Kolumne "Mitten in ...":"Hallo, ich bin Luke"

In Hanoi geht man sehr kreativ mit Namen um. Und in Chicago stößt der Bayer auf eine erstaunliche Leberkas-Kompetenz.

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Mitten in Hanoi

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hanoi

Nguyen Xuan - das klingt für deutsche Ohren ähnlich sperrig wie Heinz-Rüdiger für asiatische Ohren. Vietnamesen, die professionell mit Touristen zu tun haben, geben sich deshalb gerne leicht konsumierbare Künstlernamen. Der Concierge im Hotel nennt sich Mr. Top, der Kellner im Restaurant Mr. Tiptop, und der Chef des Reisebüros, der die Tour in Zentralvietnam organisiert hat, unterschreibt seine Emails mit Mr. Ethan Hunt. So heißt Tom Cruise in "Mission Impossible". Na, dann kann ja wohl nichts schief gehen! Wie wohl der Fahrer heißt, der mich in Hanoi am Hotel abholt? Mr. Vettel? Mr. Hamilton? "Hallo, ich bin Luke", sagt er, "wie "Luke Skywalker aus Star Wars." Leider hat sein Auto keinen Hyperraumantrieb und kann auch keine Zeitsprünge machen. Ansonsten aber alles top, wenn nicht gar tiptop.

Titus Arnu

SZ vom 8. Juni 2018

Mitten in Chicago

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Chicago

Manchmal muss man weit reisen, um etwas Neues über die Heimat zu erfahren. Chicago, 2523 North Clark Street: Das Café Vienna ist eine empfehlenswerte Einkehr für alle, die sich nicht nur von Hamburgern in tausend Variationen ernähren wollen. Hinter der Theke läuft eine Diashow, die den Gast mit Schmankerln der alpenländischen Küche vertraut macht: Apfelstrudel, Gulasch, Käsespätzle, Weisswurst, Breze (hier Pretzel genannt; man möge sie, heißt es, auch mal mit Nutella probieren). Albert Einstein, lernen wir, liebte Wiener Schnitzel; das ist in der Literatur zumindest strittig. Aber was wir echt nicht wussten: Der Leberkäse wurde 1776 erfunden. Gleich mal nachlesen: Tatsächlich. 1776 brachte der pfälzische Kurfürst Karl Theodor seinen Metzger mit nach Bayern, und der soll den ersten Leberkas gebacken haben. Respekt, Chicago!

Hans Holzhaider​

SZ vom 8. Juni 2018

Bad Endorf

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Prien

Ein sonniger Tag im Chiemgau geht zu Ende. Der Zug zuckelt am Chiemsee vorbei Richtung München. Nächster Halt: Prien. Ein mittelaltes Pärchen steigt ein. Er: Cowboyhut und Funktionsjacke überm verwaschenen Stones-Shirt, sie: Achtzigerjahre-Jeansjacke, Glitzersteinchen-Shirt, Plastikblume im Haar. Die beiden beugen sich übers Handy und besprechen die Schnappschüsse des Tages. Er wischt und brummt, sie kommentiert. Der See, die Blumen, das Licht. Toll. Dann die Selfies. Ein Bild passt ihr nicht, also gar nicht. "Nein, wirklich, lösch' das Bild. Da siehst du alt aus und ich gwampert. Das sind wir nicht." Er wischt weiter auf dem Handy rum. Sie: "Ich bin extrem eitel, bitte lösch' das Bild. DAS SIND WIR NICHT!" Sie nimmt das Handy, wischt und nickt zufrieden. "Geteilt.... Ach, schau, und die Inge hat's schon kommentiert."

