Radfahren am Bodensee:Links? Rechts? Geradeaus!

Im Hegau sollen Mountainbiker bald auf ausgeschilderten Wegen der Route des Weltmeisterschaftsrennens folgen. Noch aber muss man die Pfade suchen.

Von Bernd Kastner

Die Tour beginnt in einer Sackgasse, keine zwei Kilometer nach dem Start am Rathaus, an einer verfallenen Hütte nebst ebensolcher Garage, umgeben von Wiesen und Wildnis. Vor einem rauscht die Autobahn, hinter einem steht, still und stumm, ein ehemaliger Vulkan. Wie weiter? Ist da eine zarte Fahrradspur im Gras? Vielleicht hat sich kürzlich schon mal einer hier verfahren. Runter den Hang, durchs feuchte Gras und wieder rauf zu einem Sträßchen.

Ortskundige orientieren sich im Hegau an den Vulkanen, die anderen rätseln: Ist das da hinten der Hohenhewen oder der Mägdeberg? Und die kecke Spitze, ist das nicht der Hohenkrähen? Vorne rum oder hinten rum? Neun erstarrte Vulkankegel stehen im Gebiet zwischen Schwäbischer Alb und Bodensee, entstanden sind sie vor etwa 14 Millionen Jahren. Links geht es zum Hohentwiel hoch. Er hat es zum Beinamen der Stadt Singen gebracht, auf ihm sitzt eine Burg. Sehr alt und verfallen ist sie, aber die größte Festungsruine ihrer Art in Deutschland, neun Hektar groß. Und dann ist dort noch das höchstgelegene Weinanbaugebiet und eines der ältesten Naturschutzgebiete der Republik. Sagen zumindest die Touristenwerber. Die Ruine ist ein Muss für jeden Besucher, aber natürlich nicht jetzt, sie bietet sich für den Vorabend einer Tour an.

Mountainbikern im Hegau ist zu empfehlen, vor der Tour eine Grundausbildung zum Pfadfinder zu absolvieren. Wer der Route des Weltmeisterschaftsrennens vom Sommer folgen will, muss Spuren lesen, solange die Strecke nicht ausgeschildert ist. Das wird sie frühestens Ende des Jahres sein. Die Route, die Jörg Unger, Singens Touristik-Chef, für die Allgemeinheit herrichten will, führt immer wieder über Privatgrund. So mancher Land- und Forstbesitzer sei nicht angetan. Wer haftet, wenn einer stürzt? Es sei noch Überzeugungsarbeit nötig, sagt Unger.

Reiseinformationen

Anreise: Singen am Hohentwiel, das Zentrum des Hegaus, ist mit Bahn und Fahrrad recht mühsam zu erreichen. Von München aus dauert es gut vier Stunden, mehrmaliges Umsteigen ist nötig, in Intercitys sind Reservierungen für einen Radstellplatz nötig, www.bahn.de. Mit dem Auto ist Singen über die A 81 zu erreichen.

Übernachten: Direkt an der Stadthalle im Zentrum von Singen liegt das Holiday Inn Express, Zimmer von 99 Euro an. Weitere Unterkünfte: www.hegau.de

Mountainbiken: Eine Strecken-Karte der UCI Mountainbike Marathon World Championships 2017 findet sich auf dem Portal www.outdooractive.com, Stichwort: Hegau. Weitere Tourentipps bei Hegau Tourismus, www.hegau.de oder Tel.: 077 31 / 852 62.

Auf der Landkarte, die gefaltet in der Hosentasche steckt, ist eine rote Linie eingezeichnet: der WM-Weg. Dass die Profis hier unterwegs waren, ist jetzt eine große Hilfe. Für sie wurden Pfeile auf die Straßen gesprüht, rot und gelb sind sie, aber jeden Tag werden sie blasser. Führt der Weg aber über Schotter oder Wiese, dann ist - nichts. Und so steht man wieder mal oben auf einem Hügel: Links? Geradeaus? Vor einem ein Baum, davor ein Bänkchen, eine leere Bierflasche und Reifenabdrücke im Boden, sie führen nach links. Also wieder runter. Wer das Mountainbiken in den Alpen gewohnt ist, muss sich im Hegau umstellen. In den großen Bergen geht es meist einmal bergauf, ganz lang, und dann bergab. Wer zwischen den Vulkanen fährt, muss rauf und runter. Höhenmeter lassen sich auch hier sammeln, die WM-Strecke kommt in der langen Variante auf 1400. Das wäre ungefähr einmal das Timmelsjoch.

Am Ende trennt nur noch der Schweinebuckel den Radler von seinem Ziel. Es wird steil

Eine Wandersfrau steht neben dem Radweg, hält inne und ruft: "Wie die das machen! Richtig toll!" Ehe sich der Radler geschmeichelt fühlen darf, geht der Blick nach oben. Am Himmel dreht ein Raubvogel seine Runden, elegant und ruhig wartet er auf Beute. Die Frau breitet die Arme aus, so begeistert ist sie vom Vogel.

