Peru: Machu Picchu:Das jähe Ende eines Entdeckertraums

Peru feiert 100 Jahre Wiederentdeckung von Machu Picchu, dabei war die alte Inka-Stadt schon lange vor Hiram Binghams Besuch bekannt.

Margit Kohl

Es gibt Tage, an denen nimmt die Katastrophe zwar ihren Lauf, erhält dann aber wie aus heiterem Himmel noch eine unerwartete Wendung. So geschehen im Fall von Agustín Lizárraga. Eigentlich hatte der Bauer im Urubamba-Tal nur neues Ackerland gewinnen wollen, als die Brandrodung im Regenwald außer Kontrolle geriet. Die Flammen loderten rasch hinauf bis zum 2700 Meter hohen Wayna Picchu, und als nahezu Lizárragas ganzes Waldgebiet brannte, konnte niemand ahnen, dass sich dieser verheerende Unfall schon bald zum einzigartigen Glücksfall wenden würde. Das Feuer hatte auch einen alten Inkaweg freigelegt, der Lizárraga hinaufführte zu den spektakulärsten Ruinen der Inka-Zeit: Machu Picchu.

Peru: Machu Picchu: Das berühmteste Fotomotiv Perus: die Inkaburg Machu Picchu.

Das berühmteste Fotomotiv Perus: die Inkaburg Machu Picchu.

(Foto: AFP)

Durch den Brand waren sie wie aus dem Nichts wieder aufgetaucht, von den Überwucherungen des Dschungels befreit und aus mehr als 400 Jahren Vergessenheit gerissen. Lizárraga, auf dessen Landpacht sich Machu Picchu befand, schickte alsbald seine Arbeiter hinauf, um dort die Terrassen, welche bereits die Inka angelegt hatten, landwirtschaftlich wieder nutzbar zu machen. Die Inka hatten mittels eines ausgeklügelten Bewässerungssystems Quellwasser zu den steil an die Bergflanken gebauten Terrassenfeldern geleitet, um dort Mais und Kartoffeln anzubauen.

Die Einheimischen wussten Bescheid

So war die Stadt hoch oben in den Wolken bei den Einheimischen im Urubamba-Tal bald keine Unbekannte mehr. Vermutlich dokumentierte Lizárraga schon deshalb seinen Anspruch auf die hier von ihm bewirtschafteten Felder und schrieb auf einen der Ruinensteine: "Lizárraga, 1902".

Eine Inschrift, die den Historiker Hiram Bingham neun Jahre später aus allen Wolken riss. Schien sie doch seinen Entdeckertraum jäh zu beenden. Pablito, der Sohn eines von Lizárragas Arbeitern, hatte Bingham am 24. Juli 1911 hier heraufgeführt. Der Professor für lateinamerikanische Geschichte aus Yale war in der Gegend fieberhaft auf der Suche nach den Ruinen von Vilcabamba gewesen, dem letzten Rückzugsort der Inka vor den Spaniern. Fälschlicherweise hat er zeitlebens daran geglaubt, ihn hier gefunden zu haben.

Bis 1915 ließ Bingham den gesamten Ruinenkomplex freilegen, wofür er finanzkräftige Unterstützer hatte. Gesponsert von der Yale-Universität und der National Geographic Society, war er obendrein verheiratet mit einer millionenschweren Tiffany-Erbin.

Bei kritischen Zeitgenossen eilte Bingham dagegen der Ruf voraus, auf Ruhm und Ehre mehr aus zu sein als auf pure Archäologie. So wechselte er im Ersten Weltkrieg zur Jagdfliegerei, landete an Bord eines Zeppelins vor dem Weißen Haus und stieg später zum US-Gouverneur auf. So ein Leben im Hollywood-Format ließ Bingham dann auch zum Vorbild für die Filmfigur von Indiana Jones werden.

Kindheit in den Ruinen

So muss es irgendwie entstanden sein, das Klischee vom draufgängerischen Entdecker, den man sich seither meist nur mehr mit Tropenhelm oder Rangerhut vorstellen mag. Einen Hut, wie ihn auch Romulo trägt: atmungsaktiv, mit genieteten Luftlöchern versehen, die Krempe seitlich mit Druckknöpfen fixiert. Ab und an schiebt er ihn aus der Stirn, um in den verwinkelten Gassen der Ruinenstadt den Überblick zu bewahren.

