Reisebildband: Inuit:Leben auf dünnem Eis

Der Fotograf Ragnar Axelsson hat in poetischen Bildern das harte Leben der Inuit abgebildet - und zeigt tatsächlich die "letzten Jäger der Arktis".

Birgit Lutz-Temsch

10 Bilder

Bildband die letzten Jäger der Arktis

Quelle: Ragnar Axelsson

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Der Alte hat kaum noch Zähne im Mund. Er bleckt sein löchriges Gebiss, zwickt die Augen zusammen und duckt sich in dem Sturm, der über sein Dorf hinwegweht. Der Piteraq, wie der Fallwind von den hohen Bergen hinunter an die Küste Grönlands in der Sprache der Inuit heißt, hüllt das Haus hinter dem Mann in eine Schneeglocke ein, die Konturen verschwimmen in einem dicken, diffusen Weiß. Der isländische Fotograf Ragnar Axelsson hat diese Szene eingefangen. Der Mann im Schneesturm ist einer der Menschen, denen er einen ganzen Bildband gewidmet hat: "Die letzten Jäger der Arktis".

Bildband die letzten Jäger der Arktis

Quelle: Ragnar Axelsson

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Ohne Zweifel sind dem Isländer hervorragende Aufnahmen gelungen in den 25 Jahren, in denen er sich nun schon unter den Inuit bewegt - doch Fotografen begeben sich auf sehr dünnes Eis, wenn sie sich den arktischen Völkern mit ihrer Kamera nähern.

Bildband die letzten Jäger der Arktis

Quelle: Ragnar Axelsson

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Die Faszination des Fremden, exotische Gesichtszüge, archaische Kleidung und Lebensgewohnheiten - das waren vor nicht einmal 100 Jahren Gründe genug, diese Menschen auf Schiffe zu laden, um sie wie Tiere auszustellen in der sogenannten zivilisierten südlicheren Welt. Robert E. Peary, einer der Männer, der behauptet, als Erster am Nordpol gewesen zu sein, brachte von seinen Grönlandreisen sechs Inuit mit nach New York, die dort im Keller des Naturkundemuseums gegen die Gebühr von 50 Cent gefüttert und angefasst werden durften.

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Quelle: Ragnar Axelsson

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Und selbst als vier von ihnen bald an den Viren des Südens starben, endete die Zurschaustellung nicht. Die Leichname wurden präpariert - und der überlebende, sechsjährige Inuitjunge Minik fand Jahre später seinen Vater als Museumsexponat wieder. Später wurden in allen arktischen Staaten in einer Art nationaler Kolonialisierung ...

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Quelle: Ragnar Axelsson

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... die Bodenschätze der arktischen Regionen ausgebeutet, ohne die regionale Bevölkerung an den Erträgen teilhaben zu lassen. Die Arbeitskräfte kamen aus dem Süden, die Erträge flossen in den Süden, zurück blieben nach dem Abbau von Bodenschätzen zerstörte und zum Teil hochbelastete Landschaften - eine Entwicklung, die trotz fortschreitender Selbstbestimmungsbemühungen auch heute noch anhält.

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Quelle: Ragnar Axelsson

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Einen Bildband über die Völker des Nordens kann man nicht ohne diese insgesamt äußerst traurige Geschichte betrachten, und Fotografen wie Texter müssen behutsam vorgehen, um die handelnden Personen nicht erneut zur Schau zu stellen.

Bildband die letzten Jäger der Arktis

Quelle: Ragnar Axelsson

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In einem der kurzen Bildtexte schreibt Axelsson: "Drinnen, im warmen Haus der Inuit, werden Robben gehäutet, Felle gereinigt (...) Lautes Lachen ertönt zu Geschichten über Helden (...) Alles wirkt wie aus einem Bilderbuch." Diese romantisierende Zeichnung des Lebens der Inuit wird in den umfangreicheren Texten Mark Nuttalls, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt sind, zum Glück nicht fortgesetzt.

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Quelle: Ragnar Axelsson

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Nuttall, Leiter der Abteilung Anthropologie an der Universität von Alberta, erklärt in weitgehend nüchterner Sprache die Wertesysteme der nordischen Völker, ihr animistisches Verständnis von Natur, und gelangt dabei zwangsläufig zu den existenziellen Problemen der Jäger: steigende Temperaturen, erschwerte Jagdbedingungen, überhaupt der immer größer werdende Aufwand, mit dem sich ihre Lebensgrundlage noch sichern lässt.

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Quelle: Ragnar Axelsson

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Begleitet von diesen Texten, werden die Bilder, die Axelsson größtenteils in Schwarz-Weiß drucken ließ, zu Dokumenten, die die sachlichen Beschreibungen Nuttalls in ebenso nüchterner Weise veranschaulichen. Axelsson inszeniert mit seinen Fotografien keine pittoreske oder gar heile Eingeborenenwelt, er stellt die Inuit nicht zur Schau, sondern berichtet aus ihrem Leben. Durch Nuttalls globale Bezüge wiederum wird klar, warum dieses Buch die Menschen aus dem Süden interessieren sollte: Nicht, weil es von einem exotischen Dasein in der fernen Kälte erzählt, das von unserem abgekoppelt ist -, sondern weil wir im Gegenteil sehr eng mit ihm verknüpft sind.

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Quelle: Ragnar Axelsson

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Denn es ist der industrialisierte Süden, der mit seinem Beitrag zur Erderwärmung das Leben der Inuit so erschwert, dass der Titel des Buchs, auch wenn er etwas pathetisch klingen mag, unter Umständen zu Recht und wörtlich gewählt ist: Es sind wohl tatsächlich die letzten Jäger der Arktis, die Axelsson auf seinen Bildern festgehalten hat.

RAGNAR AXELSSON: Die letzten Jäger der Arktis. Knesebeck Verlag, München 2010. 272 Seiten, 250 Abbildungen, 49,95 Euro.

© SZ vom 24.2.2011
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