Anna Günther

SZ vom 8. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Caracas

Wenn man vor einem halben Jahr in einer Bar in Caracas einen Hamburger bestellte, kam der Kellner mit der Geldzählmaschine. Inzwischen sind auch die Maschinen mit der Inflation von 13000 Prozent überfordert. Das Tageslimit am Automaten beträgt 10000 Bolivares. Der Hamburger kostet jetzt 400 Tageslimits - über ein Jahr lang jeden Tag alles abheben, was geht. Auch das reicht nicht, denn der Hamburgerpreis wird sich bis dahin wieder vervielfältigt haben. Bargeld ist praktisch abgeschafft in Venezuela, weil es niemand so schnell ziehen kann wie die Preise steigen. Im Taxi gibt es keine Kartenzahlung. Und jetzt? Kein Problem, sagt der Fahrer, einfach eine Online-Überweisung tätigen, Screenshot vom Beleg machen, Bild zeigen, los geht's. Kundenfreundlich ist das allemal. Bei der Ankunft wäre der Tarif sicher schon wieder höher als bei der Abfahrt.

Boris Herrmann

SZ vom 2. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rüdesheim am Rhein

Abends in der Regionalbahn unterhalten sich zwei Männer. Sie müssen um die 30 und Kollegen sein, ihr Job hat mit Computern zu tun. Sie reden übers "Customizen", "Moden" und ihren Ärger darüber, dass sich das Betriebssystem Linux nicht durchgesetzt hat. Und darüber, dass sie heimlich auf ihren Arbeits-PCs Mario Kart spielen. Nach einigen Haltestellen haben sie sich nichts mehr zu erzählen. Stille. Dann sagt der eine, er trägt pinke Kopfhörer und eine orange Sonnenbrille: "Bin gespannt, wann sie Marihuana legalisieren." Der andere reagiert verdutzt: "Da glaubst du doch nicht wirklich dran?" Darauf der Sonnenbebrillte: "Doch! Stell dir das bitte mal vor, bekifft in unserer Firma zu sitzen." Kurz scheinen sie beide in dieser Fantasie zu schwelgen, ehe der andere antwortet: "Dann würde ich freiwillig Überstunden machen."

Max Sprick

SZ. vom 2. Juni 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Marrakesch

Dicke Außenmauern, Dachterrasse mit Blick auf den Atlas, ein gekachelter Innenhof mit Wasserbecken: Unser Riad ist ein Ruhepol mitten in der wuseligen Altstadt. Draußen lärmen Mopeds und Straßenverkäufer, drinnen herrscht Stille. Ein Traum. Wenn nur der Nachtportier nicht wäre. Er liegt auf dem Sofa direkt vor unserem Zimmer, hört auf seinem Smartphone eine Fußballübertragung, schlürft Tee und lässt gleichzeitig volle Kanne den Fernseher laufen, ein Musikkanal mit Achtzigerjahre-Hits. Wir bitten ihn, leiser zu stellen, wenig später schläft er ein. Wir nicht. Leider schnarcht der Mann so laut, dass der ganze Innenhof dröhnt. Um fünf Uhr morgens rufen die Muezzins zum Morgengebet, was wiederum die Hähne zum Krähen anregt, gefolgt vom Bellen der Hunde. Bald hört der Nachtportier auf zu schnarchen, und es folgt eine schöne stille Stunde, in der die Sonne geräuschlos aufgeht. Allah sei Dank.

Titus Arnu

SZ vom 2. Juni 2018

Mitten in Paris

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Paris

Zum Geburtstag gibt es eine Überraschung. In der S-Bahn zum Flughafen ist noch nicht klar, wohin die Reise geht. Es wird ein Spiel daraus: Der Mann gibt den Koffer ab - kein Blick auf die Tafel. Bei den Ansagen des Piloten die Ohren zuhalten. Nach 1,5 Stunden setzt das Flugzeug auf, das seltsame Terminal wirkt vertraut: Paris! Abends im Restaurant sitzen zwei ältere Männer und eine Frau am Nebentisch. Als sie Kerzen ins Dessert stecken, ist klar: Auch sie feiern Geburtstag, Mann und Frau, am selben Tag im selben Jahr geboren. Aus zwei Tischen wird schließlich eine Geburtstagstafel. Der Dritte im Bunde überreicht am Ende seine Visitenkarte. Da schließt sich der Kreis: Den seltsamen Flughafen Charles de Gaulle mit seinen Rollbändern in Plexiglas-Röhren hat Paul Andreu entworfen, einer der bekanntesten französischen Architekten. Und unser neuer Freund.

