Reisebuch "Gesichter des Nordens":Die Windmenschen

07_S.33_Gesichter des Nordens

Nasser Viehtransport auf einer Hochweide im Landmannaafréttur-Gebiet, Island.

(Foto: Ragnar Axelsson)

Ragnar Axelsson hat drei Jahrzehnte lang das raue Leben auf Island, Grönland und den Färöern porträtiert. Es sind Aufnahmen von grausamer Schönheit.

Rezension von Stefan Fischer

Mit Axel Thorarensen hat es angefangen und mehr noch mit Axels Hund Týri, beinahe dreißig Jahre ist das jetzt her. Die beiden haben einen verblüffend ähnlichen Gesichtsausdruck auf der Fotografie, die Ragnar Axelsson von ihnen gemacht hat; verkniffen, stur, aber auch ergeben, dabei die Augen geschlossen. Der Hund möchte nicht mit ins Boot seines Herrchens, der jedoch ein Fischer war und viel Zeit in diesem Kahn verbracht hat. Mit eigener Kraft ist Thorarensen viele Jahre aufs Meer hinausgerudert, erst spät hat er sich einen Motor gekauft. Einmal, hat Thorarensen dann bei einem Kaffee dem Fotografen erzählt, habe er einen auf dem Wasser treibenden Grönlandhai am Boot vertäut und so an Land gerudert.

Der Motor, schreibt der Isländer Ragnar Axelsson im Vorwort seines Bandes "Gesichter des Nordens", sei ihm als ein Fanal erschienen: Er sah darin ein untrügliches Zeichen dafür, dass sich die Welt der Menschen, wie Axel Thorarensen einer war und von denen es in seiner Heimat in den 1980er-Jahren viele gegeben hat, erst rasch verändern und alsbald wohl ganz verschwinden werde.

Zu dieser Welt gehören zwingend all die Tiere, mit denen die Menschen des Nordens zusammenleben - und ohne die ihnen ein Überleben oftmals gar nicht möglich wäre. Am deutlichsten wird das bei den Huskies der grönländischen Jäger. Aber die Wichtigkeit der Tiere zeigt sich auch in einer kuriosen Anekdote: Sie handelt von zwei Einsiedlern, die nahe beieinander lebten. Ob es nicht besser wäre, sie legten ihre Höfe zusammen, wurde Sigurjón Jónasson gefragt. Daraus werde nichts, antwortete der Alte. Sigriður Ragnarsdóttir und er kämen sicherlich miteinander aus. Aber ihre Hunde nicht.

Die Gesichter des Nordens, die Ragnar Axelsson fotografiert hat, gehören nicht selten zu kauzigen und eigenbrötlerischen Menschen. Wahrscheinlich muss man so sein oder so werden, wenn man sich der unwirtlichen Natur des Nordens aussetzt. Nicht alle von ihnen, schreibt Axelsson, haben diese Auseinandersetzung unbeschadet überstanden. Aber sie haben sich eine große Gelassenheit angeeignet.

Auffallend ist, wie alt viele dieser Leute auf Island, den Färöern und auf Grönland werden. Überall dort hat Axelsson fotografiert, überall dort ist er auf Achtzig- und Neunzigjährige, mitunter sogar auf Hundertjährige, getroffen. Er hat die Menschen in ihrem Alltag begleitet, in guten wie in schlechten Tagen. Axelsson kennt die prägenden Erlebnisse mancher dieser Menschen nicht aus ihren Erzählungen, er war vielmehr dabei.

Dabei, als am Silvesterabend 1994 auf einem isländischen Hof eine Herde Pferde beim Lärm der Raketen durchging und erst drei Tage später in unwegsamem Gelände, während eines Schneesturms und unter Gefahr für Leib und Leben, wieder eingefangen werden konnte. Dabei, als ein Landwirt tote Schafe und Lämmer aufsammelte, die in der Aschewolke infolge eines Vulkanausbruchs erstickt waren. Und Ragnar Axelsson hat teilgenommen an einem Trauergottesdienst für die Opfer eines Lawinenunglücks. Die Mühen des Lebens, das erbarmungslose Wetter - Ragnar Axelsson hat all das mit einer äußerlichen und innerlichen Härte auch gegen sich selbst fotografiert.

Trostlos sind die teilweise rigorosen Schwarz-Weiß-Bilder dabei keineswegs. Was an den Porträtierten liegt, die alles andere als hoffnungslos gestimmt sind - sie haben zur ersten Generation gehört, die wohl eine Wahl hatte. Sie hätten in die Hauptstädte oder sogar ins Ausland gehen können, sie hätten nicht zwingend als Jäger, Fischer oder Bauern leben müssen. Zumindest haben das etliche ihrer Altersgenossen, ihrer Geschwister gemacht. "Es wächst kein Moos auf einem rollenden Stein", entgegnen die Sesshaften.

Insofern dokumentiert Axelsson mit großer Wärme Nordleute, die ein selbst gewähltes, selbstbestimmtes Leben geführt haben. Es sind Lebensläufe, die heute so kaum noch möglich sind auf Island, Grönland und den Färöern. Dennoch gehören die Bilder nicht ausschließlich einer Vergangenheit an. Die letzten sind 2015 aufgenommen worden, viele in den 1990er- und 2000er-Jahren. Die alte Archaik mag durchbrochen sein, aber von einer Zivilisierung im kontinentaleuropäischen Verständnis sind selbst Teile des längst in den internationalen Tourismus integrierten Islands noch weit entfernt.

Für den fremden Betrachter sind diese Fotografien in hohem Grad exotisch. Und sie sind von einer ganz anderen Schönheit und Erhabenheit als jene Bilder, auf denen Eisberge im Gegenlicht funkeln und Eisbären wie auf dem Laufsteg inszeniert sind.

Ragnar Axelsson: Gesichter des Nordens. Aus dem Isländischen von Gisa Marehn. Knesebeck Verlag, München 2016. 420 Seiten, 49,95 Euro.

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