Privatunterkünfte im Internet buchen:Der Fremde, seine Couch und ich

Junge Reisende schlafen nicht mehr im Hostel, sondern quartieren sich bei Fremden ein, die bestenfalls Freunde von Facebook-Freunden sind. Daraus ist ein neuer Buchungsmarkt entstanden, der Vorreitern wie den Couchsurfern Konkurrenz macht.

Eva Thöne

Beim Reisen galt lange Zeit Mundpropaganda als beste Werbung: Von guten Freunden bekam man Tipps zur besonders charmanten Pizzeria oder zur heimeligen Pension abseits der herkömmlichen Hotelrouten. In digitalen Zeiten aber wandern solche Empfehlungen häufig ab in soziale Netzwerke wie Facebook, wo komplexe Freundschaftsnetze auch für die Urlaubsplanung genutzt werden: Die besonders charmante Pizzeria oder das günstige Privatquartier wird vom digitalen Freund eines digitalen Freundes auf Facebook in einem Blog erwähnt, den er auf seinem Profil verlinkt hat.

Diese Mentalität des unpersönlichen Vertrauens machen sich besonders neue Internet-Reiseplattformen wie Airbnb, Wimdu oder 9flats zu Nutze, die auf ihren Seiten gegen eine Provision Urlaubsunterkünfte von Privatpersonen vermitteln. Sie treten dabei auf wie eine Mischung aus sozialem Netzwerk und Verkaufsplattform, Facebook und Ebay in einem: Wer seine Wohnung über solch ein Portal an Urlauber vermieten will, meldet sich nicht nur an, lädt Fotos der Unterkunft hoch und legt einen Preis fest.

Der Vermieter präsentiert sich zudem in einem persönlichen Profil, kann Freundschaften schließen, wird vom Reisenden bewertet, urteilt aber auch selbst, ob der Gast sich bei seinem Aufenthalt ordentlich benommen hat - wer seinen Urlaub über die neuen Plattformen bucht, ist jung genug, um den Bewertungen der Internet-Community stärker zu vertrauen als den fünf Sternen eines Hotels. Reisende können die angebotenen Unterkünfte bei Airbnb, wo mittlerweile weltweit mehr als 100.000 Unterkünfte gelistet werden, gar danach filtern, ob der Gastgeber auf Facebook mit einem der eigenen digitalen Freunde befreundet ist.

Dass bei den neuen kommerziellen Portalen mit zwischenmenschlicher Authentizität gehandelt wird, zeigen auch die ersten Nutzeranalysen von Wimdu, dem deutschen Konkurrenten von Airbnb, wo derzeit 35 000 Unterkünfte gelistet sind: "Am häufigsten werden nicht besonders günstige Angebote gebucht, sondern Unterkünfte, bei denen das hochgeladene Foto ein möglichst persönliches Bild vermittelt", sagt Christopher Oster, Mitgründer von Wimdu. Bücherregale oder Filmposter fungieren als Garant der Authentizität, wer hingegen seinen Wohnraum bewusst aufhübscht, wird durchschaut: "Wenn man den Fotos die Bearbeitung ansieht, bin ich immer gleich skeptisch", sagt eine 30-jährige Nutzerin, die bislang drei Reisen über den kommerziellen Vermittler Airbnb gebucht hat.

Hardrocker sucht Hardrocker

Dabei mietete sie sich selbst zwar auf ihren Reisen im intimen Lebensraum einer anderen Person ein, hatte aber manchmal gar keinen direkten Kontakt mit dieser: Bei ihrem Urlaub in New York im vergangenen Jahr holte die Reisende den Schlüssel zur gemieteten Wohnung bei der Kneipe im Erdgeschoss ab. Mit dem Vermieter selbst sprach sie nur einmal telefonisch, weil dieser für die Gäste nicht die Bettlaken gewechselt hatte.

"Wir richten uns an Couchsurfer, die erwachsen geworden sind", sagt Wimdu-Geschäftsführer Christopher Oster. "Wer heute nach Berlin fährt, will eben nicht mehr nur bei einer Stadtrundfahrt das Brandenburger Tor sehen, sondern die Punker-Pizzeria in Friedrichshain entdecken." Tatsächlich erinnert die Idee hinter Wimdu an das Portal www.couchsurfing.org, auf dem Menschen weltweit ihr Bett oder Sofa anderen Reisenden für ein paar Nächte unentgeltlich anbieten.

Während das Internetportal der Couchsurfer noch immer von ehrenamtlichen Mitarbeitern betreut wird und sich so als Alternative zum kommerziellen Reisemarkt positioniert, sind Wimdu und Co zwar eingespeist ins Tourismusgeschäft, bedienen aber eine ähnliche touristische Mentalität: Auch Couchsurfer versprechen sich durch das Wohnen bei Einheimischen einen Zugang zum Reiseort abseits der üblichen Sehenswürdigkeiten. "Die Authentizität ist bei Wimdu jedoch komfortabel geworden", sagt die Soziologin Carolin Thiem, die ihre Diplomarbeit zur Reisepraktik des Couchsurfens verfasst hat.

Beim Couchsurfen müsse sich der Reisende stets auch ein Stück weit an den Gastgeber anpassen - ein Aufwand, der bei kommerziellen Anbietern oft wegfällt: "Bei einem bezahlten Service muss man eben weniger Rücksicht nehmen", so Thiem.

Die Soziologin berichtet von einem couchsurfenden Hardrocker, der seine Gastgeber nach dem Musikgeschmack auswählte, um ja nicht an einen Celine-Dion-Fan zu geraten. Die 30-jährige Airbnb-Nutzerin entschied sich für eine Wohnung im Kopenhagener Szeneviertel Nørrebro, weil sie in einer Gegend Urlaub machen wollte, die dem Prenzlauer Berg ähnelt.

Was Couchsurfer und Nutzer von kommerziellen Seiten also gemein haben, ist der Wunsch nach dem individuellen Urlaub. "Das Reisebüro wird spätestens für die Generation der Mittzwanziger obsolet werden", prophezeit Thiem. Wobei soviel von der Individualität ja auch nicht mehr übrig bleibt, wenn bald alle statt dem Brandenburger Tor die Punker-Pizzeria aufsuchen.

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