Peru: Machu Picchu: Romulo Lizárraga zeigt alte Fotos der Inka-Stadt.

Romulo Lizárraga zeigt alte Fotos der Inka-Stadt.

Dabei kennt Romulo sich in Machu Picchu aus wie kaum ein anderer. Er ist hier aufgewachsen und vergnügte sich schon als Siebenjähriger mit seinen Brüdern bei Cowboyspielen zwischen den Inka-Ruinen. Romulo ist ein Lizárraga, der Großneffe von Agustín Lizárraga. Geboren 1958 in einem kleinen Dorf am Fuß von Machu Picchu, sieben Brüder, drei Schwestern. Ihre Farm betreibt die Familie dort noch heute. Romulo lebt inzwischen in Cusco, wo er an der Universität eine Zeitlang Archäologie unterrichtet hat. Heute kommt er mehrmals die Woche als Reiseleiter nach Machu Picchu.

Entfernte Inschrift

Über Hiram Bingham kann er sich vortrefflich aufregen. Im Haus der drei Fenster, einem der bekanntesten Bauwerke in Machu Picchu, deutet er auf einen grob behauenen Stein. "Genau hier stand es. Lizárraga, 1902. Und bei der Freilegung der Ruinen hat man es entfernt", sagt Romulo. Tatsächlich fällt genau dieser Stein auf, denn die anderen sind in absoluter Perfektion glattgeschliffen und so passgenau aufeinandergesetzt, dass kaum ein Blatt Papier dazwischen Platz hat. Die Entdeckung der Inschrift erwähnte Bingham in seinem Tagebuch noch, in späteren Texten fehlt jedoch der Hinweis.

Da passt für Romulo vieles ins Bild, auch dass sein Großonkel bereits 1912 im Urubamba unter ungeklärten Umständen ums Leben kam. Und Bingham? Der will zwar damals kein Gold gefunden haben, ließ aber reichlich Keramiken, Schmuck und Mumien unter dem Vorwand wissenschaftlicher Untersuchung in die USA bringen. Erst vor wenigen Monaten gab die Yale-Universität erste Artefakte an Peru zurück.

Winterresidenz eines Inka-Herrschers

Machu Picchu ist ein ausgezeichneter Platz für Mythen und Legenden. Das Fehlen einer eindeutigen Lesart macht bis heute sicherlich einen großen Teil der Faszination dieses Ortes aus. Letzten Erkenntnissen zufolge diente die Stadt wohl als Winterresidenz des Inka-Herrschers Pachacútec, der regelmäßig mit seinem Hofstab aus Cusco ins wärmere Klima des etwa 1000 Meter niedriger gelegenen Machu Picchu übergesiedelt sein soll. Doch kaum hatten die Inka die Stadt im 15. Jahrhundert gebaut, verließen sie den Ort gut 100 Jahre später bereits wieder, obwohl die spanischen Eroberer die Kultstätte nie entdeckt hatten.

Täglich beinahe 2000 Besucher

Hiram Bingham darf ohne Zweifel als wissenschaftlicher Entdecker von Machu Picchu gelten, war er doch der erste Fremde, der die Anlage dokumentierte und sie damit weltweit bekannt machte. Wobei das unmittelbare Auffinden der Ruinen sicherlich Agustín Lizárraga und anderen einheimischen Bauern zuzuschreiben ist.

Tourists follow their guide at the Inca citadel of Machu Picchu in Cuzco
(Foto: Reuters)

Doch auch die sollen nicht die Einzigen gewesen sein, die von Machu Picchu oder zumindest seiner Gegend Kenntnis hatten. Schon 1657 pachtete der Augustinerorden Land um Machu Picchu, und es existierten Landkarten, auf denen sich der Eintrag Machu Picchu findet. Der Deutsche Augusto Berns soll 1867 in Machu Picchu gewesen sein, weil seine Firma für dieses Gebiet Goldschürfrechte besaß, und 1875 scheiterte der Franzose Nicolas Wiener kurz vor den Ruinen an einem Erdrutsch.

Zugangsbeschränkung für Touristen möglich

Auf einen Entdecker mehr oder weniger kommt es zumindest heutzutage sowieso nicht mehr an, denn Machu Picchu hat täglich mit beinahe 2000 von ihnen zu tun. Es sind all jene Reisende, die eines der bekanntesten Weltwunder der Neuzeit nicht für die Wissenschaft, sondern nur für sich selbst entdecken wollen. Über eine Zugangslimitierung wird deshalb immer wieder einmal nachgedacht.

