Reisebuch:Eine Frage der Perspektive

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Der Fotokünstler Ola Kolehmainen ist quer durch Europa gefahren, um Kirchen, Synagogen und Moscheen abzubilden. Seine Bilder erzählen eine Geschichte der Gemeinsamkeiten.

Von Evelyn Pschak

Säulengestützte Bogengänge, Gold- und Sepiatöne alter Fresken, durch Kuppelfenster einfallendes, gebündeltes Licht, das über polierten Marmorboden gleißt: Es ist das Architekturvokabular religiöser Ehrfurcht, welches Ola Kolehmainen in seinem Bildband "It's All One History, Almost" fotografisch in Szene setzt. Doch der vermeintlichen Bildkompetenz des Betrachters folgt alsbald die Irritation des zweiten Blicks: Denn der finnische Fotokünstler bricht die Symmetrien gewohnter Bildachsen.

Kolehmainens großformatige Fotografien setzen sich zusammen aus mehreren Aufnahmen, die er von leicht versetzten Standorten aus gemacht hat. Durch diese kleinteilige Rasterung verschiebt er Perspektiven, kappt Kolonnaden, lässt, kaum merklich, Mosaike sich neigen.

Die Zerlegung folgt einem theoretischen Überbau: "Wie wir einen Raum, wie wir Architektur erfahren, hängt davon ab, wie wir den Standort unserer Betrachtung wählen. Und wie wir aufschauen. Das menschliche Sichtfeld ist sehr eng. Also müssen wir unsere Augen bewegen, den Kopf drehen und uns selbst im Raum bewegen", erklärt Kolehmainen sein Vorgehen.

Die großformatigen Fotografien erzeugen mit einem Trick Dreidimensionalität

Eigentlich sind die Architektur wie auch die Fotografie dem Statischen zuzurechnen. Bei Kolehmainen geraten sie jedoch zu Vehikeln des Fortlaufenden: "Das finale Foto wird aus diesen Fragmenten zu einem Einzelbild zusammengesetzt. Dieses Polyptychon rekonstruiert die räumliche Erfahrung, es entsteht ein 3-D-Eindruck des Raums auf einem mehrteiligen, zweidimensionalen Foto", so der Künstler.

So plastisch kann man den Raum als Betrachter im Gotteshaus auf einen Blick gar nicht sehen: Die Bilder von Ola Kolehmainen sind aus mehreren Fotografien zusammengesetzt, die von leicht veränderten Standpunkten aus gemacht wurden. Hier die Selimiye-Moschee in Edirne. (Foto: Ola Kolehmainen)

Der 1964 in Helsinki geborene Wahl-Berliner gehört zur ersten Generation der Helsinki School. Intensität und Präzision wird den Werken dieser losen Verbindung konzeptuell arbeitender Künstlerfotografen zugeschrieben, die allesamt an der Hochschule für Kunst und Design der finnischen Hauptstadt studiert haben.

Trotz der konzeptuellen Strenge besitzt Ola Kolehmainens fotografisches Werk ein schwebendes Moment, das die steinernen Mauern in den Spitzlichtern und Schlagschatten der Hell-Dunkel-Malerei beinahe auflöst und aus den konkreten Motiven somit der Zeit enthobene Gebilde formt.

"It's All One History, Almost" umspannt die drei abrahamitischen Religionen, der Band zeigt geweihte Orte des Juden- und des Christentums sowie des Islams, die der Künstler besucht hat. Trotz der über Jahrtausende schwelenden Uneinigkeit dieser drei Religionsgemeinschaften gibt es Verbindungen. Claire Gould, Kuratorin des Kunstmuseums von Helsinki, wo Ola Kolehmainens Fotografien noch bis Anfang März ausgestellt werden, schreibt in der Einführung des Buches, das zugleich Ausstellungskatalog ist: "Ihre Gemeinsamkeiten und geschichtlichen Überlagerungen unterstreichen die universelle Natur des Sublimen."

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(Foto: Ola Kolehmainen)

Durch die zusammengesetzten Bilder werden Bögen versetzt dargestellt und Säulen durchbrochen: hier die Spanische Synagoge in Prag.

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(Foto: Ola Kolehmainen)

San Giorgio Maggiore bei Venedig.

Durch 14 europäische Städte führt der reichhaltige Bildband, zu mehr als 50 Gebäuden und durch 1750 Jahre Religionsgeschichte: vom 128 nach Christus fertig gestellten Pantheon in Rom, inzwischen eine römisch-katholische Kirche, über die Moschee Selimiye in der ostthrakischen Großstadt Edirne, die als Höhepunkt der osmanischen Architektur gilt, bis zur Vercelli-Synagoge von 1878 im Piemont. In all diesen Synagogen, Moscheen und Kathedralen, für deren Abbildung Kolehmainen mit dem Auto kreuz und quer durch Europa gefahren ist, stellt der Fotograf sich selbst und dem Betrachter die Frage, wie universell Glaube ist - und wie geteilt Geschichte. "It's All One History, Almost" lautet seine Antwort. Für diesen Titel habe er sich von einem Neil-Young-Zitat inspirieren lassen, erzählt der Fotograf. "Er trägt eine politische Note in sich. Aber auch Hoffnung. Und Ironie". Letztere beweise sich vor allem darin, dass "wir die Gemeinsamkeit unserer Geschichte zwar erkennen, aber uns dennoch in ihr nicht einig werden".

Immerhin, auf Ola Kolehmainens Fotografien wirkt die Möglichkeit einer Erkenntnis näher als sonst. Und lässt nicht auch das fotografisch gerasterte Nebeneinander unterschiedlicher Perspektiven das Ansinnen zu, diese Ansammlung heiliger Orte als ein die verschiedenen Standpunkte angleichendes, größeres Ganzes zu begreifen? "Manchmal kommen wir zur Einsicht", sagt Kolehmainen. "Oder zumindest fast."

Ola Kolehmainen : It's All One History, Almost. A Journey to Space, Light, and Time. Verlag Hatje Cantz, Berlin 2017. 128 Seiten, 40 Euro.

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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