Reisekolumne "Mitten in ...":Spaß streng verboten

Flamingos retten die Stimmung beim Festival in Freiburg. Und im eritreischen Massawa erfüllt der Spaziergänger einen zunächst etwas verstörenden Fotoauftrag.

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Mitten in Freiburg

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Freiburg

Ein Festival am See, die Sonne strahlt, wie ihr befohlen, Tausende Menschen und elektronische Musik: Wenn das nicht wild wird. Wird es nicht. Gut, drei, vier Freaks tanzen so, als stünde Kiss auf der Bühne. Ein Paar knutscht wild in der Menge, die Freunde gröhlen. Und sonst? Biedermeier-Rave. Mit Bargeld darf man nicht zahlen. Nur mit Marken, die man ständig verliert. Auf jedem Getränk sind zwei Euro Pfand, nach drei Stunden ist man arm. Plastikflaschen kriegt man nur ohne Deckel, warum auch immer. Okay, dann halt schwimmen. Man hält die Füße ins Wasser, 22, 23, 24, da kommt ein Ordner, verboten. Man geht weiter um den See, springt schnell rein, wieder ein Ordner. "Raus da. Die Badestelle ist da hinten." Da hinten? "Ja, da könnt Ihr einen Flamingo mieten." Pinkes Plastik-Getier am Horizont. Party eindeutig gerettet.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 3. August 2018

Mitten in Massawa

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Massawa​

Massawa ist eine kleine Stadt in Eritrea, am Roten Meer gelegen, das hier kein Meer ist, sondern eine überhitzte Badewanne. Die älteste Moschee Afrikas steht hier. Nicht weit davon entfernt steht ein nackter Mann im Sand. Zwei Männer graben eine Grube, in die sich der Mann hineinlegt. Man will nicht unhöflich sein und tritt den Rückweg an. Dann schreit der Mann: "Mach ein Foto, mach ein Foto." Der Mann liegt breitbeinig vor einem. Seine Augen und sein Penis schauen erwartungsvoll. Man will nicht unhöflich sein und holt die Kamera heraus, wartet aber, bis die Geschlechtsteile einigermaßen bedeckt sind. Dann fragt man, ob alles in Ordnung sei? "Alles gut", sagt er. "Ich habe eine schlimme Grippe und lasse mich hier eine halbe Stunde im Sand eingraben, um alles auszuschwitzen." Dann lässt er sich das Foto zeigen und versinkt zufrieden im Sand.

Bernd Dörries

SZ vom 3. August 2018

Mitten in München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Erst denkt man: Muss der Typ mit seinem Surfbrett wirklich so angeben? Depp, damischer! Doch beim Näherkommen sieht man - das ist ja gar kein Surfbrett, was der da an einer Kreuzung im Münchner Osten durch die Luft pirouettieren lässt. Das ist ein bügelbrettgroßes Werbeschild, das offenbar zur Rabattaktion eines Discounters gehört. Deshalb stehen gleich drei athletisch gebaute junge Männer in arjenrobbenhaft knappen Trikots an der Kreuzung und lassen ihre Schilder wirbeln. Herrlich. Da werden die Grid Girls und die Boxenluder aus der Formel 1 verbannt. Und auch der Darts-Weltverband verabschiedet sich von den traditionellen Walk-on-Girls. Und die Landeshauptstadt München? Verbannt nicht leicht bekleidete Nummerngirls aus dem Sport, sondern erfindet leicht bekleidete Nummernboys für die Straße. Gut so!

Gerhard Matzig

SZ vom 3. August 2018

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Quelle: SZ

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Mitten in ... München

Ein knallroter Tesla steht im absoluten Halteverbot am Rand der Fußgängerzone. Durchfahrt für andere unmöglich. Lieferwagen und Müllabfuhr stauen sich hinter dem schnittigen Gefährt. Gehupe, Flüche, Mutmaßungen über diesen dreisten Depp, der so saudumm parkt. Wer ist der Fahrer, und vor allem: wo? Auf dem Tesla steht: "Einsatzfahrzeug Hebamme". Ja dann! Man stellt sich vor, wie gerade neben einem Gemüsehobelstand ein Baby das Licht dieses schönen Sommermorgens erblickt. Stau wegen Sturzgeburt. Dafür steht man doch gerne fünf bis 35 Minuten rum. Gerade, als sich eine gewisse Milde und Menschenfreundlichkeit unter den Wartenden breitmacht, kommt die Tesla-Fahrerin angetrippelt. Sie ist in den Farben ihres Einsatzfahrzeugs gekleidet und führt zwei schwarze Minipudel an der Leine. An ihrem Arm baumelt eine Einkaufstüte.

Titus Arnu

SZ vom 27. Juli 2018

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Frankfurt

Der Frankfurter Westbahnhof ist ein Ort wie viele in Deutschland. Gegenüber eine Autowerkstatt, Parkplätze, drinnen ein Backshop, volle Rolltreppen, Plastiktische mit dem Schild "Nur für Döner-Kunden". Nicht der Ort für intellektuelle Gespräche - auf den ersten Blick. Zwei junge Frauen sitzen am Nebentisch und unterhalten sich angeregt, halb auf Deutsch, halb auf Türkisch. Es geht um einen Mann namens Cem. "Sag ich zu Cem", erzählt die eine - und wechselt, als es spannend zu werden verspricht, ins Türkische. "Und was sagt er?", fragt die andere. "Also sag ich dir, der sagt...", es geht wieder auf Türkisch weiter. Der unfreiwillige Zuhörer hat die Unterhaltung schon in das Schubladensystem in seinem Kopf einsortiert, da fragt die andere: "Wie hast du Cem eigentlich kennengelernt?" Antwortet die eine: "Weil er grad Kafka gelesen hat, so wie ich."

Sebastian Schoepp

SZ vom 27. Juli 2018

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Mexiko-Stadt

Wer's mag, kann jetzt auch in Mexiko-Stadt ein Klosterbier aus der Karmeliten-Brauerei in Straubing genießen. Die Bar "Craft Society" im Trinker- und Künstlerviertel Roma Norte berechnet 3500 Pesos pro Flasche. Das sind 155 Euro. Und wenn man, nur mal so aus Neugier, eine Bestellung antäuscht, dann holt der Kellner nach kurzer Absprache mit dem Oberkellner einen Schlüssel aus der Schublade, um feierlich einen Schrein zu öffnen, als befinde sich darin der Heilige Gral. Es ist immerhin das Impendium-Jahrgangsbier 2015, das, wie sich dem Beipackzettel entnehmen lässt, durch das "exotische Spiel" seiner 99 Hopfensorten besticht. Da darf man schon mal ein, zwei Pesos mehr verlangen. Wer den Kellner aber fragt: "Sag mal, habt ihr vielleicht auch ein Corona?", der sieht, wie ein eben noch sehr glücklicher Mexikaner an der Welt verzweifelt.

Boris Herrmann

SZ vom 27. Juli 2018

Mitten in Glencoe

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Glencoe

Ein Jahrhundertsommer in Schottland, der heißeste Juni seit Menschengedenken. Nach einer schweißtreibenden Wanderung rund um den Slob Dubh Einkehr im Clachaig Inn, das für seine Bierauswahl berühmt ist. Auf der Speisekarte viele Burger, Steaks, Pies, Fisch - und Haggis. Neugieriger Blick auf die Teller der Tischnachbarn. "Das ist der Schellfisch" ruft der ältere Herr fröhlich, "und meine Frau hat den Angus Burger". Gute Gelegenheit, um zu erkunden, was genau es mit dem Haggis auf sich hat. Die beiden verziehen leicht angewidert das Gesicht. Innereien vom Schaf, kleingehackt, mit Nierenfett und Hafermehl vermischt und in einen Schafsmagen gefüllt. Sie raten eher ab. Dann winkt uns der freundliche Schotte mit einer verschwörerischen Geste näher heran. "Der Haggis", raunt er uns ins Ohr, "den geben wir den Engländern."

Hans Holzhaider

SZ vom 20. Juli 2018

MI_Riad_DunjaRamadan

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Riad

Passkontrolle in Saudi-Arabien, Scan der Fingerabdrücke, ein Blick in die Kamera - weiter geht's zum Sicherheitscheck. Vor der Einreise unterschreibt man, dass man weder Alkohol noch Drogen einführt. Eine Frau mit Gesichtsschleier sitzt an der Kontrolle. Gerade inspiziert sie die Dutyfree-Mitbringsel einer saudischen Familie: kiloweise Schweizer Schokolade. "Alles sauber?" - "Aber natürlich!" Sie winkt die Familie durch. Dann ein Blick in mein Handgepäck: wieder Schokolade. "70 Prozent Alkoholgehalt, Schwester?", sagt die Frau und wirkt entrüstet. Ich bin überrascht, nehme ihr die Tafel aus der Hand und muss lachen. "70 Prozent Kakaoanteil. Mit Orange. Leckere Kombination. Müssen Sie probieren." Jetzt lacht auch sie, soweit man das unter dem Schleier erkennen kann. "Bring mir das nächste Mal eine mit", ruft sie hinterher.