Julia Rothhaas

SZ vom 25. Mai 2018

Mitten in Schmilka

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Schmilka

Die Sächsische Schweiz ist für zwei Dinge bekannt: für das Elbsandsteingebirge und den hohen Anteil an Rechts-Wählern. Wir sind wegen Ersterem da, klar. Da man Zweiteres nicht ganz ignorieren kann, entschließen wir uns zu einem grimmigen Versuch: Wir wollen Deutschlandfahnen zählen und danach entscheiden, ob wir wiederkommen. Es gibt dort den Malerweg, der durch Klammen und Schluchten und über Leitern und Treppen durch eine Felslandschaft führt, von der schon Caspar David Friedrich so angetan war, dass er sie neben Rügen und dem Harz zu den Ideallandschaften zählte. Man kann ihm nach fünf Wandertagen nicht widersprechen. Und die Deutschlandfahnen? Genau eine. Auf der Elbfähre bei Schmilka in Sicht der tschechischen Grenze. Ein Ort, an dem man über eine Fahne wohl nicht zwingend meckern muss.

Sebastian Schoepp

SZ vom 25. Mai 2018

Mitten in Köln

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Köln

Auffahrunfall, zum Glück nur Blechschaden. Und noch viel Zeit bis zum Nachmittagstermin. Der Verursacher ist einsichtig, alles friedlich, seine herbeigeeilte Mutter besteht dennoch auf "Polizei". Die kommt, 35 Minuten später als angekündigt, aber ok, genug Zeit, alle freundlich. Ein Beamter telefoniert lange. Dann sagt er zu mir: "Sie müssen mit uns kommen. Ihr Name steht auf einer Liste. Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen." Identischer Name, Geburtstermin und -ort. Kein Witz. Auf der Wache: elektronische Fingerabdrücke. "Schlechtere habe ich noch nie gesehen", grummelt ein Polizist. Aber sie reichen für die Freiheit. Keine Zeit für Emotionen, flott zum Termin. Fast pünktlich. Eine Ordnerin überprüft minutiös meine Daten. Schließlich sagt sie: "Sie dürfen hier nicht parken." Warum? "Ihr Name steht auf keiner Liste."

Milan Pavlovic

SZ vom 25. Mai 2018

Mitten in Amsterdam

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Amsterdam

Die Berliner Familie macht Urlaub in Amsterdam, der Stadt, die auf der ganzen Welt als Fahrradparadies bekannt ist. Wo alle Menschen entspannt auf blumengeschmückten Hollandrädern unterwegs sind und man nicht befürchten muss, dass einem ein Berliner Autofahrer erst die Vorfahrt nimmt und dann wüst hinterherschimpft. Als die Berliner Familie eine Straße überquert, rast eine junge Radlerin vorbei und zwar so, dass die Kinder beinah unter die Räder gekommen wären, hätten die Eltern sie nicht zurückgerissen. Freundlich (man ist schließlich im Urlaub, nicht in Berlin) weist die Berliner Familie darauf hin, dass ihre Ampel grün ist, die der Radfahrerin hingegen rot. Die Radlerin zischt: "But you are in Amsterdam!" Dann rast sie weiter, nicht ohne einem noch wüst hinterherzuschimpfen. So schnell wird man vertrieben aus dem Fahrradparadies.

