Norwegen:Reise in die norwegische Polarnacht

In Tromsø geht derzeit keine Sonne auf. Doch die Touristen lassen sich nicht abschrecken - im Gegenteil: Die gute Winterlaune der Gastgeber und das Nordlicht ziehen die Menschen an.

Von Dominik Prantl

Es ist zwei Uhr, früher Nachmittag, der Shuttle-Bus fährt durchs Land der untergegangenen Sonne, direkt am Meer entlang. Die Stadtführerin mit dem einigermaßen unnorwegischen Namen Hijiri Takagi sagt auf dem Weg vom Flughafen in Richtung Stadtzentrum: "Ich weiß, dass ihr nicht viel sehen könnt. Aber das hier ist eine wirklich schöne Straße."

Tromsø, Norwegen, 69 Grad und 39 Winkelminuten nördlicher Breite. Für die Stadt bedeutet das: Von 27. November bis 15. Januar herrscht Polarnacht; die Dunkelheit wird nur unterbrochen von einer mehrstündigen Dämmerung. Um zehn Uhr vormittags lässt sich erahnen, wie sich die Sonne irgendwo weit im Süden unterhalb des Horizonts vorbeizittert und ein paar Lichtausläufer vorbeischickt wie einen hämischen Gruß. Häufig ist die Umgebung dann eher trüb als dunkel, als hätte jemand die Farben aus der Landschaft gezogen. Schon zum Mittagessen bricht die Nacht herein, weshalb sich jeder selbst ausmalen darf, wie die Landschaft da draußen wirklich aussieht.

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Es gibt auf der Welt nur wenige dunklere dauerhaft bewohnte Siedlungen. Chatanga in Russland etwa, Barrow in Alaska oder auch Norwegens Arktis-Archipel Spitzbergen. Aber von den dunklen Orten gibt es keinen, der gleichzeitig so hell leuchten kann wie Tromsø. Das hat mit der Größe der Stadt zu tun - seit 1990 ist die Zahl der Einwohner um rund tausend pro Jahr von 50 000 auf 75 000 gestiegen - und mit der Tatsache, dass die Nordnorweger Weltmeister in guter Winterlaune sind. Wahrscheinlich sind die Nordnorweger auch noch Weltmeister in anderen Dingen; zumindest behaupten manche steif und fest, dass der Polarkreis auch ein Moralkreis sei und es nördlich davon eher freizügig zugehe, was wohl in direktem Zusammenhang mit der Dunkelheit und der guten Laune steht. Ziemlich sicher ist der Winter ausgesprochen koselig, ein norwegisches Wort, das keiner Übersetzung bedarf. Die US-amerikanische Psychologin Kari Leibowitz hat in der Zeitschrift The Atlantic beschrieben, dass die Menschen in Nordnorwegen nicht unbedingt häufiger an Depressionen leiden als anderswo. Der Grund: die richtige Einstellung. Man kann von den Menschen in Tromsø also durchaus lernen, wie man Licht ins Dunkel bringt.

Beinahe so erstaunlich wie das Wachstum Tromsøs ist, dass sich auch viele Touristen von der Dunkelheit Nordnorwegens keineswegs abschrecken lassen. Im Gegenteil: Die Abwesenheit des Tageslichts scheint den Touristen der Moderne geradezu magisch anzuziehen. Es erzählt einiges über sich ändernde Urlaubsgewohnheiten, wenn eine immer größere Zahl von Reisenden nicht mehr zwingend die sonnigen Strände des Mittelmeers sucht, sondern die kalten Gestade in der Dunkelheit. Die Lufthansa hat heuer erstmals einen Direktflug von Frankfurt nach Tromsø gestartet, und zwar Ende November, zum Auftakt der Polarnacht. Den örtlichen Tourismusverbänden zufolge hat sich die Zahl der Übernachtungen zwischen Januar und April in den vergangenen zehn Jahren fast verfünffacht und lag zuletzt bei weiter ausbaufähigen 231 900, die Zahl der buchbaren Winterangebote ist im gleichen Zeitraum von neun auf 145 gestiegen, allein 88 davon stehen in Zusammenhang mit dem Nordlicht. Denn noch wichtiger als das sonnige Gemüt der Gastgeber ist für den kometenhaften Anstieg des Tourismus' das Nordlicht, Aurora borealis. Auch darin ist Tromsø regelmäßig Weltmeister.