Auf den Hegau-Höhen blitzt hin und wieder der Bodensee aus der Ferne herüber, und die Schweizer Berggipfel bilden eine eindrucksvolle Silhouette. Der Hegau liegt im Schatten dieser bekannten Ziele, Extremspektakel gibt es hier nicht, eher schon Kultur-Abstecher, etwa in die Dorfkirche von Hilzingen. Man fährt den Rundkurs gegen den Uhrzeigersinn. Bei neun Uhr geht es runter und runter und immer weiter, 45 km/h zeigt der Tacho an, 48, das Rauschen im Ohr wird lauter, 50 Sachen, dann 53. Stopp. Hilzingen. Neubaugebiet. Die Karte sagt, dass die Radroute auf halber Höhe rechts abgegangen wäre. Wieder hoch? Im Hegau ist das nicht nötig, hier findet der Pfadfinder schnell wieder zurück auf den rechten Weg. Viele Wege führen im Kreis zurück nach Singen.

Radfahren am Bodensee: Immer rauf und runter zwischen den Vulkankegeln, so lassen sich auch Höhenmeter sammeln. Im Hintergrund zu sehen: der Hohenstoffeln.

Immer rauf und runter zwischen den Vulkankegeln, so lassen sich auch Höhenmeter sammeln. Im Hintergrund zu sehen: der Hohenstoffeln.

(Foto: Markus Keller/Westend61/Mauritius)

Für die gut 30 Kilometer der kleinen Runde sollte man einen halben Tag einplanen, das reicht zur Brotzeit und zu vielen Blicken auf die kuriosen Kegel. Wer glaubt, dass die damals, im Miozän, gespuckt hätten, der ist enttäuscht, wenn der Touristikchef mit Kuli ihr Entstehen skizziert: Unter der Oberfläche haben sich die Lavaschlote nach oben geschoben, aber bevor sie spucken konnten, sind sie erkaltet. Irgendwann kam die Eiszeit übers Land, die Gletscher trugen lockeres Gestein ab, und siehe da, schon tauchten nach ein paar Millionen Jahren die Hegauer Kegel auf. Und weil bald die Menschen den Überblick von dort oben schätzten, ließen die Herrscher hier ihre Burgen und Befestigungen errichten. 380 Wehranlagen sollen es in einem Umkreis von 20 Kilometern sein. Und wem die Landschaft vertraut vorkommt, der war vermutlich schon mal in der Toskana, daran erinnert der Hegau.

An manchen Stellen gibt es Schilder, für Wanderer sind sie gedacht, auf einem steht "Ludwig-Finckh-Weg". Der Namensgeber war Arzt, Schriftsteller und Naturschützer, und eigentlich mögen sie ihn sehr im Hegau, weil er sich für den Stopp des Basaltabbaus am Hohenstoffeln einsetzte, das ist der Kegel mit den zwei Spitzen. Finckh rühmte die Urzeithügel als "des Herrgotts Kegelspiel". Nun war Finckh, geboren 1876, aber auch überzeugter Nationalsozialist, weshalb sie im Hegau dann doch zweifeln, ob sie ihn mögen sollen und dürfen. Das Ensemble nennen sie in ihren Prospekten jedenfalls lieber "Hegauer Kegelspiel".

Oberhalb von Gottmadingen, im Wald am Heilsberg, ist die Orientierung verloren gegangen. Das Handy zeigt statt einer Landkarte bloß: "Internetverbindung überprüfen." Dann mal halb rechts versuchen. Halb rechts ist falsch, aber das merkt man erst im Ort, und da steht man plötzlich vor einem skurrilen Laden. Kurz vor der Bundesstraße stehen in einem Schaufenster Mountainbikes, und was für welche. 4199 Euro kostete eins davon, es ist reduziert auf 2599, was für ein Schnäppchen. Kaffee verkaufen sie in dem Laden auch und E-Zigaretten. Und Lebensmittelaromen und Entkalker für Kaffeemaschinen. Was für eine Mixtur.

Wer Glück hat, kann sich auf dem Gottmadinger Wochenmarkt im Ortszentrum mit einer Vesper stärken. Die ist auch sinnvoll, denn zum Schluss wartet noch der Schweinebuckel auf den Radler. Der Buckel kommt ganz harmlos daher, aber er wird steiler und steiler. Absteigen, schieben, wie in den Alpen. Dann, wie zur Belohnung, doch noch ein Singletrail, mitten im Wald. Ein Wanderer würde Trampelpfad sagen, einem Mountainbiker schlägt das Herz höher, je enger es wird. Wenn es die Singener schaffen, die Route zu beschildern, darf man auch hier durch, ganz legal.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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