Verena Mayer

SZ vom 18. Mai 2018

Armenien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Eriwan

Frage an Radio Eriwan: Soll man mit den Armeniern sympathisieren, die mit Massenprotesten das öffentliche Leben in ihrem Land zum Stillstand bringen? Im Prinzip ja, immerhin sind die Aktionen friedlich und die Vetternwirtschaft der Regierung war wirklich schlimm. Aber wenn die Menschen dann Tag und Nacht Autokorsos und Hupkonzerte vor dem Hotel veranstalten, in dem du versuchst, zu arbeiten und zu schlafen. Wenn du dann zum Flughafen musst, aber kein Taxi kommt wegen der Proteste. Wenn du nach einer halben Stunde endlich ein Taxi gefunden hast, aber Demonstranten die Schnellstraße zum Flughafen blockieren. Wenn dann der Taxifahrer deine Not erkennt, seine Nummernschilder zuklebt und dich auf der Gegenfahrbahn als Geisterfahrer doch noch pünktlich zur Maschine bringt, dann muss man die Armenier einfach lieben.

Julian Hans

SZ vom 18. Mai 2018

Mitten in München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Die Aufregung ist groß bei den Kindern, als sie hereinkommen und ihre Skateboards und Roller gegen Eimer und Besen eintauschen. Nein, die Erwachsenen sollen jetzt auf keinen Fall auf die Straße gehen. Tun sie dann natürlich doch. Irgendjemand hat ein riesiges Hakenkreuz aufs Vorstadtpflaster geschmiert. Mit Kreide nur, aber doch unübersehbar. Eine spontane Antifa der Knirpse aus der Nachbarschaft attackiert das Hetzzeichen mit Wasserpistolen und Gießkannen. Ein Junge schreibt Wörter daneben. Friede, Freiheit, Liebe, Bürgerrechte. Aber all das Spülen und Schrubben nutzt nichts. Das Hakenkreuz bleibt. Ein Zehnjähriger macht schließlich kurzen Prozess. Mit einer dicken Straßenkreide malt er ein großes Peace-Zeichen drüber. Das sieht man auch noch am nächsten Morgen. Bis zum nächsten Regen wird es wohl bleiben.

Andrian Kreye

SZ vom 18. Mai 2018

Mitten in Lisboa

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Lissabon

Alle, die nach Lissabon reisen, wollen mit einer dieser klapprigen Straßenbahnen aus den 1930er-Jahren fahren, die die Hügel der Stadt emporquietschen. Weil das so schön langsam ist. Was aber, wenn man nicht zum Spaß hier ist, die Tram also nach einem anstrengenden Arbeitstag wirklich zu brauchen glaubt? Man ist genervt angesichts der Schlange von Touristen, die vor dem Schild mit der Nummer 28 an der Praça Martim Moniz warten. Warum sie da warten? Wahrscheinlich steht irgendwo in diesem Internet, dass da die Linie 28 hält, die die schönste Strecke fährt. Tatsächlich aber hält die 28 an einem Wartehäuschen einige Meter weiter, wo Alltagsmenschen mit Tüten und Taschen warten. Die Tram kommt, wir steigen ein. Der Wagen passiert die Touristen, alle starren auf ihre Smartphones. Wahrscheinlich stehen sie da immer noch.

Sebastian Schoepp

SZ vom 11. Mai 2018

Mitten in Besançon

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Besançon

Nach 200 Kilometern gibt es Mittagessen in Besançon. Und statt sich bei Gegenwind und Dauerregen zu fragen, warum man unbedingt bei der Rennradtortur von Freiburg nach Nyons in Südfrankreich - 615 Kilometer in maximal 40 Stunden - mitmachen wollte, tauchen neue Gedanken auf. Etwa: Sehe auch ich so elend aus wie die anderen? Wird die Kellnerin schimpfen, weil wir mit dem nassen Regenzeug alles einsauen? Und: Müssen wir echt gleich wieder auf das Rad steigen? Da fliegt die Tür auf, ein Baum von einem Kerl kommt herein; er ist die Tour schon zig Mal gefahren. Er stellt sich an die Bar, bestellt Pastis, prostet den Leidensgenossen zu und stürzt den Anisschnaps herunter. "Für die Moral!", donnert er durch den Raum und geht raus in den Regen, zurück zu seinem Rad. Aha, so geht das. Erfahrene Sportler kennen so gute Tricks!

