Reisebuch:Ideale Welt

Ein Bildband über neapolitanische Krippen zeigt, wie sehr man in Süditalien Weihnachten als große, theatralische Inszenierung empfindet.

Von Stefan Fischer

Krippe oder Christbaum - das war einmal eine Grundsatzfrage, die Europa in zwei Lager gespalten hat. Und bis heute ist die Antwort darauf für manche Menschen eine Lebensentscheidung. Der Schriftsteller Luciano de Crescenzo, ein Neapolitaner, hat in seinem 1977 erschienenen Buch "Also sprach Bellavista" eine Hauptfigur erfunden, die dezidiert fordert: Ob einer Alberist ist, also einen Baum aufstellt zu Weihnachten, oder Presepist, dem nur eine Krippe in die gute Stube kommt, das gehöre im Pass vermerkt wie Name und Geschlecht. Sogar vor Mischehen warnt Professor Bellavista.

Dieter Richter, der ausgiebig geforscht hat zur Kulturgeschichte Neapels, macht an dieser vielerorts inzwischen aufgeweichten Festlegung auf entweder Baum oder Krippe ganze Glaubens- und damit Lebensrealitäten fest. In seinem Aufsatz für den lehrreichen und anschaulichen Band "Buon Natale" über die Choreografien der neapolitanischen Weihnacht weist er den Baum den Protestanten und die Krippe den Katholiken zu - hier das "natursentimentale, ernste, kleinfamiliale, schnee- und kerzenweiße Christfest", so Richter, dort die "theatrale, heitere, gesellige, farbenfrohe festa di Natale".

Nun gibt es Krippen längst auch in protestantischen deutschen Haushalten (und in Neapel wiederum findet man Christbäume, wie Heike Ollertz auf ihren Fotografien belegt). Aber diese zeigen nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was eine typische neapolitanische Barockkrippe darstellt. Die deutsche Miniaturausgabe, das ist die Heilige Familie, eine Hirte mitsamt ein paar Schafen, eventuell noch die Heiligen Drei Könige. Eine neapolitanische Krippe hat drei Ebenen. Auf der oberen lagern die Hirten, denen Christi Geburt von den Engeln verkündet wird und die sich daraufhin auf den Weg nach Bethlehem machen. Auf der mittleren Ebene führen die Wege hinunter zum Jesuskind, immer mehr Figuren schließen sich dem Zug an. Unten gibt es drei Grotten - nicht in einem Stall, sondern in einer Grotte ist der Heiland für die Neapolitaner geboren: eine für die Heilige Familie, in einer zweiten befindet sich ein Gasthaus, in einer dritten residiert der Ciccibacco, eine Bacchusfigur. "Die neapolitanische Weihnachtskrippe ist die Bühne eines Theraterspektakels", schreibt Dieter Richter, "in der die Regie der Commedia dell'Arte am Werk ist." Das Heilige und das Profane kommen zusammen, eine Volksszene wird dargestellt und zugleich eine biblische Geschichte repräsentiert. Die Krippe zeige das Abbild einer zwar existierenden, jedoch idealisierten Welt, die die Vision einer durch die Geburt Christi erlösten Welt vermitteln wolle, schreibt Christoph Kürzeder, Herausgeber von "Buon Natale" und Direktor des Diözesanmuseums Freising.

Das Museum besitzt eine neapolitanische Krippe aus dem 18. Jahrhundert mit 135 Menschen- und 65 Tierfiguren. Gemeinsam mit dem Sieveking Verlag hat das Diözesanmuseum das Buch über die Inszenierung der neapolitanischen Weihnacht erarbeitet. Es geht dabei nicht im Kern um die Freisinger Krippe, die dient allerdings des Öfteren als Beispiel und Anschauungsobjekt. Vor allem geht es um Neapel, um die Krippentradition dieser Stadt, das immer noch bestehende Handwerk des Krippen- und Figurenbaus, den touristischen Reiz. Kurz: Um die Mentalität Neapels.

Christoph Kürzeder (Hrsg.): Buon Natale. Choreografien der neapolitanischen Weihnacht. Sieveking Verlag, München/Berlin und Diözesanmuseum Freising 2015. 176 Seiten, 39,90 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: