Reisebuch:Eine alte Liebe

Für Urlauber ist Afrika häufig ein Abenteuerspielplatz. Paul Theroux blickt hinter dessen Kulissen. Der 76-jährige Amerikaner bereist seinen Traumkontinent Afrika ein letztes Mal und zieht ein bitteres Fazit.

Von Stefan Fischer

Dieses afrikanische Abenteuer beginnt mit einer absurden Szene: Der amerikanische Reiseschriftsteller Paul Theroux ist beim Volk der Ju/'hoansi im Norden Namibias zu Gast, einem der ältesten der Erde, dessen Stammbaum sich 35 000 Jahre zurückverfolgen lässt. Er eilt einer Gruppe Ju/'hoansi auf Nahrungssuche nach und schneidet dieses Erlebnis gegen mit den Nachrichten, die ihn in diesen Tagen im Jahr 2011 aus Europa erreichen: "Die Griechen randalierten und schimpften lautstark auf ihre Regierung, die Italiener demonstrierten in den Straßen von Rom gegen Armut, die Portugiesen und Spanier sahen mit leerem Blick dem Bankrott entgegen." Währungen drohen zusammenzubrechen, harte Sparmaßnahmen werden angekündigt. Die Ju/'hoansi aber und ihre althergebrachte Lebensweise tangiert das nicht. Ich dachte, schreibt Theroux, "wie so oft auf meinen jahrelangen Reisen um die Erde: Die besten Menschen haben nackte Hintern".

Ihn treibt, obschon er bereits häufiger desillusioniert worden sei - das bekennt der vielgereiste Theroux -, nach wie vor eine Neugier auf das Ursprüngliche an. Deshalb ist er auch froh, wieder in Afrika zu sein, "dem Königreich des Lichts". Er hat als junger Mann ein paar Jahre in Malawi und Uganda als Lehrer gearbeitet, ist immer wieder nach Afrika zurückgekehrt; 2002 hat er "Dark Star Safari" veröffentlicht über eine Reise von Kairo nach Kapstadt. Und jetzt diese Tour, von Südafrika über Namibia bis - ja, bis wohin eigentlich? Angola möchte er sehen, dort war er noch nie, und dann womöglich weiter bis in den Kongo und Richtung Westafrika.

In Angola bricht Paul Theroux seine Reise jedoch ab, und er wird - inzwischen ist er 76 Jahre alt - nicht mehr zurückkehren auf diesen Kontinent. Aus Altersgründen, das auch. Vor allem aber aus Enttäuschung und weil er nicht glaubt, dass ihn künftig noch etwas neugierig machen wird in Afrika. "The Last Train to Zona Verde" heißt sein 2013 erschienener Bericht im Original, der Titel der deutschen Übersetzung ist noch expliziter: "Ein letztes Mal in Afrika."

Die Ju/'hoansi wollte er unbedingt in ihrer Heimat besuchen, bislang hatte er immer nur Angehörige dieses !Kung-Volks getroffen, die es in die Fremde verschlagen hatte, in die südafrikanischen Städte etwa. Er wollte sehen, wie sich im 21. Jahrhundert ein Leben führen lässt, das auf einer jahrtausendealten Tradition fußt. Paul Theroux ist nach einer Reihe von Begegnungen unschlüssig: "Vielleicht führten sie für mich nur ein Schauspiel ihrer alten Lebensweise auf, wie die Mohawks in einem Historienspiel, die mit perlenbesetzten Wildlederjacken in Birkenrindenkanus den Fluss Hudson entlangpaddeln. Am Ende seines Besuches steht ein bitteres Fazit: "Ich hatte gehofft, eine Rarität auf dieser Welt zu finden: ein Land der reinen Freude. Stattdessen war ich auf verzweifelte Menschen gestoßen, traurige Seelen ohne Hoffnung, nicht unzerstörbar, wie ich geglaubt hatte, sondern rettungsbedürftig."

Nun kann man Theroux' Erwartung naiv nennen. Das ist er aber nicht. Nur wider besseres Wissen optimistisch. Das ist sogar ein Vorzug von ihm: Er ist über die vielen Reisen nicht zynisch geworden, sondern hat sich seine Neugier erhalten, seine Hoffnung, dass die Welt sich zum Besseren verändert: "Afrika reizte mich, weil es nach wie vor so leer ist, so unvollendet wirkt, voller Möglichkeiten."

Paul Theroux kehrt auch deshalb immer wieder in Gegenden zurück, die er bereits kennt, weil er nach Veränderungen sucht, nach Entwicklungen. Auf Enttäuschungen ist er dabei durchaus eingerichtet: Der Zweck des Reisens sei, schreibt er, "genauer hinsehen, tiefer graben, das Echte vom Unechten scheiden, auf Richtigkeit überprüfen, riechen, berühren, schmecken, hören und manchmal - ganz wichtig - unter den Folgen dieser Neugier leiden".

Auf dieser Reise aber nimmt das Leiden überhand. Und man fragt sich als Leser mitunter, ob man es hier vor allem mit dem Überdruss eines alten Mannes zu tun hat, der sich nicht mehr von korrupten Grenzbeamten schikanieren lassen möchte, der die Strapazen leid ist und das Elend vieler Menschen. Aber das ist es nicht.

Scharfsinnig beschreibt er, wie selbst Länder wie Namibia von ihren Regierungen heruntergewirtschaftet werden. Er schildert die besserwisserische Arroganz vieler Entwicklungshelfer und Formen des Tourismus, bei denen die Einheimischen entwürdigt werden. Für Urlauber ist Afrika häufig ein Abenteuerspielplatz. Paul Theroux blickt hinter dessen Kulissen. Das ist oftmals ernüchternd; und man lernt als Leser viel über Südafrika, Namibia und Angola einerseits und den westlichen Blick auf diese Länder und ihre Menschen andererseits. Theroux macht es einem nicht immer leicht. Aber das sieht er grundsätzlich nicht als seine Aufgabe an, und das macht ihn auch zu einem der besten Reiseautoren der Gegenwart.

Dazu gehört auch eine unerschöpfliche Begeisterungsfähigkeit. Die bricht immer wieder hervor, allem zum Trotz.

Paul Theroux: Ein letztes Mal in Afrika. Aus dem amerikanischen Englisch von Sigrid Schmid und Reiner Pfleiderer. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2017. 416 Seiten, 26 Euro. E-Book 20,99 Euro.

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