Dunja Ramadan

SZ vom 20. Juli 2018

Mi_Muenchen_MartinWittmann

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Ein sonniger Vormittag in München, die Maxvorstadt glitzert und blitzt routiniert. Der Spielplatz ist gut bevölkert, auf dem Kletterturm die geschickten Kinder, am Fuß die schicken Eltern, business as usual - bis auf den Mann, der am Eingang auf einer Bank schläft. Wer ihn nicht sieht, hört ihn schnarchen. Auf einmal steht er auf, die Augen noch geschlossen. Er öffnet die Hose und pinkelt lange, sehr lange, auf den Gehweg. Schockstarre unter den Eltern, bis eine Mutter die Polizei ruft. Man geht nun im Interesse aller zu dem Betrunkenen und rät ihm, zu verschwinden. Er solle irgendwohin gehen, wo kein Spielplatz ist. Wohin also? Man überlegt lange, sehr lange, eine Richtung nach der anderen scheidet aus. Der Mann ist längst weggewankt, da überlegt man immer noch. Ach München, wenn es dir an etwas nicht fehlt, dann sind es Spielplätze.

Martin Wittmann

SZ vom 20. Juli 2018

MI_Tokio_ChristophNeidhart

Quelle: SZ

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Mitten in ... Tokio

Samba? An einem Tag, wo doch eigentlich Trommeln, Flöten, Glocken und Zithern durch die Straßen schallen? "Awa Odori" heißen die traditionellen Sommerfeste in Tokios Wohngegenden, mit denen die Japaner nichts anderes als ihr Japanertum feiern und ihre Ahnen ehren. Aber da tauchen auch Japanerinnen in Bikinis auf und tanzen zu Klängen aus Brasilien. Karneval statt Tradition? Kopfschmuck statt Sommer-Kimono? Was, bitte hat das mit einem Fest zu tun, an dem alles "echt japanisch" sein soll? Die Antwort ist einfach: In Sao Paulo lebt die größte japanische Diaspora. Auf der Suche nach einem besseren Leben sind viele Japaner vor hundert Jahren nach Brasilien ausgewandert. Daran erinnern die Tänzerinnen. Migranten hat es eben schon immer gegeben. Und die Welt verbindet doch mehr als der ein oder andere so meint.

Christoph Neidhart

SZ vom 13. Juli 2018

Mitten In

Quelle: SZ

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Mitten in ... Zürich

Es ist eines dieser Wochenenden an dem ich, zugegeben, nicht allzu gut mit meinem Fahrrad umgegangen bin. Sonntagabend, ich habe eine ungefähre Vorstellung, wo das Velo, wie es auf schweizerdeutsch heißt, steht. Am Freitagabend gegen Mitternacht habe ich es vor einem Unternehmen in Seenähe abgestellt, ein teures Quartier, nicht ein Kaugummi liegt auf dem Boden. Ich biege in die fragliche Straße ein. Mein Velo steht, nicht zu übersehen, in der Mitte des Fußwegs. Hunderte Fußgänger müssen in den letzten Tagen Umwege gemacht haben. Leise schimpfe ich mit mir - und wundere mich, dass niemand das Rad zur Seite getragen oder umgeschmissen hat. Beim Näherkommen sehe ich etwas auf dem Gepäckträger - den Beleg dafür, dass das Rad sehr wohl lästig war. Jemand hat eine leere Packung Quinoa-Süßkartoffel-Curry auf meinem Rad entsorgt. In Zürich heißt das: Ich wurde gewarnt.

