Reisebuch:Karten - eine Frage der Perspektive

Landkarten scheinen Berge, Flüsse, Grenzen ganz objektiv abzubilden. Dabei stehen Karten oft für ein Weltbild - und manche sind einfach falsch.

Eine Rezension von Stefan Fischer

Wer glaubt, es komme einzig auf die Geografie an, hat einen recht biederen Eindruck von der Kartografie. Denn der Einfluss von Religionen, Ideologien und Mentalitäten auf die Gestalt und den Inhalt von Karten ist immens: Frühe europäische Karten etwa sind häufig theologisch gedacht, also vielleicht für die religiös-moralische Orientierung hilfreich, aber gewiss nicht für die physische. Auf ihnen liegt oft Jerusalem im Zentrum einer Scheiben-Welt.

Karten sind Weltbilder - und deshalb naturgemäß sehr oft nicht objektiv. Der opulente Band "MAP - Karten" zeigt das vortrefflich, er beginnt mit zwei berühmten Karten aus dem 20. Jahrhundert, die bewusst eine verzerrte Darstellung liefern: Daniel K. Wallingfords "A New Yorker's Idea of the United States of America" von 1939 und Saul Steinbergs "View of the World from 9th Avenue" von 1976. Beide mokieren sich über die Selbstbezogenheit der New Yorker und ihren Hang, den Rest der USA und der Welt als Provinz, als eine Art Hinterhof ihrer Stadt wahrzunehmen.

Sehr bald trifft man in dem Band auch auf Karten, die von Künstlern gestaltet sind. Olafur Eliasson hat 2005 für seine "Daylight Map" die Grenzen der Zeitzonen aus Neonröhren gebaut - wo auf der Erde gerade Tag herrscht, leuchten sie. Und versinnbildlichen zugleich, dass die Sonne seit der Elektrifizierung die Tagesabläufe der Menschen nicht mehr zwingend dominiert. Andere Karten kreieren ein Bild der Erde, indem sie Tweets oder Flugbewegungen visualisieren.

Die Welt steht Kopf

In erster Linie ein Souvenir für Touristen ist in Australien und Neuseeland die "Upside Down World Map": Da steht die Welt Kopf, ist der Süden oben und der Norden unten. Eine Spielerei vor allem, die mit der lange Zeit schon wichtigsten kartografischen Konvention bricht und dadurch irritiert und erheitert. Aber doch auch ein kritischer Hinweis darauf ist, mit welcher Selbstverständlichkeit sich der Norden über den Süden stellt - und eben nicht nur in den Darstellungen der Welt.

Daniel Coe belegt, dass sich in Karten auch die Historie einer Landschaft einschreiben lässt: Was wie Zigarettenrauch aussieht, ist der sich in der Erdgeschichte stetig verändernde Lauf des Willamette River in Oregon, der sich immer tiefer in die Landschaft gräbt. Coes Karte ist im Prinzip nichts weiter als eine Höhenkarte: Je heller ein Punkt auf ihr ist, desto tiefer liegt er.

"MAP - Karten" macht begreiflich, wie unsere Bilder der Welt entstehen - und wie man Karten kritisch liest. Weil im Grunde jede in einer bestimmten Absicht entsteht. Und weil Kartografen natürlich auch fehlbar sind: Johannes Vingboons hat Kalifornien 1639 als Insel dargestellt.

MAP - Karten. Die Welt entdecken. Aus dem Englischen von Heinrich Degen, Ursula Fethke und Petra Frese. Phaidon by Edel, Hamburg 2015. 352 Seiten, 49,95 Euro.

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