Patagonien:Räuber und Touristen

Die berühmtesten Gauner der Welt, Sundance Kid und Butch Cassidy, versteckten sich einst in Patagonien. Ihre Geschichte soll nun 100 Jahre später Besucher in den kleinen Ort Cholila in Argentiniens Süden locken.

Peter Burghardt

Es gibt heutzutage eine einsame Polizeistation gleich gegenüber von dem Ort, wo sich einst die berühmtesten Gauner der Welt versteckt haben. Der Polizist, der einzige in diesem verlorenen Kaff namens Cholila in Argentiniens Süden an der Grenze zu Chile, ist nicht da an diesem Nachmittag. Aber sein Sohn.

Der heißt Brian Guzman, ist 14 Jahre alt und kennt sich einigermaßen aus mit Butch Cassidy und Sundance Kid. Deren Karriere ging zwar vor seiner Zeit zu Ende, ziemlich genau 100 Jahre ist es her. Doch Guzman Junior hat sich Grundzüge ihrer Geschichte angeeignet, das bot sich angesichts der Nachbarschaft ja an.

Der Junge spielt gerne Fußball und geht in die Schule - sein Taschengeld verdient er mit der Erinnerung an die beiden Räuber, die mit ihren Revolvern Zehntausende Dollars einsammelten und dort hinten in Deckung gingen. "Wollen Sie ihre Hütten sehen?", fragt er und zeigt den Weg über die Wiese, auf der wie damals ein paar Kühe weiden. Es hat sich offenbar nicht viel verändert.

Der Fremdenführer öffnet das Tor am Holzzaun mit dem Widderschädel am Pfosten, dahinter, gleich am Fluss, stehen drei Bretterbuden. Dort wohnten zwischen 1901 und 1907 Robert Leroy Parker alias Butch Cassidy, Harry Longabaugh alias Sundance Kid und dessen Frau Etta Place.

Vorher hatten die Ganoven aus dem Wilden Westen jahrelang zwischen Montana und Kalifornien Banken und Züge geplündert, ehe es ungemütlich zu werden begann. Die hartnäckige Detektei Pinkerton nahm ihre Fährte auf, sie mussten verschwinden. Von New York aus gelangten sie mit dem Dampfschiff nach Buenos Aires, machten sich auf den Weg ins weitgehend menschenleere Patagonien und erwarben Land. "Die dachten, hier sucht sie niemand", erläutert Guzman, "hier waren sie ganz normale Farmer."

Fast jedenfalls. "Ich habe 300 Rinder, 1500 Schafe, 28 Pferde und zwei Knechte", soll Cassidy einer Freundin in den USA geschrieben haben. Butch, Sundance und Etta hätten sich gut ins örtliche Leben eingegliedert, heißt es, seinerzeit bestand Cholilas Einwohnerschaft aus insgesamt 14 Familien. Auch 2008 ist es nicht der nächste Weg, allein von der nächstgrößeren Stadt Esquel trennen ungefähr zweieinhalb Stunden Fahrt, wobei ein Teil über Schotterpiste führt.

Nach Buenos Aires sind es 1500 Kilometer. Dafür gibt es ein phantastisches Panorama mit See und schneebedeckten Anden vor sattgrünen Wiesen. Bei der Auswahl ihrer Zuflucht bewies das berüchtigte Trio landschaftlich guten Geschmack, die Unterkunft gleichwohl macht einen eher rustikalen Eindruck. Der Pferdeschuppen mit Schieferdach ist noch original erhalten, darin lagert der heutige Besitzer Wellblech und Stroh. Die beiden anderen Hütten, durch notdürftige Reparatur vor dem Einsturz bewahrt, sind leer.

Die Bewohner mussten vor einem Jahrhundert schnell wieder weg. Selbst dieses Refugium sprach sich bis zur Agentur Pinkerton herum, in argentinischen Zeitungen erschienen schon Steckbriefe. Butch Cassidy und Sundance Kid zogen über Chile nach Bolivien weiter, unterwegs räumten sie in Villa Mercedes bei San Luis die Nationalbank aus.

"Für mich waren es Abenteurer", sagt Brian Guzman. Das Ende ereilte seine Idole der Legende nach an der bolivianischen Goldmine von San Vicente, auf 4800 Metern, erschossen von ihren Verfolgern. So hat es Guzman wie Millionen anderer auch in dem Film mit Robert Redford und Paul Newman gesehen, sein Vater hat ihm das Video mitgebracht.

Einzelheiten will er noch in Erfahrung bringen. Der jugendliche Experte und Cholila entdecken gerade erst den Wert der einstigen Anwohner. "Cholila war vergessen", klagt Guzman, "von uns muss öfter gesprochen werden." Die angemoderten Holzhütten sollen besucherfreundlich restauriert werden, die Gemeindeverwaltung wandte sich bereits an die Tourismusbehörde der Region Chubut, wo die Attraktionen ansonsten Wandern, Skifahren sowie die Besichtigung von Walen und Pinguinen sind.

In Cholila fand zum 100. Jubiläum des Finales von Butch und Sundance das "4. Symposium über nordamerikanische Banditen in Patagonien" statt. Und Guzman lernt Englisch und kassiert von vereinzelten Interessenten 50 Pesos für eine Führung, 11 Euro. Gibt es übrigens noch Verbrecher hier, Brian? Oh ja, sagt er, erst kürzlich seien aus einem Lager Bettlaken und Bezüge entwendet worden. Ansonsten passe sein Papa gut auf.

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