Reisebuch:Beim Barte der Crew

Kathleen Winter fährt mit harten Männern durch die Nordwestpassage. Im Gepäck hat sie viel Respekt vor den Gefahren und einen Bart.

Von Stefan Fischer

Schon einen Männerbart zu stricken, ist ein spleeniges Unterfangen. Solch einen selbstgefertigten Bart zum Umbinden dann auch noch auf eine Schiffsreise durch die Nordwestpassage mitzunehmen, wo es gilt, mit möglichst wenig Gepäck auszukommen, wirkt endgültig absonderlich. Die kanadische Autorin Kathleen Winter packt diesen vor Jahren gestrickten Bart trotzdem ein - die meisten Männer der Crew, das sieht sie vorab auf Fotos, tragen Vollbart. Da sei es nur billig, dass auch sie sich in diesen Style-Code fügt. Der Bart bleibt dann aber erst einmal in Winters Koffer. Erst als sie für eines der Abendessen eine Einladung an den Tisch des Kapitäns erhält, überlegt sie, Bart zu tragen. Und entscheidet sich schließlich doch für eine weiblichere Garderobe.

Die Sache mit dem Strickbart darf man getrost als Marotte abtun. Sie steht aber für eine viel grundlegendere Frage, der Kathleen Winter in ihrem Reisebericht "Eisgesang" sehr ernsthaft nachgeht: der nach Identitäten. Es beginnt mit ihrer eigenen Person. Winter ist in England geboren; als Kind ist sie mit ihren Eltern nach Kanada ausgewandert. Der Vater wollte ein typisch kanadisches Leben führen - was, so bilanziert Winter, letztlich dazu geführt habe, dass ihre Familie komplett anders gewesen sei als alle übrigen. Südgrönland, wo die Schiffspassage beginnt, ist der dänische Einfluss stark anzumerken. Im Norden verblasst er. Mit an Bord ist auch Aaju Peter, die ursprünglich von Grönland stammt, inzwischen in Kanada lebt und überwiegend die Gebräuche der kanadischen Inuit angenommen hat.

Reisebuch: Kathleen Winter: Eisgesang. Meine Reise durch die Nordwestpassage. Aus dem Amerikanischen von Elke Link. Btb Verlag, München 2016. 320 Seiten, 21,99 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

Kathleen Winter: Eisgesang. Meine Reise durch die Nordwestpassage. Aus dem Amerikanischen von Elke Link. Btb Verlag, München 2016. 320 Seiten, 21,99 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

Was ist noch wahrhaftig? Welche Anverwandlung ist zulässig, welche hingegen anmaßend? Im Nordpolarmeer werden diese Fragen für Kathleen Winter besonders augenfällig. Weil hier jahrtausendealte Traditionen noch erkennbar sind. Und jeder Eingriff radikaler wirkt als in einer pluralen Gesellschaft.

Maler, Musiker, Autoren sind auf dieser Reise dabei, dazu Wissenschaftler. Als Gesprächspartner für die zahlenden Passagiere einerseits. Aber auch, um diesem Abenteuer einen Ausdruck zu verleihen. Ein Bedürfnis, das beinahe alle an Bord teilen.

Kathleen Winter entwickelt dabei eine besonders anschauliche Sprache. Es geht in ihrem Buch weniger um die kleinen und großen Abenteuer auf einer solchen Reise. Sondern um die Frage, was diese Unternehmung mit einem macht. Wie diese Erfahrung von Weite und Einsamkeit, von Geborgenheit auf dem Schiff und Verlorenheit auf der mörderischen See einen vielleicht auch verändert. Der gute (oder böse?) Geist ihrer Reise ist der Entdecker John Franklin, der 1847 in der Nordwestpassage umgekommen ist. Auch vor ihm hat sie, wie vor so vielem anderem: Respekt.

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