Norwegens Finnmark:Durchs Land der Samen

Finnmark

Ein einsamer Baum trotzt dem Wind, der über das Eisplateau der Finnmark weht.

(Foto: Maarten van der Duijn Schouten)

Bezaubernde Landschaft, strammer Gegenwind: Wer im Frühling auf Skiern seinen Schlitten durch die norwegische Finnmark zieht, lernt, dass große Kälte durchaus ihre Vorteile hat.

Von Birgit Lutz

Der Wind bringt die Erinnerung zurück. Die Erinnerung an Grönland, an die große Weite und den Sturm, der in Kapuzen fährt und in die Finger beißt. Der Wind katapultiert uns ins Draußenleben und sagt uns jetzt und hier, dass von nun an andere Dinge zählen. Der Blick schweift über die Hügellandschaft, die vor uns liegt, sie ist mit dürren, niedrigen Birken bewachsen, vom Schnee verweht unter einer knapp über dem Horizont hängenden Sonne. Karabiner klicken, wir hängen die Seile unserer Gepäckschlitten in die Geschirre ein, wir haben keine Schlittenhunde, die Hunde sind wir. Es geht los.

Fünf Menschen durchqueren die Finnmark. Die Finnmark ist der größte Verwaltungsbezirk Norwegens, weit oben im Nordosten, sie ist ein Teil des Landes, in dem das Volk der Samen lebt. Alta, der Ort, von dem wir aufbrechen, liegt auf 69 Grad nördlicher Breite, von Ende November bis Mitte Januar geht die Sonne dort nicht auf, und auch dann, wenn es langsam wieder hell wird, sinken die Temperaturen oft unter 40 Grad minus. Deswegen ist die Finnmark im Februar ein beliebtes Trainingsziel für Polarexpeditionen, hier gibt es den Wind und die Kälte und die Weite, aber es gibt auch Hütten und markierte Wege, es gibt sogar häufig Handyempfang: Arktis mit erleichterten Bedingungen.

Finnmark HiRes für die REISE

Skitourengeher ziehen ihr Gepäck in Schlitten hinter sich her und zelten im Schnee. In Norwegen ist das nichts Ungewöhnliches.

(Foto: Maarten van der Duijn Schouten)

Fünf Freunde, fünf Schlitten, zwei Zelte

Wir üben nicht für eine Polarexpedition, die haben wir schon hinter uns - wir haben uns während einer Grönlanddurchquerung getroffen, bei Kilometer 400 von 560. Die restlichen 160 Kilometer gingen wir gemeinsam und sind dabei zu Freunden geworden. Uns ist gemeinsam, dass wir keine Angst vor der Kälte haben und gern draußen sind, so lang und frei es nur geht. Wir wollen schöne Tage im Schnee verbringen, Polarlichter sehen, fünf Freunde, fünf Schlitten, zwei Zelte - und rund hundert Kilometer auf Skiern, von Alta bis nach Karasjok. Der Fahrer, der uns in einem kleinen, mit unseren Schlitten vollgestopften Bus an den Ausgangspunkt bringt, sagt: "Oben in den Bergen werdet ihr viel Wind haben, und er wird von vorne kommen." Das ist ja immer so, antworteten wir, wann kommt der Wind schon mal von hinten? Der Fahrer lacht, ja, sagt er, das ist im ganzen Leben so.

Viele Wochen haben wir an dieser Tour herumgeplant, das Essen berechnet, gewogen, verpackt. Man kann sich diese Logistik sparen und Touren durch die Finnmark fertig buchen, was das Leben deutlich einfacher macht. Wer nicht viel Zeit oder Erfahrung hat, sollte besser eine dieser Touren mit Guide machen, die seit einigen Jahren immer beliebter werden.

Informationen

Anreise: Mit SAS von München über Oslo nach Alta, hin und zurück für etwa 430 Euro, www.flysas.com

Unterkunft: In Alta: Thon Hotel Alta, DZ ab ca. 95 Euro pro Nacht, www.thonhotels.no; Alta Strand Camping, ÜN in einer Zwei-Personen-Hütte mit Gemeinschaftswaschräumen ab 70 Euro, Fünferhütte mit Bad und Sauna ab ca. 200 Euro, www.altacamping.no. In Karasjok: Karasjok Camping, ÜN in einer Hütte für zwei Personen ab ca. 100 Euro, für fünf Personen ab ca. 150 Euro; www.karacamp.no.

Touren: Geführte Skitouren durch die Finnmark bietet für etwa 1100 Euro zum Beispiel der norwegische Abenteurer Børge Ousland an, www.ousland.no Weitere Informationen: www.visitnorway.com oder www.nordnorge.com/de

Sanfte Hügel, gefrorene Flussbetten, eisige Seen

Das wundert einen nicht, wenn man hier wandert - die Finnmark ist ein bezaubernder Landstrich. Sanfte, weiße Hügel liegen vor uns, bewachsen mit Zwergbirken. Wir folgen dem mit Ästen markierten Weg, gehen gefrorene Flussbetten entlang und überqueren eisige Seen. Wenn der Schnee flach gepresst ist, fängt er an zu singen unter unseren Skiern, spezielle Expeditionsmodelle, breiter als Langlauf- und schmaler als Tourenbretter. Sie sind in Norwegen weit und in Deutschland kaum verbreitet, man kann mit ihnen einfach ins Gelände gehen und mit etwas Übung auch gut abfahren, im Telemarkstil.

