Reisebuch:Aus dem Häuschen

Annegret Ritter wollte in Lissabon leben wie die Einheimischen. Wie gut, dass es die vielen Kioske gibt.

Von Stefan Fischer

In Lissabon war für Annegret Richter jeder Tag wie Neujahr: Die guten Vorsätze verpufften stets aufs Neue sehr schnell; und abends hatte sie jeweils wieder nicht das getan, was sie sich morgens vorgenommen hatte.

Der Plan war gewesen, so schreibt Richter im Vorwort ihres Bandes "Qiuosques de Lisboa", schnell die Sehenswürdigkeiten der Stadt abzuklappern und dann aber sogleich wie eine Alteingesessene zu leben im Herbst vor zwei Jahren, als sie für fünf Wochen in ein nichttouristisches Viertel der portugiesischen Hauptstadt übersiedelte. Aus dem Schnelldurchlauf ist nichts geworden. Die Arbeit, die sie sich mitgenommen hatte nach Lissabon, blieb liegen. Stattdessen füllte sich ihr Skizzenbuch, und aus der Rolle der staunenden Besucherin ist Annegret Richter nicht herausgekommen.

Sie hat sich durch die Straßen und Gassen treiben lassen, sich in ihnen verloren - aber sehr bald entdeckt, dass es Ankerpunkte gibt. Orte, an die man immer wieder zurückkehren kann, an denen man ausruhen oder einen langen Spaziergang gemütlich beginnen kann: die vielen eisernen Kioske. Sie dienen unterschiedlichen Zwecken, die meisten verkaufen Getränke, manche dazu Snacks, andere richtige Mahlzeiten. In vielen gibt es Zeitungen und Zeitschriften, in einigen Fahrkarten, manchmal auch kleines Spielzeug. Postkarten, Crêpes, Wurstspezialitäten, Smoothies, Obstsalat, Müsli . . ., jedes Sortiment ist anders. An einem Kiosk kann man auch Fahrräder leihen.

Wo ein Kiosk ist, sind Menschen, findet öffentliches Leben statt, solange die Bude eben geöffnet hat. Annegret Richter stellt 31 Kioske ins Zentrum ihrer bildnerischen Stadtspaziergänge. Jedes Kapitel eröffnet sie mit einem gemalten Stadtplan des Viertels, in den die Lage von ein paar Sehenswürdigkeiten und eben der Kioske verzeichnet sind. Dazu die Porträts der Verkaufsstände. Und von dort aus macht sie den Betrachter ihrer Bilder zum Gefährten. Schon den Plänen kann man nur schwer entnehmen, wo in der Stadt das jeweilige Viertel verortet ist, das Straßennetz ist mehr Labyrinth als tatsächliche Orientierungshilfe. Und dann taucht man ein, zwischen die Häuser, in Läden, Markthallen, Cafés und Restaurants, stromert durch Parks und über die Hügel. Zwischendurch gibt es ein paar Happen Fernando Pessoa, Zitate vor allem aus "Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters" dürfen bei einem Loblied über Lissabon offenbar nicht fehlen als Grundton.

Weil sie ihre eigenen Wege gegangen ist und nicht die touristisch vorgegebenen, ist die Illustratorin zumindest einem Imitat des Alltags der Einheimischen dann doch nahegekommen. Nicht eine App hat sie gelotst, sondern ihr Instinkt, ihre Neugier. Und so entdeckt sie in ihren Bildern Seiten der Stadt, die nur sieht, wer sich mehr Zeit nimmt als ein verlängertes Wochenende. Vor allem die Zeit, wann immer man an einem Kiosk vorbeikommt, dort eine Pause einzulegen.

Annegret Ritter: Quiosques de Lisboa. Kunstanstifter Verlag, Mannheim 2016. 152 Seiten, 24 Euro.

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