Patagonien in Chile:Gigantische Landschaft aus Eis und Stein

Ein Monster in einer Höhle, ein eigentlich vom Aussterben bedrohter Kondor, der mit Artgenossen dem Puma folgt: In Patagonien ist kaum etwas so, wie Reisende es erwarten.

Von Martin Schneider, Chile

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Patagonien

Quelle: Schneider

Es war das Jahr 1895, als Kapitän Hermann Eberhard eine Höhle betrat und am Ende der Welt ein Monster fand. Er entdeckte Knochen, Zähne, aber vor allem ein Stück Fell. Vor dem Kapitän aus Schlesien mit dem weißen Bart lag ein Faultier, ein Riesenfaultier, Mylodon genannt. Eberhard zog aus dem Fell-Fund nur einen Schluss: Diese Tiere gibt es noch, und sie verstecken sich irgendwo in Patagonien - in dieser gigantischen Landschaft aus Eis und Stein. Wie sonst sollte ein Stück Fell in diese Höhle kommen?

Vier Meter maß das Tier, das aussah wie ein vergrößerter Wombat. Es starb vor 8500 Jahren aus. Das Stück Fell, das fand man erst später heraus, wurde im Eis Südchiles schlicht besonders gut konserviert. Doch auch wer heute nach Patagonien reist, der versteht, warum es Kapitän Eberhard für absolut denkbar hielt, dass in dieser Region der Welt Riesenfaultiere umherstreifen. In Patagonien sind viele Dinge anders als erwartet - sechs Besonderheiten im Überblick.

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Das Wappentier

Distant man walks path to light at end of cave; Chile

Quelle: Getty Images

Die "Cueva del Milodón" (im Bild), in der Eberhard das Stück Fell fand, kann man heute besuchen. Puerto Natales heißt der nächste Ort, und dort sind sie wirklich sehr stolz auf ihr Riesenfaultier. Auf der Verkehrsinsel in der Mitte des größten Kreisverkehrs im Ort steht eine Mylodon-Statue. Das Tier richtet sich auf den Hinterbeinen auf, was es vermutlich nie getan hat. Aber das ist den Einwohnern egal, so sieht es besser aus. Auch im Ort steht immer mal wieder eine kleinere Mylodon-Statue herum, auf jedem Straßenschild ist der Umriss des prähistorischen Säugetiers abgebildet. Andere Städte haben Löwen oder Adler als Wappentiere, in Südamerika würde sich auch noch ein Andenkondor oder ein Guanako anbieten. Doch Puerto Natales liebt sein Riesenfaultier.

In Sichtweite der Höhle hat der Ort seit Anfang Dezember 2016 einen neuen Flughafen. Nicht nur, um der Welt sein Riesenfaultier besser präsentieren zu können, sondern weil Puerto Natales das Tor zum Nationalpark Torres del Paine ist (hier finden Sie eine Bildreportage zur Wanderung durch den Park). Bislang musste man von Europa aus nach Santiago de Chile fliegen, von Santiago nach Punta Arenas (der südlichsten Großstadt der Welt) und von dort mit dem Bus wieder mehr als dreieinhalb Stunden nach Norden fahren. Der Nationalpark ist seit 1978 Biosphärenreservat der Unesco, 100 000 Besucher kommen jährlich: vor allem um die drei Granitzacken zu sehen, von denen manche sagen, sie seien das schönste Stück Stein der Erde.

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Die Größe

Patagonien

Quelle: oh

Diese drei Zinnen sind gewaltig. 2800 Meter sind die Torres del Paine hoch, überhaupt ist in Patagonien alles größer, als es sein sollte. Der Mitteleuropäer hat als Vergleich die Alpen, ein solides Gebirge mit soliden Bergen und Almen. Im Süden Chiles sieht es so aus, als habe jemand bei der Vergrößerung "mal zwei" eingestellt. Bis zu 2000 Meter hohe Berge wachsen direkt aus dem Meer, 3000 Meter sind die höchsten Gipfel des Parks. Wer vor dem Torres-Granitmassiv steht, denkt sich: Wenn Peter Jackson einen Berg für den "Herrn der Ringe" hätte nachbauen wollen - hier steht das Vorbild.

Sei es die Größe der Berge oder die Weite der Ebene. Alles sendet die Botschaft: Du. Bist. Klein. Die Natur ist groß. In starken Momenten kann man dem trotzen, aber nur kurz. In schwachen Momenten überkommt einen Demut, die man beim Wandern im deutschen Mischwald vielleicht verloren hat.

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Das Wetter

Patagonien

Quelle: Schneider

Man muss in Patagonien den Wind als Freund akzeptieren. Die Luft, die einem ins Gesicht bläst, hat die Antarktis schon einmal gesehen. Feine Regentropfen fühlen sich an wie Nadelstiche auf der wenigen freien Haut (also um die Augen und wenn man kein Tuch trägt: auch um den Mund). Wer sich darüber beschwert, wird verlieren. Auch der Wind ist Teil dieser Komposition der Kraft in Patagonien.