Um zu verstehen, warum das so ist, fährt man über die wirklich schöne Straße, die man nicht sieht, zum Tromsø Museum. Das Nordlicht, das versteht auch der Laie ziemlich schnell, ist viel älter als Direktflüge von Frankfurt und die ganzen Winterangebote vom Skitouring bis Whale Watching. Schon seit Menschengedenken haben sich die Menschen das Nordlicht über durchaus fantasievolle Erklärungsansätze herleiten wollen: Der Geist von toten Kindern, die Fußball spielen. Jungfrauen, die mit ihren Fäustlingen wedeln. Hirten aus dem Volk der Samen, die ihre ausgebüxten Rentiere mit Fackeln suchen. Heringsschwärme, die Licht reflektieren. Große Vulkaneruptionen. Etwas weniger fantasievoll beschäftigten sich auch Wissenschaftler wie das Universalgenie Aristoteles, der aus Temperaturangaben bekannte Anders Celsius oder Kometenpate Edmond Halley damit. Und natürlich taten sie das, was Wissenschaftler so häufig tun: Sie lagen falsch mit ihren Vermutungen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts machte der heute noch auf dem 200-Kronen-Schein abgebildete norwegische Physiker Kristian Birkeland den Verantwortlichen für die größte Attraktion der norwegischen Dunkelheit aus: die Sonne.

Wenn ihre Plasmapartikel in einer Höhe von 100 bis 200 Kilometern und vom magnetischen Feld der Erde gelenkt auf die Gas-Atome der Erdatmosphäre treffen, revanchieren die sich vor lauter Energieüberschuss mit ein paar Spezialeffekten. Die Farbe hängt dabei von der Art des Gases ab. Und auch wenn das Polarlicht in wenigen Nächten sogar von Südeuropa aus zu erkennen ist, so lässt es sich am ehesten auf einem Ring blicken, der ellipsenförmig um den Pol läuft. Und mitten auf diesem Nordlichtring liegt Tromsø.

Für die effektive Polarlichtjagd gibt es inzwischen jede Menge Apps und Polarlicht-Prognosen wie den KP-Index, doch am besten ist es, eine Polarnachtführerin wie Karina Weinschenk an der Seite zu haben. Nach einer Stunde Fahrt weg vom störenden Lichtermeer der Stadt ist am Himmel irgendwann ein leicht grünliches Schimmern zu sehen. Rein physikalisch ist Grün die Farbe des reagierenden Sauerstoffs, für Weinschenk ist es das Signal zu Euphorie und Aufbruch. Die gebürtige Deutsche, die in Sachen gute Winterlaune jedem Norweger den Rang abläuft, sagt also: "Raus aus dem Bus, Leute. Aaaah. Toll, oder?" Naja, geht so.

Es ist nämlich selbst bei den Nordlicht-Weltmeistern nicht so, dass der Himmel die ganze Polarnacht voller Lichtschleier hängt. Das Schimmern wirkt eher so, als hätte jemand auf den Lofoten oder am Nordkap das Flutlicht im Stadion brennen lassen. Erst auf dem langzeitbelichteten Gruppenfoto bekommt der Aurora-borealis-Tourist das zu sehen, was er von Bildern kennt und sehen möchte. Zum Beispiel Hirten, die Rentiere suchen.

Informationen

Anreise: Lufthansa fliegt neuerdings samstags von Frankfurt direkt nach Tromsø, Hin- und Rückflug ab 179 Euro, ansonsten führt der Weg von mehreren deutschen Flughäfen über Oslo, von München z.B. mit Lufthansa ab 325 Euro.

Übernachtung: Im Stadtzentrum von Tromsø liegt diren am Meer das Hotel Clarion The Edge, www.nordicchoicehotels.com, DZ mit Frühstück ab 160 Euro pro Zimmer. Sehr zu empfehlen: das Rentiersteak.

Aktivitäten: Nordlichtsafari, z.B mit Scan Adventure, Karina Weinschenk (deutschsprachig), 120 Euro Pro person, www.scanadventuretravel.com, mehrstündige Walsafari, z.B. mit Arctic Explorer, 133 Euro pro Person, www.arcticexplorer.no, weitere Auskünfte unter www.visitnorway.de.

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