Reisebuch:Stein, Holz, Glas

Die neue Lust am Schönen: ein Band über den südtiroler Weinbau im doppelten Sinn. Andreas Gottlieb Hempel nimmt einen mit auf diese Tour durch das neue Weinland.

Von Stefan Fischer

Der Tisch und die Stühle, die Türe und die Wände: reines Weiß. Die Lampen in diesem Verkostungsraum sind eigens hierfür entworfen worden, sie sollen das bestmögliche Licht auf die Weine werfen vor einem neutralen Hintergrund. Denn nichts soll von ihnen ablenken, vor allem nicht bei der Farbbeurteilung. Ein immenser Aufwand ist das, den der Südtiroler Winzer Armin Kobler zusammen mit dem Architekten Lukas Mayr da betrieben hat, um auf seinem Weinhof in Margreid einen möglichst unscheinbaren - und doch auch wieder schicken Ort zu schaffen. Armin Kobler steht damit nicht allein.

Zum Selbstverständnis vieler Winzer in Südtirol gehört es inzwischen, ihre Weine angemessen zu präsentieren in neuen oder umgebauten Kellereibauten. Diese Entwicklung hat vor ungefähr 20 Jahren eingesetzt, inzwischen gebe es in Südtirol mehr als 40 solcher Bauwerke, die architektonisch beachtenswert seien, schreibt Andreas Gottlieb Hempel in seinem kundigen Band "WeinBau", in dem es um den Zusammenhang von Wein und Architektur geht. Und es geht dabei nicht nur um den Ehrgeiz der Winzer, sondern auch um die Erwartung der Kundschaft: Die Architektur ist im Weinbau nicht zuletzt ein Marketinginstrument, das wussten französische Winzer schon im 19. Jahrhundert, als sie ihre Châteaus bauen ließen - reine Überwältigungs-Architektur. "Weinkenner lieben es, die Landschaft ihrer bevorzugten Weine aufzusuchen, die Weinberge zu begehen und die Kellereien zu besichtigen", schreibt Hempel: "Dort bestimmt dann der Eindruck, den eine gelungene Architektur macht, auch das Urteil über den Wein." Der Tourismus wird zum Bindeglied.

Nun bauen die Winzer keine Schlösser mehr, sie verfolgen moderne und zugleich funktionalistische Konzepte. Südtirol ist dafür ein schwieriges Terrain. Die ersten rationalistischen Bauten fielen in die Zeit des Italofaschismus, in die Jahre nach dem Anschluss Südtirols an Italien. Sie wurden dadurch zum Inbegriff einer, wie es vielmals empfunden worden ist, Besatzung. Auch aus diesem Grund stand man in Südtirol nach dem Zweiten Weltkrieg der architektonischen Moderne noch lange Zeit kritisch gegenüber. Die Weingüter waren unter den ersten, die neue gestalterische Ideen aufgegriffen haben. Die Kellerei Nals, ebenfalls in Margreid, gewinnt inzwischen Preise in beiden Segmenten: bei der Architekturbiennale 2012 in Venedig und bei den Prämierungen von Weinführern wie "Gambero Rosso". Es wird jedoch bis heute gestritten über diese Architektur: Die Kellerei Bozen errichtet nun endlich mit großer Verzögerung aufgrund massiver Einwände ein neues Verkaufsgebäude in Moritzing, ein Würfel, dessen Fassaden die Struktur von Weinblättern haben.

Es verändert sich aber nicht nur die Präsentation, sondern auch der Wein selbst. Südtirol verwandelt sich entschieden von einer Rot- in eine Weißweinregion. Die Vernatschtraube wird zurückgedrängt oder aber vernünftig ausgebaut - inzwischen gibt es sogar Vernatsch-Weine mit höchsten Auszeichnungen. Die für Südtirol lange Zeit so typischen Laubengänge in den Weinbergen verschwinden, weil der Anbau in sogenannten Pergeln auf Masse und nicht auf Qualität ausgelegt war.

Andreas Gottlieb Hempel nimmt einen mit auf eine Tour durch dieses neue Weinland, von Winzer zu Winzer, von Neubau zu Neubau, in knappen Texten und mit anschaulichen Fotografien. Ganz nebenbei lernt man etwas über diese Landschaft, über das Klima und darüber, dass man Südtirol noch einmal unterteilen muss in sieben verschiedene Anbaugebiete.

Wie wichtig der Tourismus für die Winzer ist, zeigt eine Zahl: Die Hälfte der jährlich erzeugten 300 000 bis 350 000 Hektoliter Wein wird gleich dort getrunken - oder in Kofferräume verladen. Von den Einheimischen selbst, die von ihren Gästen nach Kräften unterstützt werden.

Andreas Gottlieb Hempel: WeinBau. Wein und Architektur in Südtirol. Folio Verlag, Wien / Bozen 2016. 144 Seiten, 25 Euro.

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