Provence: Das Schloss von Pablo Picasso:Flucht in die Burg

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Düster und majestätisch thront das Schloss Vauvenargues im Hinterland der Côte d'Azur - die letzte große Liebesaffäre im Leben von Pablo Picasso.

Manfred Schwarz

Auch diese Geschichte ist letztlich eine Liebesgeschichte: Das düstere, schwermütige, sich der Welt so majestätisch entziehende Schloss Vauvenargues im Hinterland der Côte d'Azur war, wenn man so will, nichts anderes als Pablo Picassos letzte große und aufregende Affäre.

Frankreich
:Picassos Schloss in der Provence

Der Maler lebte einige Jahre in Vauvenargues bei Aix-en-Provence, vor allem aber arbeitete er in dem Schloss - und fand dort seine letzte Ruhe.

Sie dauerte von September 1958 bis September 1961. Ihr Höhepunkt ist auf den Sommer 1959 zu datieren, als der Maler enthusiastisch Besitz nahm von seiner noblen Residenz und, auf der Schwelle zum Greisenalter, ein ebenso spätes wie intensives Aufflackern von Leidenschaft und Eroberungsdrang erlebte.

Und dann das Finale, der Abschied. Die feierliche, aber traurige Rückkehr, Jahre später zur letzten Ruhe. Dafür hat sich damals sogar diese ewige Sonnen- und Sommerwelt in ein Schneereich verwandelt. Wie in einem wirklich großen Liebesepos ist zum Schlusstableau ausgerechnet dort Schnee gefallen, wo man den Schnee nur vom Hörensagen kennt.

Picassos allerletzte Reise durch die Provence, als Leichnam in einem Sarg, begann in seinem letzten Wohnsitz Mougins und endete hier, im von Neuschnee bedeckten Hof des Schlosses Vauvenargues, wo er im April 1973 begraben wurde.

Besucher, die heute nach Vauvenargues fahren wollen, müssen ihr Auto abstellen und in einen Shuttlebus umsteigen, der sie über einsame Serpentinen und durch eine karge, archaisch anmutende Landschaft zum 15 Kilometer entfernten Schloss bringt.

Man fährt durch diese Gegend wie durch eine vergessene Welt. Das Dorf Vauvenargues döst wie ausgestorben in der Mittagshitze: ein paar Dutzend Häuser in geometrisch schlichter Form, die wie auf einem kubistischen Gemälde aus dem Felsplateau herauswachsen. Ein enger Weg dann, der zum Schloss hinaufführt, wo schwarz gekleidete Wärter mit Sonnenbrillen und krächzenden Walkie-Talkies die neugierig gespannten Besucher empfangen.

Picasso war vor genau 50 Jahren in dieses Schloss eingezogen, und derzeit nimmt im benachbarten Aix-en-Provence, im Musée Granet, eine große Ausstellung die epochale künstlerische Beziehung zwischen Pablo Picasso und Paul Cézanne in den Blick.

Picassos tiefe Verehrung für den älteren Meister aus Aix-en-Provence gewinnt eine zutiefst sinnfällige Form im Erwerb des Schlosses. Erhebt sich dieses doch als stolzer Solitär unmittelbar vor der gigantischen Kulisse des mythischen Montagne Sainte-Victoire, jenes auf der ganzen Welt berühmten Kalksteinmassivs also, das Paul Cézanne immer wieder zum Gegenstand seiner Gemälde gemacht hat, wenn er dafür auch niemals diese Seite wählte, die schattigere Nordseite, sondern die gegenüberliegende Sonnenseite.

In Schloss Vauvenargues wohnt man also gleichsam "chez Cézanne", wie Picasso einmal sagte.

So hätte es sich nicht schöner fügen können, dass Vauvenargues in diesem Sommer erstmals für Besucher zugänglich ist. Catherine Hutin, die Schlossherrin und Tochter von Picassos letzter Ehefrau Jacqueline, hat sich wundersamerweise zu dieser einmaligen Öffnung der ebenso weltfernen wie geschichtsreichen Gemäuer überreden lassen.

Sie selbst bewohnt das Schloss nur gelegentlich in den Ferien. Seit Picasso mit der frisch angetrauten Ehefrau Jacqueline im September 1961 den Wohnsitz von Vauvenargues nach Mougins verlegte, ist das Schloss in einen bis heute währenden Dornröschenschlaf gefallen.

