Reisebuch:Burn-out der Berge

Wie die Alpen kaputtgehen: Werner Bätzings neue Streitschrift ist voll provokanter Thesen - aber auch guter Lösungsansätze.

Von Hans Gasser

Die Piefke-Saga. Anfang der Neunzigerjahre schrieb der Tiroler Dramatiker Felix Mitterer diese vierteilige Fernsehserie für den ORF. Der Aufschrei war groß. Denn Mitterer hatte in dieser bösen Satire ein Tirol skizziert, das von bauernschlauen Einheimischen zu einer einzigen, auf Müll gebauten Tourismus-Scheinwelt für bundesdeutsche Touristen umfunktioniert wurde. Nichts ist mehr echt, alles nur Kulisse.

Man muss manchmal an die Piefke-Saga denken, wenn man Werner Bätzings pointierte Streitschrift "Zwischen Wildnis und Freizeitpark" zur Zukunft der Alpen liest. Deren zentrale These: Bis auf wenige Zentren in den Tälern verwildere die althergebrachte bäuerliche Kulturlandschaft. Dadurch sinke die Artenvielfalt drastisch, genauso gingen die Erwerbsmöglichkeiten zurück. Nur in wenigen "Ghettos" finde ein immer stärker auf Eventisierung der Bergnatur ausgerichteter Tourismus statt, der letztlich zum "Erlebnis-Burn-out" der Touristen führe. Die lokale Bevölkerung verliere den Bezug zu ihrer Umgebung und verfolge nur kurzfristige wirtschaftliche Interessen statt, wie die Bergbauern früher, die langfristige ökologische Stabilität ihrer Kulturlandschaft. "Die Bewohner der dicht besiedelten Tallagen verhalten sich heute in Bezug auf die Alpen oft wie Touristen, die Bewohner der Touristen-Ghettos inszenieren meist ein fingiertes Heidi-Idyll, und beide besitzen keine Verantwortung für ihre Umwelt mehr."

Es ist ein düsteres Szenario, das Bätzing da in Aussicht stellt. Und wenn man an Orte wie Ischgl, Alpe d'Huez oder Sölden denkt, dann ist das gar nicht so abwegig. Doch Bätzing, emeritierter Professor für Kulturgeografie und einer der besten Kenner des Natur-, Kultur- und Wirtschaftsraumes Alpen, sieht die Sache natürlich durchaus differenziert. Davon kann sich jeder überzeugen, der sein Standardwerk "Die Alpen. Geschichte und Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft", liest, das gerade in einer grundlegend überarbeiteten Neuausgabe erschienen ist.

German Alps Draw Summer Tourists

Was im alpinen Tourismus zähle, sei nicht mehr die Natur, sondern deren Inszenierung, meint Werner Bätzing.

(Foto: Johannes Simon/Getty Images)

In der viel kürzeren Streitschrift stellt er seine Thesen ebenfalls in den größeren Zusammenhang der weltweiten Entwicklung: Die auf Profitmaximierung ausgerichtete neoliberale Wirtschaft sei wegen der begrenzten natürlichen Ressourcen weltweit zum Scheitern verurteilt. Ganz besonders treffe dies auf die Alpen zu, die mit ihrer schwer zugänglichen Topografie ohnehin nicht mit den großen Ebenen konkurrieren könnten. Ein Anschluss an die moderne Wirtschaft finde nur in den gut erreichbaren Alpentälern statt, was aber die Menschen dort in die Abhängigkeit der Metropolen bringe und also auch nicht gut sei. In den wirklichen Berggebieten habe man nur die Wahl zwischen Verwilderung oder Tourismus.

Bätzing bleibt einseitig, verschweigt Positives: dass heute Bergbauernkinder in Wien oder Paris studieren können, dass sie Firmen gründen und Seilbahnen oder Internetseiten produzieren, dass der Tourismus mithilft, Kulturlandschaften wie die Almen zu erhalten, dass in vielen Gebieten (Südtirol, Graubünden oder Vorarlberg) heute ein nie da gewesener Wohlstand herrscht. Und dennoch muss man Bätzing recht geben, denn der Blick auf den Alpenbogen zeigt die Gefahren überall: die Abwanderung der Jungen und Dörfer, die nur noch aus Zweitwohnungen bestehen.

Reisebuch: Werner Bätzing: Zwischen Wildnis und Freizeitpark. Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen, Rotpunktverlag, Zürich 2015. 148 Seiten, 9,90 Euro.

Werner Bätzing: Zwischen Wildnis und Freizeitpark. Eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen, Rotpunktverlag, Zürich 2015. 148 Seiten, 9,90 Euro.

Was also tun? Bätzing entwirft eine "konkrete Utopie". Statt sich den wirtschaftlichen Zwängen der Globalisierung zu ergeben, sollten die Alpenbewohner ihre eigene Art zu wirtschaften entwickeln: regionale Produkte höchster Qualität (denn Quantität ermöglicht das Terrain nicht) für Abnehmer in den Großstädten produzieren. Dadurch würde die Kulturlandschaft erhalten und Arbeitsplätze wären gesichert. Statt Monostrukturen sollte in der Landwirtschaft, aber auch im Tourismus- und Dienstleistungssektor die multifunktionale Nutzung von Flächen gefördert werden: Post und Lebensmittel in einem Laden, Bauer und Briefträger in einer Person, der Tourismusort, in dem es auch noch Handwerker und Bauern gibt. Manches kommt einem ziemlich bekannt vor aus dem vergangenen Urlaub. Ob es sich als Mainstream durchsetzt, ist eine andere Frage.

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