Kleidung ist alles, und wer glaubt, er komme mit einer handelsüblichen Deutsche-Touristen-Funktionsjacke durch, irrt. Bei Sturm wird sie durchnässt wie ein Waschlappen und hängt als bunter Fetzen am Körper. Übrigens auch im Sommer, also von November bis Februar.

Das Wetter ändert sich schneller, als man seine Kleider wechseln kann. Wer blauen Himmel sieht, zieht daraus diese Schlussfolgerung: Dass der Himmel genau jetzt blau ist. Was in fünfzehn Minuten sein wird, weiß niemand. Selbst professionelle Wetterstationen können nur an wenigen Tagen genaue Vorhersagen machen. Wer einen sonnigen Tag erwischt, sollte ihn wertschätzen. Es gibt nicht viele davon.

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Die Tierwelt

Patagonien

Quelle: oh

Der Andenkondor ist einer der größten Vögel der Welt und vom Aussterben bedroht? Fast richtig. Bis zu drei Meter Spannweite und 15 Kilogramm Gewicht sind zwar rekordverdächtig (der Wanderalbatros kommt auf eine größere Spannweite, wiegt aber weniger), aber zumindest in Patagonien ist der Kondor nicht kurz vor dem Aussterben. Auf den steilen Klippen der Fjorde nisten die Vögel, es gibt Wanderwege zu ihren Nestern. Wer Glück hat - und Einheimische schwören, dass es möglich ist - kann auf Augenhöhe mit den Vögeln wandern. Um sie zu sehen, braucht man aber kein besonderes Glück. Wenn es nicht regnet, ziehen sie in großer Höhe ihre Kreise. Oft folgen sie dem Puma, um dann als Aasfresser die Reste seiner Opfer zu vertilgen. Den Puma erblickt ein Mensch übrigens nie, und es gibt auch keine Wanderwege zu ihm. "Den Puma sieht man nicht, der Puma sieht dich", sagen die Südchilenen.

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Die Farben

Patagonien

Quelle: schneider

Der Sand ist schwarz, der See ist grün und das Eis blau. Wer zum Grey-Gletscher wandert, muss mehrere hundert Meter über Schiefersand stapfen. Weil der Strand eine riesige Freifläche ist, bietet er keinen Schutz vor Wind. Der Himmel ist grau, der Boden schwarz und in diesem Gemälde der Düsternis schimmern Eisberge so blau wie Murmeln. Weil das Eis eines Gletschers über Äonen zusammengepresst wurde, reflektiert es nicht wie Kühlschrank-Eis alle Farben, sondern nur den blauen Teil des Spektrums.

Das Wasser der Seen ist dagegen grün, indirekt auch wegen der Gletscher. Die trugen über Jahrhunderte Sedimente in die Seen und so sind diese nicht kristallklar, sondern mit feinstem Sand durchsetzt, der das grüne Licht reflektiert.

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Feuer und Eis

Chile_Torres del Paine; Chile

Quelle: Getty Images

Die ganze Landschaft ist von Wasser und Eis geprägt. Das südchilenische Eisfeld ist auf der Südhalbkugel das größte zusammenhängende Stück gefrorenen Wassers außerhalb der Antarktis. Und Tage, an denen es nicht regnet, sind so selten wie ein chilenisches Abendessen ohne Fleisch. Das Paradoxe: Im ganzen Nationalpark und auch darüber hinaus herrscht höchste Waldbrandgefahr.

Zweimal verursachten Touristen in jüngster Vergangenheit riesige Feuer. Vor vier Jahren soll es genügt haben, Toilettenpapier anzuzünden, um 13 000 Hektar zu verbrennen. Obwohl der Boden quasi dauernass ist, sind Torf und ständige Winde eine teuflische Kombination. Einmal in Brand gesetzt, facht der Wind das Feuer immer wieder an. Die Folgen sieht man eine Ewigkeit lang, denn das Holz modert nicht. Als die ersten Siedler nach Patagonien kamen, brannten sie Wälder nieder, um Weideland zu schaffen. Die schwarzen Baumstümpfe sieht man immer noch, sie stehen wie faule Zähne in der Landschaft. So ist es nachvollziehbar, dass Kochen nur in kleinen Hütten erlaubt ist und man keine Zigarette wegschnippen darf.

Auch ohne die verbrannten Bäume ist die Landschaft Patagoniens surreal. Und immer anders als erwartet.

Die Reise wurde unterstützt von Latam Airlines und The Singular Hotel. Latam Airlines bietet Flüge von Frankfurt am Main über Santiago direkt nach Puerto Natales an. www.latam.com

© SZ.de/kaeb/mane
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