Nordwestaustraliens Natur:Locker lassen

Die einzigen Probleme bei einer Fahrt entlang der Kimberley-Küste sind die Salzwasserkrokodile und der Mondstand.

Von Ingrid Brunner

Finde den Fehler: Milchig-blaues Wasser, schneeweiße Strände, tropische Temperaturen, striktes Badeverbot. Die Kimberley-Küste im Nordwesten Australiens ist Crocodile Country. Dort tun Salzwasserkrokodile, was auch die Menschen gerne tun würden: Sie liegen am Strand, sie sonnen sich auf Felsen, sie schwimmen im Wasser. Deshalb gibt es an Bord der True North neben der weltweit üblichen Seenotrettungsübung ein Briefing zum richtigen Verhalten in Krokodilgewässern. So ist es verboten, sich über den Bootsrand der Dingis hinauszubeugen, oder auch nur einen Arm hinauszustrecken. Bei Anlandungen heißt es, sofort die Uferzone verlassen, im Schlamm oder im Gebüsch könnte ein "Saltie" lauern. Doch die Leute wollen Spaß, sie wollen schwimmen, sich abkühlen, immerhin ist man auf einer Kreuzfahrt in heißen Gefilden - und den Passagieren wurden der "beste Urlaub ihres Lebens" versprochen.

No worries, beruhigt die Crew: Wozu gibt es Billabongs? Billabongs nennen die Aborigines Wasserstellen im Outback, und die seien garantiert krokodilfrei, weil zu weit weg von der Küste und vor allem: zu weit oben gelegen. Das Hinterland liegt auf einem Hochplateau, da kommen die Viecher nicht hoch. Also lautet die Mission: Finde das Wasserloch! Hier kommt Will ins Spiel. Er ist der Hubschrauberpilot an Bord der True North. Auf dem Oberdeck der Yacht, dort, wo man auf anderen Schiffen ein Sonnendeck mit Pool und Liegen finden würde, ist der Heli-Landeplatz. Wenn Will gerade nicht mit Passagieren über Wasserfällen kreist, sucht er mit seinem Eurocopter "nice spots", hübsche Orte, die einen Ausflug lohnen. Will kann, wie man in Bayern sagen würde, sogar auf einem Bierdeckel sicher landen, um einen Spot in Augenschein zunehmen.

Und siehe da, Will hat die Melaleuca Falls als Picknick-Platz identifiziert. Also auf zum Heli-Bade-Barbecue. Schon morgens, während die Passagiere mit den Booten auf Angeltour sind, beginnen Will und die Crew Campingstühle, Handtücher, Sonnensegel, Grill, Kaltgetränke sowie Berge von Fleisch, Fisch und Salaten auszufliegen. Bevor der Shuttle für die Gäste beginnt, sind Küchenchefin Becks und ihr Souschef Alex schon an Ort und Stelle und legen zartes Lamm, fangfrischen Fisch und herrliche Steaks auf den Grill.

Nordwestaustraliens Natur: Naturwunder aus Stein: Die King George.

Naturwunder aus Stein: Die King George.

(Foto: Brunn)

Bereits der Flug zum Picknick ist ein Erlebnis. Von oben entfaltet sich die Schönheit des Outbacks. Stacheliges Spinifexgras bedeckt die Savanne, dazwischen feuerresistente Bäume und Termitenhügel. Und immer wieder die für die Region typischen Boabs. Mit ihren bizarren Formen erinnert diese australische Art der sonst in Madagaskar heimischen Baobab-Bäume an Kalebassen. Entlang winziger Bäche und Wasserfällen entfaltet sich unvermittelt üppiges Grün: Monsunwald, man staunt, woher in der trockenen Savanne das Süßwasser kommt. Das sei Grundwasser, erklärt Chico, der Naturalist in der Crew. Auch die Melaleuca Falls, die sich sanft in das entlegene Billabong ergießen, seien von Grundwasser gespeist.

