Reisebuch zu Nordafrika:Wissen in der Wüste

Nicholas Jubber durchquert Nordafrika, lernt das Leben der Einheimischen kennen - und häufig auch deren Perspektivlosigkeit. Die Schatten des Dschihad folgen ihm, egal ob er bei den Sahrauis oder bei den Tuareg ist.

Von Annika Brohm

Seine Liebe zur Sahara entbrennt, als Nicholas Jubber mit sechs Jahren auf dem Schoß seines Vaters die Weltraum-Saga "Star Wars" verfolgt. Während in den Dünen von Tatooine der Krieg der Sterne ausbricht, entdeckt er seine Faszination für das Unbekannte. "Immer war es die Wüste, die mir das Tor zu einer Welt öffnete, die sich grundlegend von meiner unterschied", schreibt der britische Journalist und Autor im Prolog seines Buches "Die acht Lektionen der Wüste". Etwa drei Jahrzehnte später folgt Jubber dieser Faszination. Von Fez in Marokko über Mauretanien bis nach Timbuktu reist er durch Nordafrika. Dabei folgt er den Spuren des Entdeckers Leo Africanus, der seit der Veröffentlichung seiner "Beschreibung Afrikas" im 16. Jahrhundert als Vermittler zwischen Okzident und Orient gilt.

Ähnlich wie Africanus möchte Jubber die Wüste nicht nur einfach durchqueren. Er möchte das Wissen der Menschen ergründen, die in der kargen Landschaft leben und überleben. Dafür bringt er sich Arabisch bei und freundet sich mit Nomaden verschiedener Stämme an, die ihm fortan Einblicke in ihre Lebensweise gewähren. Unter den strengen Augen seiner neuen Lehrmeister lernt Jubber, wie man Kamele sattelt und reitet, in traditioneller Manier Tee aufkocht und Himmelskörper als Kompass nutzt. Und obwohl er die Herrausforderungen der Wüste dank seiner Beharrlichkeit erfolgreich meistert, bleibt ein nagendes Gefühl bis zuletzt bestehen: "Mir wurde bewusst", schreibt er, "dass ich hier immer ein Fremder sein würde, ganz gleich, wie wacker ich mich zu schlagen glaubte." Selbst der indigoblaue Turban und die Handschuhe, die seine weiße Haut überdecken; selbst sein neuer Name - Yusuf, "der Traumdeuter mit dem bunten Mantel" - können daran nichts ändern.

Nicholas Jubber

Balanciert zwischen politischer Dokumentation und sinnlichem Reisebericht: Der britische Journalist Nicholas Jubber.

(Foto: Nicholas Jubber)

Die Schatten des Dschihad folgen ihm, egal ob bei den Sahrauis oder den Tuareg

Zu dem Gefühl der Fremde tragen auch die Nachwehen des Arabischen Frühlings bei, die Jubber auf seiner Reise deutlich spüren kann. Während der deutsche Untertitel "Mit den Nomaden Nordafrikas nach Timbuktu" genau die Wüstenromantik suggeriert, die Jubber betont vermeiden möchte, ist die englische Version deutlich präziser: "Across the Sahara in the shadow of Jihad". Die Schatten des vermeintlich Heiligen Krieges folgen ihm auf seiner Reise durch Nordafrika unentwegt: Er sieht sie bei den Sahrauis, deren Alltag einem ewigen Versteckspiel gleicht; den befreiten Sklaven Malis, die in der Hoffnung auf ein sicheres Leben freiwillig zu ihren Herren zurückkehren und bei den Tuareg, die von ihren Weidegründen verdrängt werden. Angeheizt werden die Entwicklungen durch den Klimawandel, der den Kampf der Wüstenvölker um ohnehin schon knappe Ressourcen zusätzlich verschärft. "Immer wieder stellten die Nomaden der armseligen Gegenwart wehmütig die Erinnerung an die guten alten Zeiten entgegen", schreibt Jubber.

Buchcover

Nicholas Jubber: Die acht Lektionen der Wüste. Mit den Nomaden Nordafrikas nach Timbuktu. DuMont Reiseverlag, Ostfildern 2017. 344 Seiten, 16,99 Euro.

(Foto: Verlag)

Eben diese Perspektivlosigkeit führt schließlich zu einer verhängnisvollen Dynamik. Obskure Organisationen umwerben die Nomaden, locken sie mit der Aussicht auf Lohn und Selbstachtung - und erschließen mithilfe des jahrtausendealten Wissens ihrer neuen Rekruten mühelos weite Teile der Sahara. "Was die Dschihadisten so gefährlich macht, ist ihre Allgegenwart, ihre Durchdringung vieler Netzwerke in Nordafrika", beobachtet Jubber, "und deshalb werfen sie in meinen Träumen so bedrohliche Schatten."

Mit "Die acht Lektionen der Wüste" wagt Jubber einen Balanceakt: zwischen Kindheitstraum und Ernüchterung; zwischen politischer Dokumentation und sinnlichem Reisebericht. Das Gleichgewicht hält er nicht zuletzt dadurch, dass er trotz allen Elends auch den Momenten der Freude und Euphorie einen Raum gibt: "Das ist es", notiert er, als er auf einem Kamel über den sonnenverkrusteten Wüstenboden der Sahara reitet, "die Natur ... das wahre Leben!"

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