Keine Besucher wurden hier mehr empfangen, und es hat sich seither auch kaum etwas auf dem fürstlichen Herrensitz geändert. Bis Ende September bietet sich also die seltene Gelegenheit zur Besichtigung dieses legendenumwobenen Sperrbezirks.

Auch an Picassos Grabstätte durften seit seiner Beerdigung nur wenige enge Vertraute und Familienangehörige treten. Hinter dem flachen, mit keiner Gedenktafel und keinem Stein geschmückten Grabhügel vor der Hauptfassade des Schlosses erhebt sich nur eine Bronzeskulptur des Meisters.

Aber ob Picasso gewünscht hätte, ausgerechnet hier seine letzte Ruhestätte zu finden? Schließlich ist er im Spätsommer 1961 überstürzt aus dem Schloss geflohen, zurück an die liebliche Côte d'Azur, weg von der Schwermut und Einsamkeit dieses Ortes, der ihn zunehmend bedrückte.

Als der Spanier sich jedoch im September 1958 Hals über Kopf in das Schloss und die mehr als 1000 Hektar große Domäne verliebt hatte, sprühte er vor Tatendrang. Er war auf der Suche nach einem Rückzugsort gewesen, wo er sich dem allzu mondänen Treiben in und um seine Villa in Cannes entziehen und sich wieder ganz seiner Arbeit widmen konnte.

Er suchte nach einer Fluchtburg. Und dieses abgelegene, von Bergmassiven eingerahmte, lange schon verlassene Schloss schien genau das zu bieten: Abgeschiedenheit und Konzentration in der nur schwer zu überwindenden Schroffheit einer Festung.

Außerdem hat ihm die südspanische Anmutung dieses betont rauen, wilden Landstrichs der Provence gefallen, der ihn zutiefst an die nun schmerzlich vermisste Heimat erinnerte.

Schloss Vauvenargues, wo er 1959 einzog, bedeutete für ihn eine Art Heimkehr in die Zeit seiner Jugend. Picasso erlebte hier einen letzten großen Schaffensrausch: das legendäre Delirium Vauvenarguensis.

Die Werke, die er auf dem Schloss schuf, in der von Kennern gefeierten "Vauvenargues-Periode", gehören zu den stärksten und eindringlichen des späten Picasso. Viele davon kann man derzeit in der Ausstellung des Musée Granet sehen, in ihren unverkennbaren, schwermütig-spanischen Farbakkorden von Flaschengrün, Kirschrot, Ockergelb und einem ausgiebigen Schwarz, das ebenso an Manet wie an Velázquez erinnert.

Beim Rundgang durch die karg möblierten und von Schatten belagerten Räume des Schlosses wird man auch deshalb seinem ehemaligen Atelier im Ehrensaal des Obergeschosses die meiste Aufmerksamkeit widmen.

Hier, wo er oft bis weit in die Nacht an seinen Gemälden arbeitete, ist seither offensichtlich nichts verändert worden. Die alten Film-Scheinwerfer, die Staffeleien, die von ihm mit Sonnenemblemen bemalten Polsterstühle, der große Landhaustisch mit Farbtöpfen und verschmierten Pinseln im wüsten Durcheinander stehen noch genauso in diesem größten Salon des Schlosses wie zu Zeiten Picassos; man kennt dieses Arrangement von alten Fotografien.

Selbst der Steinboden ist noch voller Farbkleckse, und man sieht die dicken Staubschichten, die sich im Lauf der Jahre auf dem gestapelten Skizzenpapier abgesetzt haben.

Auch im Speisesaal des Erdgeschosses staunt man über prominente Relikte: Jene Mandoline etwa, die fast durchgängig auf den Stillleben der Vauvenargues-Periode figuriert, hängt hier an der Wand, und das riesige schwarze Buffet im Stil der Neo-Renaissance, das Picasso herschaffen ließ und das er mehrmals malte, dominiert noch genauso wie früher den Raum.

Die großartigste Erinnerung an den ehemaligen Schlossherrn findet sich jedoch im Badezimmer neben dem spartanischen Schlafgemach. Dort kann man noch ein breites Wandgemälde bestaunen, das Picasso in der ersten euphorischen Phase auf Schloss Vauvenargues schuf, als Sinnbild, als Allegorie dieser ganzen Geschichte: Es zeigt einen heiteren, flötenspielenden Faun.

Eine Mythengestalt. Eine Figur des einfachen Landlebens, begabt mit ewiger Jugend und ewig verliebt.

© SZ vom 30.7.2009/dd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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