USA-Reisebücher:Bilder aus einem anderen Amerika

Die Fotografen Ronan Guillou und Tim Richmond zeigen in ihren Büchern ein Land, das losgelöst ist vom allgegenwärtigen Clinton- und Trump-Trubel.

Rezension von Stefan Fischer

Für sein jüngstes Reisebuch "Tief im Süden" ist Paul Theroux durch die Staaten im Südosten der USA gefahren - eine von der Ost- und Westküste des Landes weitgehend abgekoppelte Welt. In Arkansas hat Theroux die Menschen immer wieder befragt, ob die Clinton Foundation sich für sie engagiere - Bill Clinton stammt aus Arkansas, Hillary hat dort ihre Karriere begonnen. Nein, hat er immer zur Antwort bekommen und dabei oft den Frust der Leute herausgehört. Denn, das macht Theroux schockierend deutlich: Etliche Countys der Südstaaten sind inzwischen auf einem Dritte-Welt-Niveau gelandet: keine Arbeit, keine Bildung, schäbigste Behausungen, zum Teil keinen Strom und kein fließendes Wasser, gewaltiger Drogenmissbrauch, die Lebenserwartung um ein Jahrzehnt niedriger als im Schnitt.

Nicht nur Menschen können melancholisch sein, sondern auch Orte

Nun kann man der Bill, Hillary & Chelsea Clinton Foundation, wie sie offiziell heißt, ihr Engagement in Afrika nicht vorhalten. Aber als Indiz dafür, wie sehr sich die Clintons von ihren Wurzeln gelöst haben, lässt sich deren Ausrichtung doch lesen. Und von Donald Trump muss man annehmen, dass er schon lange nicht mehr weiß, wie ein beträchtlicher Teil der Menschen, die er regieren möchte, eigentlich lebt. Der amerikanische Traum lässt sich in vielen Gegenden kaum noch verwirklichen, das gilt für viele der Südstaaten, das gilt auch für Teile der Great Plains östlich der Rocky Mountains. Bill Kouwenhoven schreibt im Nachwort von Ronan Guillous Fotoband "Country Limit" von "The Great Beyond": das große Land hinter dem Clinton- und Trump-Land, hinter den New-York-San-Francisco-Florida-USA.

Wyoming, Colorado, Montana, Utah, South Dakota, New Mexico: Dorthin sind die Menschen einmal gezogen, weil sie eine Chance gewittert haben auf ein neues, ein besseres Leben. Diese Hoffnung ist vor mindestens einer Generation verflogen. Das zeigen sowohl Ronan Guillou als auch Tim Richmond in seinem Bildband "Last Best Hiding Place" - beide Titel sind im Kehrer-Verlag erschienen. Nicht nur Menschen können einsam sein und angefüllt mit Melancholie, stellt Richmond seinem Buch als Motto voran, sondern auch Orte. Und ganz sicher gibt es eine Wechselwirkung. Verwahrlosung ist ein Thema in den Fotografien sowohl von Guillou wie auch von Richmond. Aber auch Ödnis. Jörg Colberg schreibt im Begleittext von "Last Best Hiding Place": Klar gebe es immer ein nächstes Bier, eine nächste Zigarette und ein Bett, womöglich sogar mit einem neuen Partner darin. Aber all das würde keinen Unterschied machen zu all den Bieren und Zigaretten, zu all den Kerlen und Frauen davor.

Insofern wirkt das Bild einer Tafel am Straßenrand irgendwo in Wyoming, auf der gegen Abtreibungen missioniert wird, besonders absurd: Das Leben beginne mit der Zeugung, heißt es darauf. Aber man fragt sich beim Betrachten beider Bände: Welches Leben, welche Zukunft? Mehr als drei Viertel der Amerikaner leben inzwischen in Städten und Ballungsräumen. Ihre Provinz scheinen die USA aufgegeben zu haben.

Ronan Guillou: Country Limit. Kehrer Verlag, Heidelberg und Berlin 2015. 128 Seiten, 39,90 Euro. Tim Richmond: Last Best Hiding Place. Kehrer Verlag, Heidelberg und Berlin 2015. 144 Seiten, 39,90 Euro.

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