Sebastian Herrmann

SZ vom 11. Mai 2018

Mitten In Cannes

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Cannes

Einer dieser Empfänge am Rande der Fernsehmesse, bei der irgendjemand irgendetwas zu verkünden hat. In dem Strandlokal an der Croisette werden Häppchen gereicht und Getränke, ansonsten zieht sich das Ganze etwas. Man steht so rum. Ob es ihn störe, wenn sie eine Zigarette rauche, fragt die Frau den Mann neben ihr. "Nein nein, keinesfalls", er habe früher selbst sehr gern geraucht, sagt der Mann. Ob sie vielleicht ein Feuerzeug habe, damit wiederum er - etwas umständlich zwar, aber ganz Galan - ihr die Zigarette anstecken könne? "Schon", sagt die Frau, und nestelt ihr Feuerzeug aus der Handtasche, "aber ich hab nur dieses." Am Kiosk gab es nur eine Sorte Feuerzeuge, und auf ihrem prangt eine dralle, nackte Brünette, die sich an einer Stange rekelt. Manchmal ist es eben gar nicht so leicht, mit den Männern und den Frauen.

Karoline Meta Beisel

SZ vom 11. Mai 2018

Mitten In Rio de Janeiro

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Sofern sich die Geburt eines Kindes deutscher Staatsbürger im Ausland "ereignet", so ist eine Nachbeurkundung erforderlich. Sich in Rio ereignende Geburten fallen in die Zuständigkeit des Standesamts I in Berlin. Dieses Amt teilt mit: "Die durchschnittliche Bearbeitungszeit (...) beträgt 33 Monate, maximal 4 ½ Jahre." Und weiter: "Sobald die Urkunden fertig sind, werden Sie unverzüglich von Ihrer Auslandsvertretung informiert." Halten wir fest: Nachdem die Beamten zweidreiviertel bis viereinhalb Jahre lang ohnehin alle Hebel in Bewegung gesetzt haben werden, um den Antrag möglichst fix zu genehmigen, wird es danach erst richtig rasant. Dann wird keine Mittagspause und kein Kaffeekränzchen mehr vergehen, ehe jemand "unverzüglich" zur Hauspoststelle sprintet, um das Dokument nach Brasilien zu schicken. Kein Wunder, dass die deutsche Effizienz dort so berühmt ist.

Boris Herrmann

SZ vom 4. Mai 2018

Mitten In München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Es kracht. Mitten in der Nacht. Ein Erdbeben? Dann kreischt es aus der Wohnung drüber: "Du Arschloch! Warum tust du mir das an?" Okay, jetzt ist man wach. Es klingt, als ob Regale umfallen, Bücherstapel auf den Boden krachen, Vasen an Wänden zerschellen. Ein Mann ruft: "Was soll ich gemacht haben?" Bumm. Sie: "Ahhhh! Du hast meinen Kopf gegen die Wand geschlagen!" Er: "Das habe ich nicht gemacht, du ...!" Schluchzer, Schreie - Schläge? Hm. Was tun? Die Nachbarn zur Rede stellen? Die Polizei rufen? Dann öffnet sich die Balkontüre, einer der beiden Streitenden wirft mit Schwung etwas auf die Straße, wo es dumpf aufschlägt. In der Dunkelheit ist es nicht zu erkennen, am nächsten Morgen schon: Ein riesiges Lebkuchenherz, so eines, das man erst nach fünf Mass kauft, liegt im Dreck, zersplittert. Die Aufschrift: "I gib di nimmer her".

