Reisebuch:Touristen ante portas

Kolonnade und Grabtürme, Palmyra, Tadmor, Palmyra, Syrien, 2011

Zerstörte Vergangenheit: Grabtürme im syrischen Palmyra wurden vom sogenannten IS gesprengt.

(Foto: Alfred Seiland. Courtesy Hartmann Projects)

Alfred Seilands Fotografien zeigen Bauten des Römischen Reichs - und was aus ihnen geworden ist. Man ahnt: nicht nur Gutes.

Rezension von Stefan Fischer

Zu sehen ist von beiden nichts: nicht von den Vandalen und all den anderen Stämmen, die einst ins Römische Reich vorgedrungen sind, und nicht von den Flüchtlingen, die heute nach Europa kommen. Philip Parker stellt diese Parallele dennoch her in seinem Vorwort zu Alfred Seilands Bildband "Imperium Romanum. Opus Extractum II". Seilands Fotografien zeigen Relikte des Römischen Reichs - wie sie in unsere Gegenwart integriert sind oder als Fremdkörper herausstechen.

Darin manifestiert sich eine Kontinuität von Geschichte, gelegentlich auch eine Wiederholung wie auf einem Bild aus der spanischen Stadt Cartagena, wo unmittelbar neben das antike Amphitheater eine moderne Open-Air-Bühne gebaut worden ist. Insofern ist Parkers These stichhaltig. Zwar haben die Fotografien oft auch eine komische Komponente, sie erschöpfen sich aber nicht in der Pointe, die das Aufeinandertreffen von Vergangenheit und Gegenwart manchmal hervorbringt.

Parker verweist auf noch etwas, das in diesem Zusammenhang wichtig ist: Eine Umrundung der Außengrenzen des Römischen Reiches sei vor zehn Jahren noch sehr gut möglich gewesen, von geringen Ausnahmen abgesehen. Heute indessen sei das undenkbar.

Zu viele Krisen und Kriege, zu viele instabile Staaten müsste man durchreisen auf so einer Tour. Es geht also, und das zeigen etliche der Bilder, um Fragen der Identität - und ob es so etwas überhaupt gibt: die Identität Europas oder die Identität des Mittelmeerraums.

Und ob die aktuellen Entwicklungen, die viele neue Menschen nach Europa bringt, zu ähnlichen Umwälzungen führen werden wie einst die Völkerwanderungen in der Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends.

So zeigt der Band auch Szenen, die man in der Form heute nicht mehr zu Gesicht bekommt. Etwa hat Seiland 2013 im Bardo-Museum in Tunis fotografiert, wo unter anderem römische Mosaiken ausgestellt sind. Zwei Jahren später wurde dort ein Attentat verübt, zwei Dutzend Menschen starben. Seither hat das Museum, das unmittelbar neben dem Parlament liegt, kaum noch Besucher. Und die friedliche syrische Szenerie von 2011 ist bis auf Weiteres Geschichte.

Daneben gibt es aber auch eine Reihe kurioser Motive: Die jordanische Felsenstadt Petra zeigt Alfred Seiland menschenleer, was einem so richtig erst auffällt, weil leere Tische und Bänke auf der sandigen Fläche vor dem eindrucksvollen Mausoleum akkurat aufgereiht sind. Das suggeriert eine Ordnung, die in Windeseile in sich zusammenfällt, sobald die Besucher den Ort stürmen.

Auf Sizilien hat Seiland vom Berg Barbaro herunter den Tempel von Segesta fotografiert - auf dem Bild ist auch das benachbarte Plateau zu sehen, auf dem ein Ausflugsbus parkt. Beide, Tempel und Bus, werden gleichwertig präsentiert, wie sie so als Riegel in der Landschaft stehen. Und das ist vielleicht sogar wahr. Ohne Touristen hätte die antike römische Architektur womöglich heute nicht die Wertschätzung der breiten Masse. So aber wird sie erhalten, wird zu einem Wirtschaftsfaktor.

Woanders hat über die Jahrtausende keine Umwidmung stattgefunden, etwa von einer religiösen in eine touristische Stätte: Auf Capri nutzen die Menschen noch heute das Tiberius-Bad, um im Golf von Neapel zu baden.

Alfred Seiland: Imperium Romanum. Opus Extractum II. Hartmann Books, Stuttgart 2016. 144 Seiten, 35 Euro.

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