Der Naturpool ist eingebettet in roten Sandstein. Palmen, Melaleucas (Teebäume) und Eukalyptusbäume mit makellos weißen, glänzenden Stämmen säumen das Ufer. In den Fels krallt sich pittoresk ein Rockfeigenbaum. Beim Sprung ins Wasser lassen die Vorsichtigen den Mutigeren den Vortritt. Man weiß ja nie . . . Doch in den kühlen Fluten schwimmen tatsächlich nur erhitzte Urlauber, kein Krokodil. Ken, ein Passagier aus Sydney, sagt später: "Wir waren schwimmen in einem Wasserloch, von dem nicht einmal viele Australier wissen, dass es überhaupt existiert."

Nun, so geht es vielen Aussies mit der gesamten Kimberley-Region. Es ist eine der letzten Wildnisse der Welt, viele der Pflanzen und Tiere sind noch nicht erforscht. Nur 38 000 Menschen leben auf einer Fläche von 424 517 Quadratkilometern. Diese lebensfeindliche und nahezu unbewohnbare Gegend lässt sich nur auf dem Wasser- und dem Luftweg erkunden. Wer hier verloren geht, bleibt meist verschwunden.

Diese Erfahrung machten im Jahr 1932 zwei deutsche Luftfahrtpioniere. Auf ihrem Flug von Timor nach Darwin gerieten Hans Bertram und Adolf Klausmann mit der Atlantis, einem mit Schwimmern aufgerüsteten Flugzeug vom Typ Junkers W-3, in einen schweren Sturm und mussten notlanden. Doch statt auf Melville Island waren sie, von starken Ostwinden 450 Kilometer abgetrieben, an der Küste Nordwestaustraliens nahe der Stadt Wyndham gelandet. Ohne Wasser und Proviant, statt dessen warteten Sümpfe, Moskitos, Sandfliegen, Schlangen, Salzwasserkrokodile auf sie. Nach 16 Tagen brachten zwei Aborigines ein Taschentuch und ein Zigarettenetui mit den Initialen HB zu Pater Cubero in die Kalumburu Missionsstation. Ein Lebenszeichen von den totgeglaubten Männern. Insgesamt 53 Tage mussten sie in der Wildnis ausharren, bis ein Rettungstrupp sie zurück in die Zivilisation brachte. Ihr unglaublicher Überlebenskampf machte weltweit Schlagzeilen.

Der enorme Tidenhub garantiert großartige Naturschauspiele

Verglichen damit herrschen an Bord der True North nachgerade paradiesische Zustände: Sternewürdige Küche, erlesene Weine, durchdachter, persönlicher Service und eine private, fast familiäre Atmosphäre, wie sie nur auf kleinen Yachten möglich ist. Und weil man im Paradies keine Schuhe und kein Misstrauen kennt, gilt an Bord die Barfuss- und die Offene-Türen-Philosophie. Also Schuhe runter und Champagner her! Die Crew trägt: keine Schuhe, dazu T-Shirt, Minirock respektive Shorts. Der Dresscode an Bord: Extremely Casual.

Etwa 800 Kilometer legt die True North zwischen Wyndham und Broome zurück. Kapitän Chad Avenell navigiert durch einen Irrgarten von Inseln, Riffen und Untiefen. Seit acht Jahren ist er Kapitän auf der True North. Chad kennt die Gewässer wie seine Westentasche. Das ist auch gut so, denn Gezeitenunterschiede, die zu den größten der Welt zählen, machen das Fahrtgebiet tückisch. "Ich habe den leichtesten Job der Welt", sagt Chad, "solange alles gut geht." Deshalb, sagt er, checke er alles doppelt und dreifach: Route, Wetterbericht, Tidekalender.

Der gewaltige Tidenhub beschert der Region auch eindrucksvolle Naturschauspiele, etwa am Montgomery Reef. Dieses gigantische, 80 Kilometer lange Sandsteinriff ist nur bei Ebbe zu sehen. Bei Ebbe scheint sich es aus dem Wasser zu erheben wie der Rücken eines Riesen und ragt bis zu vier Meter aus dem Meer. Das Wasser strömt in wild schäumenden Bächen an den Seiten herunter. In den Lagunen am Riff kann man Dugongs, Rochen, Meeresschildkröten und Riffhaie beobachten. Für Fischreiher ist diese Insel auf Zeit ein üppiges kaltes Büffet und halten sich an kleinen Krebsen und Muscheln schadlos.