Drei Hütten stehen entlang unseres Wegs. In der Ravnastua Fjellstue steht Oskar Eriksen, der Hüttenwirt, schon in der Tür, als wir kommen. Der Same backt herrlich duftende, dampfende Waffeln für uns, mit Moltebeerenmarmelade, selbstgemacht. Dazu erzählt er, dass er hier zur Welt kam als eines von zwölf Kindern. Er sei geblieben, weil er es so wollte. Seine Geschwister, sagt er, wünschten sich bessere Arbeit in der Stadt. Dabei sei doch das hier die beste Arbeit, die es gebe.

Finnmark HiRes für die REISE

Nur drei Hütten stehen dort in der Finnmark.

(Foto: Maarten van der Duijn Schouten)

Er erzählt von Wintern, in denen es vier Monate lang 40 Grad minus hatte; heute wird es oftmals nur noch drei Wochen lang so kalt. Er zeigt uns Fotos von seinem Wasserflugzeug, einer tollkühnen Kiste mit Schwimmkörpern unten dran. Was könne es denn Schöneres geben, fragt er, als mit einem solchen Vehikel über das Land zu fliegen und direkt hinter der Hütte zu landen, auf dem glatten See? Dann lacht er. "Nie möchte ich das gegen ein Leben in der Stadt tauschen." Im Winter, erzählt Oskar, kommen mehr Gäste. Skifahrer wie wir, Gruppen auf Schneemobilen, Hundeschlittengespanne. Sobald die Seen gefroren sind und der Weg markiert ist, beginnt die Saison. Im Sommer kämen weniger Touristen - weil alle vor den Moskitos Angst hätten. "Das verstehe ich nicht", sagt Oskar, "die Moskitos gehören doch zur Natur. Sie leisten dir hier Gesellschaft."

Manches macht die Kälte sogar einfacher

Als wir weiterziehen, steht Oskar am Fenster und winkt. Seine Waffelwärme spüren wir noch eine ganze Weile, und wieder einmal erleben wir, wie herzlich die Menschen miteinander umgehen, dort, wo es kalt ist. Das mag auch daran liegen, dass es hier nicht viele Menschen gibt. Auf der ganzen Tour treffen wir nur ein paar Ski- und Schneemobilfahrer. In der Finnmark leben 1,6 Menschen pro Quadratkilometer. In Deutschland sind es 226.

Am Abend bauen wir im letzten Licht die Zelte auf, die Birken stehen nun in einem roten Schein, der durch die wilden Wolken aussieht wie loderndes Buschfeuer - aber es ist nur das allabendliche Spektakel des nordischen Sonnenuntergangs. Dann wird es kalt, doch wir haben Glück, nur 20 Grad minus zeigt das Thermometer in der kältesten Nacht, das ist, man mag es nicht glauben, recht angenehm. Je kälter es wird, umso trockener ist die Luft, die Kälte frisst sich nicht mehr klamm in die Knochen, und am Morgen lässt sich der Reif vom Zelthimmel wischen. Wenn es warm ist, wird das Zelt innen tropfend nass. Wenn man das gelernt hat, fürchtet man die Kälte nicht mehr, man weiß dann, dass sie manches sogar einfacher macht.

Man macht sich auf, von A nach B

Stundenweise schreiten wir voran, jede Etappe ein anderer vorneweg, im Stundentakt legen wir Pausen ein. Einar aus Oslo ist der Älteste von uns, er bestreicht sich sein Knäckebrot fingerdick mit Mayonnaise und erklärt, es sei ein Missverständnis aller Ausländer, dass sich Knäckebrot gut für Diäten eigne, bei ihm helfe es nichts.

Norwegens Finnmark: SZ-Karte

SZ-Karte

Paul, der Niederländer, verkündet bei jeder Pause feierlich die Distanz, die wir zurückgelegt haben. Er unterstreicht damit das Besondere, das Querungen über größere Strecken immer eigen ist. Man macht sich auf, von A nach B, es geht um den Weg zu einem Ziel, und es geht auch darum, nicht umzukehren, nicht umkehren zu müssen. Widrigkeiten sind da, um gemeistert zu werden, und vielleicht rührt auch daher das große Freiheitsgefühl - wenn man am Ende gemeinsam am Ziel steht, und nichts konnte einen aufhalten.

