Reisebuch:Kristallklar

Johannes Schweikle hat ein Lob des Schnees geschrieben. Darin macht er sich den Charakter des von ihm beschriebenen Gegenstands zu eigen: Er berichtet mit einer gewissen Kühle von seinem Abenteuer.

Von Stefan Fischer

Das Buch ist wie sein Gegenstand selbst von wechselhafter Natur. Gerade noch ist Johannes Schweikle mit einer überschaubaren Gruppe unterwegs auf einer Skitour in Grönland, da stürzt er sich schon in den alpinen Pisten- und Partytrubel in Ischgl. Noch steht er als Zuschauer auf der Tribüne beim Biathlon in Ruhpolding, dann nimmt er auf der Seiseralm selbst teil am Langlauf-Marathon bei Vollmond. Es verhält sich in den einzelnen Kapiteln also wie mit dem Schnee, um den es jedes Mal geht: Mal schwebt er romantisch vom Himmel, dann wieder fegt ihn ein Sturm wüst in die Landschaft. Hier macht er sich rar, dort ist er zu viel. Aber immer ist er dem Autor willkommen, so wie seine Geschichten alle neugierig machen. Egal, wie nah einem das einzelne Thema grundsätzlich ist, ob man selbst also eher Langläufer oder Freerider ist. Und egal auch, wie überraschend das Phänomen ist, über das er berichtet.

Denn in noch einem wichtigen Punkt macht sich Johannes Schweikle den Charakter seines Gegenstandes zu eigen: Er berichtet mit einer gewissen Kühle von seinen Abenteuern und Recherchen. Und erreicht genau dadurch, was er möchte: Dass sich seine Begeisterung für den Schnee überträgt auf seine Leser. Schweikle begeht also nicht den Fehler, blumig zu schwärmen, heikle Situationen aufzublasen und sich bevorzugt in Superlativen auszudrücken. Wissend, dass man mit dieser Strategie die Dinge oftmals kleiner macht, als sie tatsächlich sind: Weil der Leser argwöhnt, dass sie nicht für sich sprechen, wenn offenbar derart viel sprachliche Überzeugungs- und Überwältigungsarbeit notwendig ist.

Der Schnee dämpft die Geräusche, und das kommt Johannes Schweikle entgegen, er macht keinen Lärm. Er beobachtet, er beschreibt klar, was er sieht und erlebt. Er ist neugierig auf seine Gesprächspartner, lässt sich von ihnen aber nicht einlullen. Als Leser seiner Reportagen kann man sich deshalb ein Bild machen, kann sich eine Szenerie ausmalen - weil Johannes Schweikle genügend Anhaltspunkte liefert. In seine Empfindungen könnte man sich im Zweifelsfall nur schwer hineinfühlen. Aber man kann sich leicht überlegen, was man selbst empfinden würde, verfehlte man trotz GPS eine Schutzhütte in Norwegen, weil sie dermaßen eingeschneit ist, dass sie in der Abenddämmerung nicht mehr auszumachen ist in der ebenmäßig von Schnee eingehüllten Landschaft. Und für wie verrückt man die professionellen Freerider hält, die nicht nur ihre Gesundheit, sondern mitunter tatsächlich ihr Leben riskieren, wenn sie sich beispielsweise in die Steilhänge des Bec des Rosses hineinwagen: Das kann auf die Art, wie der Autor die Profi-Riderin Lorraine Huber porträtiert, jeder für sich selbst entscheiden.

Das bedeutet aber nicht, dass Johannes Schweikle keine Haltung hätte gegenüber bestimmten Auswüchsen des Wintertourismus. Er fühlt sich nur nicht verpflichtet zu missionieren. Er liebt den Schnee und die Möglichkeiten, die er bietet, auf welcher Art Skiern auch immer über ihn hinwegzugleiten. So sehr, dass er sich auch auf Abenteuer einlässt, auf Unternehmungen, die Ausdauer, Willen und eine gewisse Leidensfähigkeit erfordern. Er kann verständlich machen, wodurch er entschädigt wird für die Strapazen; auch jemandem, der niemals auf die Idee käme, tagelang irgendwo nördlich des Polarkreises langzulaufen und rohe schwarze Muscheln zu essen.

Schließlich lernt man von Johannes Schweikle auch noch: Es stimmt gar nicht, dass die Inuit Dutzende Wörter für Schnee haben. Das mag auf den ersten Blick enttäuschend wirken, weil es eine hübsche Vorstellung ist, dass so etwas Schönes wie Schnee so viel sprachliche Fantasie und Differenzierung hervorruft. Aber letztlich ist es wie mit den blumigen Schwärmereien: je mehr Ornament, desto weniger Substanz.

Johannes Schweikle: Schneegeschichten. Unterwegs zum vergänglichen Glück. Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen 2015. 216 Seiten, 18 Euro.

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