Karten

Ruhiger geht es an den King George Doppelwasserfällen zu - zumindest sah es dort in Baz Luhrmanns Epos "Australia" anders aus. Während im Film das Wasser imposant in die Koolama Bay hinab donnert, herrscht nun Stille. Es ist Anfang September, das Ende der Trockenzeit, den Fällen ist schlicht das Wasser ausgegangen. Zu besichtigen sind lediglich die zerklüfteten, steil aufragenden Felswände. No worries, die Crew hat einen Plan B. Man kann nun aus dem Beiboot steigen, an einer weniger steilen Stelle den Felshang hochklettern und nach einer schweißtreibenden Wanderung von dort, wo sonst das Wasser zu Tal rauscht, hinunterschauen.

Von oben lässt sich in aller Ruhe besichtigen, wie sich das Wasser des King George River über Jahrmillionen in die Tiefe gefräst und die gleichnamige Schlucht geformt hat. Eines der ältesten Gesteine der Erdgeschichte l iegt hier frei, das noch zum Urkontinent Gondwana gehörte: Glutroter Sandstein, mal ordentlich aufgeschichtet wie Blätterteig, mal aufgefaltet und verkeilt. Und wer dem Lauf des King George River flussabwärts folgt, sieht, wie er auf seinem Weg in die Timorsee in Jahrmillionen das Sandsteinplateau mehr und mehr eingeebnet, Schluchten eingerissen und Platz geschaffen hat für ein sumpfiges Delta mit Mangrovenwäldern.

In der Talbot Bay, bei den sogenannten horizontalen Wasserfällen lässt sich am Ende der Kreuzfahrt noch einmal besichtigen, welche Kräfte frei werden, wenn sich gewaltige Wassermassen durch zwei Engstellen drängen. Bis zu zwölf Meter Tidenhub lassen das Wasser in einer permanenten Ausgleichsbewegung mal in die Buchten hinein, dann wieder hinaus fließen. Der Schwerkraft folgend drückt das Wasser wie in einem horizontalen Wasserfall durch dieses Nadelöhr und verwirbelt sich dabei zu riesigen Strudeln.

Kimberley-Kreuzfahrt

Die True North - Baujahr 2005, australische Flagge - ist eine Motoryacht mit 18 Kabinen für maximal 36 Passagiere, bei 20 Crew-Mitgliedern. Bei einem Tiefgang von nur 2,20 Metern kann sie auch sehr flache Gewässer befahren. Besonderheit ist der Helikopter, der die Reichweite der Ausflüge in der unzugänglichen Kimberley-Region erweitert. Die Hubschrauberflüge sind nicht im Reisepreis inbegriffen. Für 2016 sind zwischen Ende März und Anfang September sieben- bzw. zehntägige Kimberley-Kreuzfahrten im Wechsel ab Wyndham und Broome geplant. Anreise: Von Deutschland nach Perth, von Perth weiter nach Broome beziehungsweise Kununurra. Transfer zum Hafen von Wyndham bzw. Broome durch North Star Cruises. Preis: Die siebentägige Kreuzfahrt "Kimberley Snapshot" kostet in der Ocean Class ab 11 995 AUD (7611 Euro, Stand 1.10.) zuzüglich Helikopterflüge, Nebenkosten an Bord, An- und Abreise von/nach Kunurra/Broome (www.northstarcruises.com.au). Übernachtung: In Broome: Cable Beach Club Resort & Spa www.cablebeachclub.com, ab 200 AUD pro Nacht. In Kununurra: Freshwater Apartments, www.freshwaterapartments.net.au, ab 255 AUD pro Nacht.

Um die imposanten Wasserspiele und Gezeitenphänomene beobachten zu können, muss man oft schon morgens um halb sieben startklar im Dingi sitzen. Zu früh für die besten Ferien aller Zeiten, finden einige Passagiere. Chad meint dazu nur lakonisch: "Ich bin zwar der Kapitän, aber ich kann den Mond nicht ändern, nicht mal für euch, Leute."

Richtig, und überhaupt, denkt mal an Bertram und Klausmann: Der eine verbrachte schwer traumatisiert den Rest seiner Tage in einer Nervenheilanstalt. Der andere, Bertram, kehrte als strahlender Held nach Deutschland zurück und schrieb ein Buch über seine Kimberley-Erfahrung mit dem Titel: "Flug in die Hölle."

Also davon war man doch nun wirklich Welten entfernt.

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