Ramolhaus:Wand in Sicht

Hamburgs höchstes Haus steht in Tirol - das Ramolhaus liegt auf 3006 Metern. Es war die erste Schutzhütte in den Ötztaler Alpen.

Von Dominik Prantl

Dieser Beitrag ist erschienen am 11. September 2014. Wir haben die Übernachtungspreise aktualisiert. Darüber hinaus ist der Text unverändert.

Hüttenwirte haben so ihre eigene Sicht auf die Berge und den Lauf der Dinge im Allgemeinen. Alfred König, Hüttenwirt auf dem Ramolhaus in den Ötztaler Alpen, hat deshalb eine ziemlich eigene Meinung darüber, wann das Hüttenleben überhaupt keinen Spaß mehr macht: "Wenn das Wetter acht Wochen lang schön ist."

Ramolhaus

Die erste Schutzhütte der Ötztaler Alpen: Als Martinus Scheiber den Vorgängerbau 1881 auf den Felssporn setzte, gab es weder Kran noch Helikopter.

(Foto: Ötztal Tourismus)

Gutes Wetter bedeutet Stress oder zumindest sehr viel Arbeit für einen Hüttenwirt. Insofern ist es bislang ein eher stressiger Sommer für König, wobei auch ihm sicher nicht entgangen sein dürfte, dass jeder Sonnentag auf seiner Panoramaterrasse an diesem 3006 Meter hoch gelegenen Felssockel ein Geschenk ist. Gen Süden erstreckt sich der rapide dahinsiechende, aber immer noch beeindruckende Gurgler Ferner, dahinter thronen die Zacken von Hochwilde und Karlesspitze wie schwarze Wächter über dem Eis; im Osten und Westen stehen die Dreitausender Parade. Wer sich von der Aussicht losreißen kann und ein wenig hinter die steinerne Fassade des hohen Hauses sieht, blickt auf einmal in die Geschichte der Region, auf den Stammbaum einer Obergurgler Tourismusdynastie - und bis nach Hamburg.

Informationen

Zustieg: Der Hüttenzustieg ist von Obergurgl oder von Vent im hinteren Ötztal in jeweils vier Stunden möglich. Von Vent führt der Weg über das häufig vereiste oder verwechtete Ramoljoch (3189 m).

Übernachtung: Ramolhaus, ÜN ab 22 Euro (für AV-Mitglieder ab 12 Euro), Tel.: 0043/5256/62 23, www.dav-hamburg.de, www.edelweiss-gurgl.com, Öffnungszeiten auf der Website beachten.

Touren: Mit der entsprechenden Ausrüstung sind mehrere Hochtouren möglich. Der Nördliche Ramolkogel (3428 m) ist sogar für ambitionierte Wanderer in eineinhalb Stunden ersteigbar. Mehr alpine Erfahrung erfordert die Schalfkogel-Überschreitung (3540 m) mit Abstieg zur Martin-Busch-Hütte oder nach Vent.

Das Haus, oder zumindest ein kleinerer Vorgänger, steht hier nämlich schon ziemlich lange. 1881 legte Martinus Scheiber den Grundstein für diese erste Schutzhütte der Ötztaler Alpen und damit für all die Bergsteiger- und Wandergenerationen, die noch kommen sollten. Martinus Scheiber war überhaupt ein fleißiger Hütten- und Hotelbauer und avancierte zu einer Art Lokalheld. Neben diversen alpinen Unterkünften wie dem Hochwildehaus - in Sichtweite des Ramolhauses - geht auch das 1889 errichtete Hotel Edelweiss & Gurgl in Obergurgl auf seine Initiative zurück. In der kleinen Ortschaft erinnert eine Bronzestatue an den Vordenker, wobei das Denkmal stellvertretend für seine gesamte Familie steht. Martinus' Sohn Angelus trieb nämlich wiederum die Gründung des Skigebiets wie auch den Bau der Passstraße am Timmelsjoch maßgeblich voran. Lukas Scheiber sagt: "Das waren noch Pioniere mit Weitsicht. Wir sind heute doch nur noch Verwalter." Lukas ist Martinus' Urenkel, leitet heute das Hotel Edelweiss & Gurgl in vierter Generation und kümmert sich als Pächter nach wie vor um das Ramolhaus. Während der kurzen Sommersaison von Juli bis September besucht er Haus und Wirt einmal pro Woche. Scheiber meint: "Das Haus gehört bei uns zur Familie."

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Allerdings wurde der Bau des Urgroßvaters schon vor vielen Jahrzehnten vom Deutschen Alpenverein (DAV) adoptiert. Die Hamburger Sektion hatte nach dem Ersten Weltkrieg und der Annexion Südtirols durch Italien ihr eigentliches Hoheitsgebiet am Ortler verloren, suchte deshalb anderswo ein neues Zuhause - und erwarb 1922 die Hütte von Martinus Scheiber. Noch heute gilt es damit als das höchstgelegene Haus Hamburgs, wobei sich die Völkerwanderungen vom hohen Norden in den viel höheren Süden laut Hüttenwirt König in Grenzen halten. "Da kommen nicht besonders viele Hamburger. Ich habe zur Sektion insgesamt relativ wenig Kontakt."

Dabei ist der Weg - ob nun von Vent aus über das Ramoljoch (3189 m) oder von Obergurgl - auch für trainierte Flachlandtiroler als Tagestour machbar. Zudem mangelt es der Millionenstadt nicht gerade an bergsportaffinen Einwohnern. Schon in den 1920er-Jahren war die Alpenvereins-Sektion Hamburg eine der größeren. Heute zählt sie immerhin 20 000 Mitglieder, Tendenz rapide steigend, nämlich um rund 1000 Mitglieder pro Jahr. "Wir sind eine der am schnellsten wachsenden Sektionen", sagt Katrin Ruppel, Geschäftsführerin der Hamburger Sektion. Nur: Wo sind die alle? "Manche begründen den Zuwachs mit dem Kletterboom", meint Ruppel. Erst 2011 erhielt das Kletterzentrum in Hamburg eine neue Halle. DAV-Mitglieder erhalten dort ermäßigten Eintritt.

Alfred König, dem Hüttenwirt auf dem Ramolhaus, ist es allerdings ziemlich egal, wer nun den Aufstieg auf sich nimmt - Hamburger, Einheimische oder Engländer. Kletterer kommen in Ermangelung herausfordernder Routen jedenfalls selten, und die wirklich namhaften Hochtouren-Gipfel wie Wildspitze und Similaun liegen im Radius anderer Hütten. Etwa 80 Prozent seiner Gäste sind laut Alfred König daher Wanderer, und sie dürfen den speziellen Reiz dieses Hauses erfahren: grandiose Gerichte, ob nun Speckknödel oder Schweinsbraten. Das hat auch damit zu tun, dass Alfred König viele Jahre in einem Obergurgler Hotel angestellt war - dies wiederum bei Lukas Scheibers Onkel. Zwar steht Hüttenwirt König nicht mehr selbst in der Küche, aber natürlich legt er Wert auf gutes Essen.

Und mit ziemlicher Sicherheit gibt es hier den besten Kaiserschmarrn von ganz Hamburg.

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