichelhaft, so umworben zu werden. Andererseits: Meistens hätten schon die Bilder von den Wohnungen genügt, um uns zu überzeugen - oder nicht zu überzeugen. (Ein düsteres Gemäuer mit Minifenstern? Nicht mal, wenn es in Versailles liegt).

Zum Beispiel die Fotos, die uns jemand von seiner Familienwohnung im Zentrum von Malmö zeigt - Altbau, Dielenboden, schwedische Minimaleinrichtung in Naturholz und Weiß - zu der ein Farmhaus am Strand gehört, das sich gut in einer Inga-Lindström-Schmonzette machen würde. Oder der Mid-Century- Modern-Bungalow mit Pool bei San Francisco, den die Besitzerin bescheiden als "unser Heim" beschreibt und der so perfekt aussieht, als sei gerade eine Hochglanzwohnzeitschrift zum Fotografieren da gewesen. Und erst diese entzückende Pariser Wohnung in Spucknähe von Sacré-Cœur.

"Wunderschön, sagenhaft"

Wir würden dort überall sofort einziehen, vielleicht auch, weil wir in den Wohnungen unsere eigene wiedererkennen. Ihre sind nur ein bisschen besser eingerichtet, erwachsener, angekommener. Und teurer. Zum Vergleich: Die Mieten in Paris sind laut der jüngsten Studie der Personalberatung ECA International die fünfthöchsten weltweit, dort kostet die Miete für eine Drei-Zimmer-Wohnung 1650 Euro. Und Berlin? Platz 91 mit 720 Euro.

Dass es immer mehr Leute nach Berlin zieht, hängt immer weniger vom Mietspiegel ab. Die Frau aus San Francisco zum Beispiel war vor zehn Jahren schon einmal hier und fand Berlin so wunderschön ("wunderschön", das schreibt sie wirklich), dass ihr Mann die Stadt jetzt auch kennenlernen will. Außerdem erzählt man sich in Kalifornien, das Nachtleben sei einfach sagenhaft. Der Mann aus Toronto führt aus, seine Frau hätte bei ihrem letzten Besuch ihren ersten Roman fertiggeschrieben und will auch ihr zweites Buch hier beenden. Beide lieben die Offenheit der Berliner. Und der Franzose? Er will an einem Fotoprojekt weiterarbeiten, das er im vergangenen Jahr begonnen hat. Er schießt Bilder von Berliner Plätzen bei Nacht, die so still wirken, dass man die Orte kaum wiedererkennt.

Wir sehen diese Menschen nicht, nur wie sie leben. Sind zwischen 30 und 40, viele arbeiten kreativ, es ist aber auch eine Lehrerin dabei, eine Pensionistin, mehrere Familien mit kleinen Kindern. Manche waren schon mal in Berlin, die meisten aber nicht.

Niemand schreibt: Ich wollte schon immer mal den Fernsehturm sehen! Das Brandenburger Tor! Checkpoint Charlie!

Sehnsucht nach der eigenen Stadt

Nach ein paar Wochen, in denen immer mehr Mails ankommen, beginnen wir plötzlich Sehnsucht nach der eigenen Stadt zu haben. Die gleiche Sehnsucht, die uns hergetrieben und die sich irgendwann in Selbstverständlichkeit verwandelt hat: Nach der schieren Größe, in der man sich trotzdem nicht verloren fühlt. Nach der großen Freiheit, die einem hier erlaubt wird. Der Zwanglosigkeit. Dem Mach-doch-was-du-willst. Dem Gefühl, nie stehen zu bleiben - weil nichts jemals fertig wird. Auch nach den Läden, den Bars, den Cafés, in denen man deshalb stundenlang sitzen bleibt, weil einen kein Kellner verscheucht. Und der schönen Gelassenheit, die sich irgendwann einstellt. Fast sind wir ein bisschen stolz, hier zu wohnen. Bis der Berliner in uns motzt: "He, is doch bloß Bahlin!"

Die meisten Menschen bei Haustauschferien wollen übrigens gar nicht nach Berlin. Sondern nach New York. Wir probieren es selbst, suchen unter den knapp 1200 Angeboten drei heraus und schreiben einem Penthousebesitzer an der Upper East Side, einer Familie mit Brownstone in Brooklyn und einem Paar mit einer phantastischen Wohnung am Union Square Park. Keine Antwort. Nicht eine.

Vielleicht fehlt ihnen an unserer Wohnung der Pool. Vermutlich will der New Yorker im Sommer bloß aus der Stadt raus, nicht in eine andere rein. Wir nehmen es ihnen nicht übel. Schließlich haben wir immer noch Acapulco.

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