Das wird besonders deutlich, als Maarten, der zweite Niederländer, schon am ersten Tag der Tour die Sohlen beider Schuhe verliert. Mit einem hässlichen Schmatzen reißen sie ab. Und allen ist sofort klar, dass dies hier nur eine neue Aufgabe ist, die gelöst werden muss. Das gelingt dank unseres voluminösen Werkzeugkastens.

Elf Stunden schlafen wir in unseren Daunensäcken

Abends quetschen wir uns in das größere der beiden Zelte, um gemeinsam zu essen. Wir übergießen unsere gefriergetrocknete Expeditionsnahrung mit heißem Wasser und warten, bis sie aufgequollen ist. Es gibt Spaghetti mit Nüssen oder Labskaus. Das schmeckt alles erstaunlich gut, wenn man den ganzen Tag einen Schlitten gezogen hat.

Christoffer, ebenfalls aus Oslo, hat eine starke Glutenallergie, aber sogar glutenfrei gibt es das Trockenzeug schon - auch ein Zeichen dafür, wie viele Menschen mittlerweile Touren außerhalb von Versorgungsmöglichkeiten machen. Nach diesen Abendessen fallen wir umgehend in einen tiefen Schlaf in unseren dicken, warmen Daunensäcken. Elf Stunden ruhen wir in diesen Nächten, von acht bis sieben.

Der Schlaf wird nur gestört, wenn es stürmt. Als wir das weite Eisplateau erreichen, gibt es nur noch Eis, bis zum Horizont. Am Abend schiebt sich ein dicker Vollmond über unser Zelt, doch dann jagen Wolken über den Himmel, der Wind zerrt an unserem Zelt, und es wird so laut, dass wir uns nur noch rufend unterhalten können. Doch das Zelt steht fest, wir haben es an Skiern, Schlitten und Schneeheringen befestigt, hohe Schneewälle auf die Lappen geschaufelt, die ringsum an das Winterzelt genäht sind. So steht das Zelt wie einbetoniert. 90 Kilometer pro Stunde erreichen die Böen, zeigt der Windmesser an, aber Maarten, der Seemann, braucht dieses Gerät nicht, gute sieben Beaufort schätzt er, und er schätzt immer richtig.

Die deutschen Besatzer hinterließen im Winter 44/45 verbrannte Erde

Ob dieser Wind auch vor 70 Jahren geweht hat? Hat er die Flammen noch weiter angefacht, die damals aus den Häusern schlugen? Für deutsche Touristen ist die Finnmark wieder einmal ein Gebiet, in dem sie in jedem Ort an ihre Vergangenheit erinnert werden, wenn sie wollen. Viele einfache Häuser stehen in den kleinen Städten, sie zeigen kein rot-weiß gestrichenes Bilderbuch-Norwegen. Das gab es bis zum Zweiten Weltkrieg.

Als sich die deutschen Besatzer im Winter 1944/1945 aus der Finnmark zurückzogen, hinterließen sie verbrannte Erde. Von den 60 000 Bewohnern des Landstriches wurden all jene, die sich nicht in Erdhöhlen flüchten konnten, nach Süden deportiert. Was den alliierten Truppen von Nutzen sein konnte, zerstörten die Deutschen. Rund 12 000 Wohnhäuser, 150 Schulen, 20 Kirchen, 500 Betriebe und Tausende Fischerboote wurden vernichtet, ganze Wälder abgeholzt.

Im Alta Museum kann man ein kleines Büchlein kaufen, "Flüchtlinge im eigenen Land" heißt es. Leif Lukassen, einer der damals Vertriebenen, schildert darin: "Was für ein trauriges Bild! Bukta und Elvebakken waren hübsche Dörfer. Völlig ausgelöscht! Der üppige Wald? Alles hatte sich in eine öde und kalte Steppe verwandelt."

Deswegen also stehen entlang unserem Weg nur noch drei Hütten, außer Ravnastua noch Joatkajavri und Mollisjok. Die Deutschen haben sie vergessen.

Wir sehen ein bisschen verwildert und sehr glücklich aus

Rund 20 Kilometer gehen wir jeden Tag, am sechsten erreichen wir Karasjok. Auf dem gefrorenen Fluss Karasjokka ziehen wir auf den Ort zu, freudig aufgeregt, bis Paul anhält, seinen Selfiestick auspackt und ein Foto schießt, auf dem wir ein bisschen verwildert und sehr glücklich aussehen. Der Campingplatz besteht aus gemütlichen Hütten mit eigener Sauna. Sie stehen neben dem Parlament der Samen, das hier vor 15 Jahren errichtet wurde. Bevor das Gebäude gebaut werden konnte, schliefen erst die Ältesten der Samen eine Nacht auf dem Grundstück, erzählt uns Einar. Sie schliefen ruhig - also war der Ort ein guter.

Der Wind der Finnmark umweht uns auch in dieser Nacht, in der sich zum Abschluss noch ein wundervolles Polarlicht über den Himmel schiebt. Wir liegen in unserer kleinen Hütte und schlafen so tief wie damals die Ältesten der Samen. Der Ort, wohl auch für uns ein guter.

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