Potsdam:Ringen um die neue Mitte

Potsdam Alter Markt mit Museum Barberini mit Sammlung Hasso Plattner Potsdam

Fast wie zu Zeiten Friedrichs II.: Der Alte Markt ist mittlerweile wieder gesäumt von Bauten mit klassizistischen Fassaden.

(Foto: imago/Jürgen Ritter)

In Potsdam wollen die einen DDR-Architektur erhalten, andere historische Gebäude wieder aufbauen. Der Häuserkampf wird bald in die nächste Runde gehen.

Von Jens Schneider

Wer die Geschichte der stolzen Stadt nur wenig kennt, wird sich über den Schriftzug wundern. Er ist hübsch geraten, obwohl er doch ein wenig aufstören und einen Bruch aufzeigen soll. Er schmückt die Wand. So geht es oft in Potsdam aus, wenn die Kämpfe, die um das Alte und das Neue in der Stadt seit Jahren toben, sich erst mal beruhigt haben.

Der Besucher kann den Schriftzug leicht entdecken, wenn er von der Tram oder aus der Stadtmitte kommt und vielleicht zum Palais Barberini, der Nikolaikirche oder dem Landtag will: "Ceci n'est pas un château", steht da in güldenen Lettern, fein geschwungenen Buchstaben, über fast acht Meter, auf Französisch, der Sprache, die Sprache, die Friedrich der Große liebte - "Dies ist kein Schloss."

So ziemlich jedes Bauprojekt in der Stadt löst heftige Diskussionen aus

Kein Schloss? Natürlich sprechen viele Potsdamer längst wieder von ihrem Stadtschloss, wenn sie an diesen Bau denken, auch wenn seit 2014 tatsächlich der Landtag dort untergebracht ist. Aber dieses Gebäude erinnert in äußerer Form und Anmutung absolut an jenes Stadtschloss, das Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff im Auftrag des preußischen Königs 1745 bauen ließ. Rundherum war Potsdams Alter Markt über zwei Jahrhunderte lang einer der schönsten Plätze Europas, bis ein Luftangriff im Zweiten Weltkrieg fast alles zerstörte, die Reste des Schlosses wurden zu DDR-Zeiten abgerissen. Lange war hier eine Brache. Und dies ist ein neues Haus, bewusst nicht als Wiederaufbau des Schlosses angelegt, im Innern dominiert der modern gestaltete Plenarsaal.

Kein Schloss also, daran erinnert der von der Potsdamer Künstlerin Annette Paul entworfene Schriftzug, der zugleich die besondere Situation in Potsdams Mitte spiegelt. Was hier alt aussieht, ist es nicht unbedingt. Und was noch abgerissen werden soll, ist häufig älter als das, was im alten Gewand neu entstehen soll. Dabei steht die Stadt oft vor einem Entweder-oder, wenn gestritten wird, welches Gesicht die einstige Residenzstadt haben soll: Bei fast jedem Projekt wird gerungen, ob das alte, im Krieg und in den Jahren des Sozialismus zerstörte Potsdam wieder hergestellt werden soll - oder ob einige Zeugnisse der DDR-Architektur unbedingt erhaltenswert sind.

Ein paar Schritte weiter auf den Alten Markt zu prallen die Gegensätze so direkt aufeinander, dass die Spannung augenfällig ist. Hier stößt das Landtagsschloss beinahe an die Fassade der einstigen Fachhochschule, deren Studenten und Lehrer neue Gebäude an anderer Stelle in Potsdam bekommen. Hier soll der riesige, in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts erbaute Komplex weg, mit ihm einige Plattenbauten aus DDR-Zeiten.

So sehen es die Planungen der Stadt vor, so wollen es Bürgerinitiativen wie die Gruppe "Mitteschön", die sich seit Jahren dafür einsetzt, dass hier das einstige Stadtbild mit den kleinen Gassen und Plätzen wieder entsteht. Die originalgetreue Rekonstruktion der schönsten historischen Gebäude des Alten Marktes wie des Palais Barberini ist für sie der Anfang einer Entwicklung, die Potsdam ein Stück alter Schönheit zurückgeben soll. Der Abriss der Fachhochschule würde Platz machen, damit kleinere Gebäude entlang der früheren Gassen gebaut werden können.