Nakissa Salavati

SZ vom 4. Mai 2018

Mitten In London

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... London

Die Briten lieben Wissenstests; in der Hauptnachrichtensendung am Morgen etwa bekommt das ganze Land täglich ein Rätsel gestellt. Und die Briten lieben ihr Kneipenquiz. Es gilt: kein Telefonjoker, keine Hilfsmittel, Gruppengröße egal. Im "Shakespeare" treten diesmal sechs Gruppen von bis zu neun Briten und ein Team aus drei Deutschen an. Manche Fragen sind absurd: Hinterlässt ein Wombat quadratischen Kot? Wie lange hat der Läufer beim London-Marathon gebraucht, der sich ein Furzkissen in die Hose gesteckt hatte? Die Deutschen versemmeln Runde eins, in der nächsten werden sie Zweite. Plötzlich steht ein sehr großer Brite am Tisch und droht: "Die dritte Runde gewinnt ihr nicht. Es geht nicht, dass die Deutschen uns beim Fußball und beim Quiz schlagen." Die letzte Runde geht an das größte britische Team, die Welt im "Shakespeare" ist wieder in Ordnung.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 4. Mai 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Marrakesch

Auf dem Djemaa el Fna, dem zentralen Marktplatz von Marrakesch, herrscht phänomenales Chaos. Schlangenbeschwörer, Jongleure und Wahrsagerinnen scharen ihr Publikum um sich, Verkäufer preisen schreiend ihre Waren an - frisch gepressten Orangensaft, gefälschte Markenhandtaschen, überteuerte Ledergürtel. An den Essensständen gibt es gegrillten Schafskopf, gekochte Schnecken und Hammeleintopf. Die Inhaber versuchen, die Touristen zielgruppengerecht an die Stände zu locken. Zuerst sondieren sie, woher die potenziellen Gäste kommen: "Hola! Español?" "Bonjour! Français?" "English? Hello my friend!" Dann gehen sie auf Trends und Vorlieben ein. Als der Schneckenbrutzler merkt, dass wir deutsch sind, macht er sofort auf Slow Food. "Leckerschmecker! Alles regional und bio!" Danke, vielleicht ein anderes Mal.

Titus Arnu

SZ vom 27. April 2018

Grado Italien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rom

Im vollen Bus, Linie 63. Gerade rumpelte er noch über die Schlaglöcher und unebenen Pflastersteine auf der Piazza Venezia, dass einem bange war um die Achse, die Decke, das Leben. Draußen ist es 29 Grad warm, drinnen mindestens 39. Wahrscheinlich ist die Klimaanlage wieder defekt, wie so oft. Durch schmale Fenster kommt ein bisschen Luft rein, es sind flüchtige Schwaden des Glücks. Immer Winter, das wäre was! An der Via del Corso steigt eine elegante Dame zu, Täschchen am Arm. Sie drängt sich vorbei an den Studenten im hinteren Teil, schaut sich um und lehnt dann lässig an der Stange mit dem Entwertungskasten. "Signora", sagt ein Mädchen, "möchten Sie sich nicht hinsetzen?" - "Ja, Schätzchen", sagt die Signora laut und lächelt, "das wäre schön, grazie mille! Ich bin nämlich viel älter, als ich aussehe." Da ist er, der Frühling in Person.

Oliver Meiler

SZ vom 27. April 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Istanbul

Die Braut rafft ihren schneeweißen Rock, einen Traum aus Tüll, wie ihn nur türkische Hochzeitskunst zu schneidern weiß. Dann steigt sie in den Zug, einen Waggon mit zerborstenen Scheiben und Graffiti an jeder Wand. Sie nimmt Platz, ohne Rücksicht auf das opulente Outfit. Der Bräutigam, ganz in Schwarz, bleibt auf dem Bahnsteig stehen. Dann drückt der Hochzeitsfotograf auf den Auslöser. Man könnte sich in diesem Moment fragen: Warum in aller Welt lässt sich ein junges Paar auf einem Abstellgleis fürs Familienalbum ablichten? Die Braut blickt verträumt durchs gesplitterte Glas zum Bräutigam. Sie lieben wohl einfach Haydarpaşa, den stolzen alten Bahnhof der Bagdadbahn, der tot ist, seit man unter dem Bosporus hindurchfährt. Ein Plakat warnt, der Bahnhof werde renoviert. "Betreten verboten." Gilt nicht für Verliebte.

Christiane Schlötzer

SZ vom 27. April 2018

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