Auch hatte die Unesco der peruanischen Regierung bereits Ende der 1990er Jahre damit gedroht, ihr den Welterbestatus für Machu Picchu zu entziehen, sofern Pläne, die Anlage mit Hilfe einer Seilbahn noch effektiver zu erschließen, umgesetzt würden.

Für die nun Anfang Juni neu gewählte Regierung unter Führung des Linksnationalisten Ollanta Humala dürfte Machu Picchu ebenfalls ein schwieriges Terrain bleiben. Denn die Tourismusbehörde hat es bislang versäumt, Perus Kultur- und Naturschätze jenseits von Machu Picchu und Titicacasee bekannter zu machen. So wächst in dem strukturschwachen Land der ökonomische Druck auf die alte Kultstätte weiter, schließlich erwirtschaftet die peruanische Tourismusindustrie 90 Prozent ihrer Einnahmen nur in Machu Picchu und verdient allein am Eintritt etwa 20 Millionen Euro jährlich.

Kraft durch Berühren der Steine

Vielbesuchten Plätzen wie Machu Picchu ist meist eine unterschwellige, aber permanent vorhandene Hektik eigen. So hetzen viele, die nur für einen Tagesausflug vorbeikommen, Hunderte Stufen nach oben und hecheln von einem Highlight zum nächsten: Wohnviertel, Palastbereich, Haupttempel, Terrassenanlagen.

Machu Picchu

Machu Picchu liegt in der Nähe von Cusco.

(Foto: SZ-Grafik)

Kunstvoll in die Landschaft integrierte Architektur

Die erstaunliche Harmonie der kunstvoll in die Landschaft integrierten Architektur bemerkt indes nur, wer auch innehalten kann. Die Giebelreihen der Häuser folgen in ihrer Form den Gipfelketten der Gletscher. Manche Fenster und Türen eröffnen spektakuläre Ausblicke, die wie in einen Bilderrahmen gefasst zu sein scheinen. Gewaltige Abgründe reichen bis zu den Stromschnellen des Urubamba hinab. Zu allen Seiten unzugängliche Felsschluchten.

Während den einen der Blick auf die erhabene Anlage genügt, erhoffen sich andere, durch das Berühren ihrer Steine Kraft zu finden. Für Mystiker hat Machu Picchu einiges zu bieten, besonders an nebelverhangenen Tagen, wenn vieles im Diffusen bleibt.

Von den oberen Terrassenfeldern aus lassen sich vortrefflich die verschiedensten Reisegruppen beobachten: fein zurechtgemachte Hongkong-Ladys klappern in Stöckelschuhen vorüber, und manch pensionierter Oberstudienrat ist ausgerüstet wie fürs Himalaya-Trekking.

Unbemerkt kann man auch den Diskussionen der Vorüberziehenden lauschen. Von einem Stein mit dem schönen Namen Intihuatana ist oft die Rede, was übersetzt bedeutet: Stein, an dem man die Sonne anbindet. "Klar, ein astronomischer Kalender." - "Aber nein, es war eindeutig ein Opferstein, auf dem Jungfrauen niedergemetzelt wurden." - "Unsinn, Sie verwechseln das mit den Maya. Hier wurden allenfalls Lamas geopfert."

Heftig diskutierend rumpelt die Gruppe wieder nach unten, und die Theorien wuchern weiter wie einst der Dschungel über Machu Picchus Mauern. Aber was macht das schon. Der Anblick des majestätischen Platzes hält jeden Besucher gefangen, egal, wie oft er das bekannte Bildmotiv vorher schon gesehen hat.

Informationen:

Reisearrangement: Marco Polo offeriert eine 14-tägige individuelle Perureise im Privatwagen mit Fahrer und Guide. Der unter www.marco-polo-reisen.com/reisen/2011/ MP/6680S angegebene Routenvorschlag Lima, Cusco, Heiliges Tal, Machu Picchu kann individuell verändert Die Rundreise kostet inkl. Flüge mit LAN Airlines, Standardhotels mit Frühstück und Scout ab 3399 Euro pro Person im DZ. Es besteht auch die Möglichkeit, ausschließlich in Orient-Express-Hotels zu übernachten, www.orient-express.com Weitere Auskünfte: www.peru.info

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