Doch der Plan ruft Widerspruch hervor. Seine Gegner warnen, dass ein historisierendes Idyll geplant würde, das die Brüche der Potsdamer Geschichte ausblenden wolle. Sie hegen Misstrauen, dass mit Hilfe wohlhabender Mäzene eine Stadtmitte geschaffen werde, in der wohlhabende Bürger und deren Idee von Kultur dominieren.

Im vergangenen Herbst sammelte also eine Bürgerinitiative mit dem Namen "Potsdamer Mitte Neu Denken" die nötigen Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Das Rathaus lehnte dies jedoch ab, weil die von der Bürgerinitiative vorgeschlagene Fragestellung nicht zulässig sei. Aber es wird weiter um Potsdams Mitte gerungen.

Dabei bemüht Oberbürgermeister Jann Jakobs sich um Ausgleich. Es gehe nicht darum, dass sich "hier irgendwelche Investoren für die Renaissance des Barock breitmachen", sagt er. Man wolle nicht pur das Historische rekonstruieren. Er signalisiert Bereitschaft zum Kompromiss. So kam die Stadt ihren Kritikern entgegen, indem sie auf den langfristig geplanten Abriss eines legendären DDR-Baus verzichtet: Gegenüber vom Landtagsschloss soll das hochaufragende Hotel Mercure stehen bleiben, das für die sozialistischen Stadtplaner als Interhotel das Wahrzeichen für ein neues Potsdam sein sollte. Liebhaber des barocken Potsdam finden es scheußlich, aber das Hotel floriert, und es gibt viele Potsdamer, die daran hängen.

Die Garnisonkirche steht für Militarismus, aber auch für Widerstand

Aber der Häuserkampf wird bald in die nächste Runde gehen. Wer den Grund kennen will, muss vom Alten Markt nur einige Hundert Meter weiter auf den Park Sanssouci zugehen, entlang der unwirtlichen Breiten Straße. Wie eine offene Wunde wartet dort seit Jahren eine freie Fläche auf einen Baubeginn, der längst beschlossen ist, den seine Gegner aber unbedingt verhindern wollen. Hier soll die Garnisonkirche von Potsdam wieder entstehen, zumindest ihr Turm. Auch sie wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, von den sozialistischen Machthabern 1968 abgerissen. Sie zählte zu den schönsten barocken Kirchen aus der Zeit Preußens. Zugleich sind mit der früheren Militärkirche düstere Momente der Geschichte verbunden, vor allem der "Tag von Potsdam", als es am 21. März 1933 hier zum symbolischen Handschlag des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg mit Adolf Hitler kam.

So eine Kirche brauche Potsdam nicht, sagen die Gegner. Die Befürworter erinnern an die andere Geschichte der Garnisonkirche - daran, dass sie das Gotteshaus von Offizieren war, die sich am 20. Juli 1944 am Attentat auf Hitler beteiligten. Sie wollen hier einen Ort der Versöhnung schaffen. Nach ihrer Auffassung ist kaum ein kirchlich geprägter Ort in Deutschland so intensiv mit Aufstieg und Fall, menschlicher Leistung einerseits und Versagen anderseits behaftet wie diese Kirche. Deshalb eigne sich der Ort so sehr, die Spur der deutschen Geschichte zurückzuverfolgen, daraus zu lernen, "sie aber auch mit ihren Katastrophen anzunehmen", glaubt die Stiftung für den Wiederaufbau. Baubeginn könnte diesen Sommer sein. Die Befürworter glauben, dass mit dem Wachsen des Turms bald alle Skepsis der Begeisterung weichen wird, so wie es beim Stadtschloss und den anderen Projekten war.

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