Reisebuch:Schatten der Arktis

Der Fotograf Laurent Baheux sucht in den polaren Regionen des Nordens nach den Grau- und Schwarztönen von Eis und Schnee.

Von Stefan Fischer

Der Schnee ist anthrazitfarben auf der ersten Fotografie in diesem Band. Die Pfotenabdrücke eines Eisbären sind auf dem ebenen Untergrund zu sehen. Er ist dort etwas heller, wo die Fußballen aufgesetzt haben. Wo sich die Zehen in den Schnee gegraben haben, ist er hingegen schwarz.

"Ice is black", mit diesem Paradox hat der Fotograf Laurent Baheux seinen Band betitelt. Weiß erscheint die Polarregion nur, wenn das Sonnenlicht auf sie fällt - und selbst dann ist es kein reines Weiß. Schmutzpartikel aus der Luft lagern sich ab, und die Schatten sind in der Regel lang, denn die Sonne steht meistens tief. Oft ist sie auch verdeckt, und dann verschwindet die Helligkeit weitgehend, werden die dunklen Töne noch prägender. Baheux hat für "Ice is black" in Schwarz-Weiß fotografiert. Das erhöht die Kontraste und lenkt den Blick stärker auf die Materie der Motive.

Die dunklen Eisbärennasen und -augen sowie das Fell der Rentiere dominieren dann plötzlich die Aufnahmen, weil sie - wie alle schwarzen oder tiefgrauen Elemente - die Szenerie weitaus klarer strukturieren als das konturlose Weiß. Das Meer ist ohnehin oftmals dunkel vor Spitzbergen, Island, der Baffininsel und in der Hudson Bay - überall dort hat Laurent Baheux fotografiert. Und auch die Tiere gehen eben nicht vollständig auf im Weiß des Schnees. Sie sind dadurch ohnehin besser getarnt. Denn die vielen Schatten der Risse im Eis sowie von Graten und Felsen, von Schneebergen und -blöcken bieten nur dann Tarnung, wenn man selbst darin versinken kann.

Insofern ist "Ice is black" ein ungewöhnlicher Bildband. Viele Fotografen, die in Polarregionen unterwegs sind, suchen nach den raren Momenten, in denen Eis und Schnee funkeln und glitzern, in denen das Licht gleißend reflektiert wird. Baheux orientiert sich an der Kehrseite dessen. Wenn das Licht ungehindert auf die Erde fällt, richtet er sein Objektiv auf die tiefen Schatten. Wenn die Wolkendecke dicht ist, wie meistens, dokumentiert er die vielfältigen Abstufungen von Grautönen.

Tagelang ist Baheux mitunter den Spuren von Tieren gefolgt, ehe er Eisbären und Polarfüchse zu Gesicht bekommen hat; nicht ganz so aufwendig war die Suche nach Rentieren und Seehunden. Auch von diesen frostresistenten Überlebenskünstlern sind ihm ungewöhnliche Aufnahmen gelungen: Baheux friert die Bewegungen der Tiere nicht ein, sondern nimmt sie auf und macht sie zu einem Teil seiner Bildsprache. Auch wenn er längst nicht mehr als Sportfotograf arbeitet, so profitiert er von dieser früheren Spezialisierung auch in der Einsamkeit der Eiswüsten. Tobende Eisbärenjunge, fliehende Rentiere, Polarfüchse auf der Pirsch: Die Motive in diesem Bildband wirken der vermeintlichen Unveränderlichkeit der polaren Landschaft entgegen. Sie sind dynamisch und verhindern auf diese Weise, dass die Landschaft zur Kulisse degradiert wird, vor der ein paar Tiere sich possierlich geben. Bei Baheux ist die verschneite Weite sichtlich ein Lebensraum, in dem sich die Tiere ihrer Natur gemäß bewegen. Eine gewisse Bedrohlichkeit ist allen Bildern eingeschrieben, allein schon durch die eisige Atmosphäre, die nie als Schneeballschlacht-Verlockung misszuverstehen ist. "Ice is black" meint auch: Das Eis und der Schnee sind abgründig und lebensbedrohlich für den Menschen.

Laurent Baheux: Ice is black. Verlag teNeues, Kempen 2017. 192 Euro, 59,90 Seiten.

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