Charlotte Theile

SZ vom 13. Juli 2018

Mitten In

Quelle: SZ

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Mitten in ... Rust

Teile von Holland und Skandinavien sind abgebrannt. Das sieht ziemlich traurig aus. In der Luft liegt ein Geruch von verkokeltem Holz. Dort, wo lustig die Piraten durch Batavia kreuzten, verbirgt Sichtschutz die Zerstörung. Im Europapark Rust war Ende Mai ein Feuer ausgebrochen. Wie durch ein Wunder blieben 25 000 Besucher an dem Tag unverletzt. Ja, noch nicht mal Panik brach aus. Schließlich ist man ja hier zum Spaß. Und ein Vergnügungspark wäre kein Vergnügungspark, wenn nicht auch der Brandherd schnell zur Attraktion würde. Die verkohlten Balken machen sich gut als Hintergrund auf Selfies. Staunend schauen Kinder und Erwachsene durch Lücken im Bauzaun. Derweil rattert die Holzachterbahn Wodan nebenan wieder im normalen Betrieb. Von hier aus hat man einen prima Ausblick auf die neue Sensation im Park.

Ulrike Heidenreich

SZ vom 13. Juli 2018

Mitten in Neapel

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Neapel

Im Gran Caffè Gambrinus, gegründet 1860. Man muss da rein, auch wenn wieder viel zu viele Leute am Tresen hängen, auch Touristen. Die Herren hinter der Bar hantieren mit vier Porzellantassen gleichzeitig, es ist laut, die Kolben der Maschine klacken im Akkord. Drängelt man nicht, kommt man nie dran. Doch dann liegt der Caffè endlich samten im Gaumen. Die bittere Note? Ein flüchtiger, wonniger Gruß. Die Toilette ist im Untergeschoss, oben an der Treppe steht ein Typ mittleren Alters, er ist in eine Uniform gepresst: "Den Kassenzettel, bitte!", sagt er. "Den habe ich liegen gelassen auf der Theke, mit dem Trinkgeld drauf, wie man das so macht." "Dann tut es mir leid." "Echt jetzt?" "Echt. Die Finanzpolizei könnte ja kommen." Ins Klo? Also zurück zur Kasse, noch mal 1,20 Euro, Drängeln am Tresen, doppelte Wonne mit bitterer Note. Diesmal ohne Trinkgeld.

Oliver Meiler

SZ vom 6. Juli 2018

Mitten In

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hamburg

Mit dem Rad auf dem Weg zu einem Open-Air-Konzert, wo am Eingang eine Riesenschlange und drinnen hohe Bierpreise zu erwarten sind. Um beidem entspannt zu begegnen, halten wir an der Tankstelle. Wir stehen vor der Kühltheke, als ein Mann hereinpoltert: "Is' noch Bier da?" Wieder draußen sieht uns ein zweiter Mann genüsslich dabei zu, wie wir die Biere zu verstauen versuchen. Die schmale Flasche lässt sich nicht im Flaschenhalter fixieren, er rät: "Kauft halt dann größere Flaschen!" Es sind mehr Flaschen als Räder geworden, er rät: "Dann trinkt sie halt schnell hier aus!" Wir fahren los, die kleinen Biere trotzig und schmerzhaft zwischen die Finger der freien Hand geklemmt. Widerstand gegen die Staatsgewalt mag man das nennen, aber die beiden Polizisten nicken zum Abschied doch nachsichtig entspannt.

Martin Wittmann

SZ vom 6. Juli 2018

Mitten in Moskau

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Moskau

Wenn Bahnhöfe die Kathedralen der Moderne waren, kann man dieses Postamt wohl zu den Ballsälen des Sozialismus zählen. Die hohe Holztür ist so schwer zu öffnen, das müssen früher Palastwachen übernommen haben. Der Kronleuchter könnte mal wieder abgestaubt werden. Dass der Fortschritt an der russischen Post nicht vorbeigegangen ist, beweist ein Wartemarken-Automat mit Touchscreen. Wehe dem, der direkt durch die menschenleere Halle auf einen Schalter zumarschiert! Während die Beamtin das Einschreiben sucht, ist von nebenan lautes Schnarchen zu hören. "Das ist die Nachtschicht", erklärt sie verlegen. Von 280 Euro Lohn kann man keine Wohnung in Moskau bezahlen, und der Weg aus der Vorstadt ist zu weit, um ihn jeden Tag zurückzulegen. Die Kollegen sortieren nachts Briefe und schlafen tags zwischen den Päckchen bis zur nächsten Schicht.

Julian Hans

SZ vom 6. Juli 2018

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