Reisen mit Kindern:Der kleine Knigge

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"Es gibt zwei Arten zu reisen, First Class und mit Kindern." - Wie Luxushotels das Gegenteil beweisen.

Gerhard Matzig

Das erste Kind jammert und greint:

(Foto: Foto: AP)

"Gib das her. Das ist meins." Das zweite Kind schreit und blökt: "Nein, ist es nicht. Das ist meins." Das dritte Kind weint und weint. Der Vater dreht sich um und brüllt: "Ich gehe jetzt gleich dazwischen, wenn ihr nicht sofort aufhört." Gleichzeitig versucht er, das Auto nicht an den Baum zu setzen.

Seine Frau aber denkt hinter geschlossenen Lidern in eine riesenhafte Denkblase hinein: "Das sind ja wieder mal tolle Ferien. Ich lass' mich scheiden."

Dieser Werbespot ist schon etwas angejahrt. Außerdem wollte er nur den Absatz eines Autounternehmens in Richtung "familiengerechte Großraumlimousinen" befördern. Trotzdem bringt der Clip exakt auf den Punkt, was Ferien mit Kindern eben auch sind: anstrengend. Vom amerikanischen Humoristen Robert Benchley kennt man in diesem Zusammenhang den schönen Satz: "Es gibt zwei Arten zu reisen - First Class und mit Kindern."

Das weiß die Tourismusbranche allerdings schon lange. Deshalb hat sie sich jahrzehntelang auf Eltern konzentriert, die es sich im Club oder im Hotel, auf dem Campingplatz oder im Ressort aus guten Gründen so einfach wie möglich machen wollen.

Zum Beispiel, indem Betreuung im "Kinderhaus" angeboten wird. Oder das frühe Kinderabendessen ab 17 Uhr. Oder, am Strand: Babywatch. Manchmal wird im Prospekt sogar darauf hingewiesen: "Schreiende Babys? Erwünscht!" -"Tobende Kinder? Gern gesehen!"

Ob das immer der reinen Wahrheit entspricht, sei dahingestellt. Aber in jedem Fall unterstreicht die Form nicht selten das kinderliebe Konzept dahinter. Und das nun ist leider nicht immer auch ein ästhetischer Genuss.

Kinderfreundliche Hotelrestaurants zeichnen sich nämlich gelegentlich nur durch eine Art Innenarchitektur gewordene Plastikabwaschbarkeit aus. Und die Flure kleinkind-affiner Zimmer werden oft durch benettonbunte Babybetten blockiert.

Es soll übrigens auch Menschen geben, die, obwohl eindeutig kinderlieb, lieber einen Champagner-Kühler an ihrem Tisch sehen wollen - als eine fest installierte, monströse Kunststoffschale für das Babyfon. Wahlweise in Herz- oder Bärchenoptik.

Zum Glück hat seit einiger Zeit auch die Premium-Hotelbranche das Kind nicht nur im Gast, sondern vor allem als Kind der Eltern-Gäste entdeckt.

First Family statt First Class

Neben den üblichen Klassifikationen wie "deluxe" oder "First Class" taucht sogar immer öfter auch dieser Begriff auf: First Family.

Am Eingang Charlottenstraße 49, direkt am prominenten Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte gelegen, wird man diesen Hinweis zwar nicht finden - aber im Inneren des so dezent wie anspruchsvoll gestalteten, niemals prunkenden Hotels "The Regent" wird auf Anhieb klar, dass man hier schon deshalb kinderfreundlich ist, weil man eben freundlich ist - und dabei Kinder so ernst nimmt wie jeden anderen Gast.

Mit der Selbstverständlichkeit und Noblesse, mit der das von Josef Paul Kleihues errichtete Haus über ein Sterne-Restaurant, einen sagenhaften Blick auf den Französischen Dom und über eine 220 Quadratmeter große Präsidentensuite verfügt - verfügt es auch über ein sicheres Gespür für Kinder und die Nöte ihrer Eltern.

Das Hotel ist so etwas wie der Gegenentwurf zur abwaschbar-robusten Ikea-Ästhetik einer lediglich missverstandenen Kinderfreundlichkeit. Nichts gegen Ikea - aber man muss ja auch mal Ferien davon machen dürfen.

(Foto: Foto: ddp)

Allerdings bietet auch das "Regent" eine spezielle Kinderbetreuung an. Außer dem - auch andernorts üblichen - "Blick hinter die Kulissen" oder einer Patisserie-Einführung in der Hotelküche findet zum Beispiel am 11.November im "Regent" ein "Kinder-Knigge-Kurs" statt.

Maximal zwölf Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren können dort spielerisch lernen, warum es schon seine Richtigkeit hat, dass der Salat links und die Tischdame gegebenenfalls rechts zu vermuten sind.

Und vielleicht sogar, dass es noch Nahrungsmittel jenseits von Würstchen, Schnitzel und Pommes gibt. Der Kurs kostet 35 Euro, ein Drei-Gang-Menü inklusive. Zum Dessert werden außerdem Knigge-Urkunde und entspannte Eltern gereicht.

Wer lieber den Zimmerservice bemüht, kann auch das kindgerecht tun. Die Tochter von Mick Jagger hat mal behauptet, "Room Service" sei ihr erstes Wort gewesen. Das hat sie nicht im "Regent" gelernt - doch sie hätte hier als einfaches Gericht "Tagliolini mit halbem Maine Hummer" bestellen können.

Erholung vom Benjamin-Blümchen-Teller

Das ist das Schöne am "Regent"-Zimmerservice: Kinderkarten kennt er nicht. Im Gespräch mit dem Service stellt man sich gerade deshalb ein so kindgerechtes wie essbares Gericht zusammen.

Auch von Fischstäbchen und Kinderspeisekarten voller "Benjamin-Blümchen-Teller" kann man sich im "Regent" erholen.

Eigentlich fragt man sich, warum sich der Service hier so gut auf Kinder versteht. Bei Übernachtungspreisen zwischen 265 und 2750 Euro sind die Belegschaften ganzer Kindergärten wohl nicht regelmäßig zu Gast. Wenn jedoch zu lesen ist, dass mal wieder Lionel Richie oder Brad Pitt vorbeigeschaut haben, ahnt man des Rätsels Lösung. Manche Gäste sind einfach nur große, manche kleine Kinder.

© SZ vom 28.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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