Niederlande:Kunst kommt von Nebel

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Leeuwarden in der Provinz Friesland soll sich als Europäische Kulturhauptstadt 2018 wandeln. Schon vorher haben sich Humor und Eigensinn seiner Bewohner gezeigt.

Von Antje Weber

Kaum steigt man in Leeuwarden aus dem Zug, wallt schon der Nebel. Immer wieder steigt er hoch, verdeckt Mund und Nasen der beiden Köpfe, die sieben Meter hoch auf dem Bahnhofsvorplatz emporragen. "Love" heißt dieser Riesenbrunnen des spanischen Bildhauers Jaume Plensa, für den er sich vom Nebel auf friesischen Feldern inspirieren ließ. Zwei kindlich unschuldige Gesichter sollen, einander mit geschlossenen Augen im Wasserdampf zugewandt, die Liebe darstellen. Kinder sind es denn auch, die sich besonders davon angezogen fühlen, in den Nebel hineinrennen, kreischend wieder daraus auftauchen. Es sieht nach Liebe aus.

Und diese Liebe wird auch noch von Dauer sein. Denn der Brunnen, der kürzlich im Rahmen des Projekts "11Fountains" in der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt eingeweiht wurde, gehört zu den wenigen Installationen in Leeuwarden und Friesland, die über das Jahr 2018 hinaus zu sehen sein werden. "Ein neues kulturelles Erbe für Friesland" wolle man damit schaffen, sagt die künstlerische Leiterin Claudia Woolgar sogar. Neben den elf Brunnen werden unter dem Titel "Sense of Places" noch Kunstwerke im Wattenmeer dazukommen und die erhofften Scharen von internationalen Touristen entzücken - falls die nicht, nur zum Beispiel, das Giganten-Spektakel von "Royal de Luxe" bevorzugen oder eine Inszenierung von Storms "Schimmelreiter" mit 100 Friesenpferden.

Wichtiger ist jedoch: Selbst wenn die ganz hohen Touristenzahlen ausbleiben sollten, kann man dieses Kulturjahr in Leeuwarden jetzt schon als Erfolg verbuchen. Denn es hat nicht nur ein paar Nebelschwaden, sondern eine ganze Stadt, ja Region in Bewegung gesetzt. "Iepen Mienskip" ist das Motto, mit dem sich die westfriesische Provinzstadt mit ihren gut 100 000 Einwohnern gegen andere niederländische Städte als Kulturhauptstadt durchgesetzt hat. "Offene Gemeinschaft" bedeutet das, und das ist hier nicht nur so dahingesagt. "Der Gemeinschaftssinn in Friesland ist ein anderer", sagt Woolgar, und nicht nur sie erklärt das mit dem allgegenwärtigen Wasser; ein großer Teil der Provinz liegt unter dem Meeresspiegel, die Orte sind von Grachten durchzogen.

Diesen Kampf gegen das Wasser gewinnt niemand allein, die in Jahrhunderten erprobte Nachbarschaft erzeugt wohl das starke Gemeinschaftsgefühl. Und so haben sich in und um Leeuwarden Tausende Menschen von einer Kulturhauptstadts-Idee anstecken lassen, die auf Tatkraft, nachhaltige Veränderung und Offenheit setzt. Sie haben 250 große und kleine Events vorbereitet; es gibt eine Kreativ-Farm, grenzüberschreitende Kartoffel-Ausstellungen oder lustige Sprachspielereien rund ums - nicht nur - Friesische.

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(Foto: 11Fountains opening Leeuwarden Pressefotos)

Wasser ist allgegenwärtig in und um Leeuwarden. In gezähmter Form findet es sich in den Brunnen des Projekts "11Fountains" wieder, etwa in der Arbeit "Love" von Jaume Plensa vor dem Bahnhof Leeuwardens.

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(Foto: 11Fountains opening Leeuwarden Pressefotos)

In Stephan Balkenhols "Fortuna" in Sneek drängen sich die Besucher um die Figur im Brunnen.

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(Foto: Hoge Noorden Jacobvan Essen)

Der Fledermausbrunnen in Bolsward, bei dessen Bau man auf zahlreiche Skelette gestoßen ist.

Es gibt allerdings auch Projekte, bei denen der Gemeinschaftssinn der Friesen auf eine harte Probe gestellt wurde. Das Brunnenprojekt "11 Fountains" gehört zweifellos dazu. Die Kuratorin Anna Tilroe sagt rückblickend: "Ich war naiv." Sie hatte die Idee, renommierte Künstler aus aller Welt für die elf Städte der sogenannten Elfstädtetour Brunnen entwerfen zu lassen. Die "Elfstedentocht" ist in den Niederlanden eine enorm wichtige Angelegenheit: Wenn die Kanäle zwischen den Städten im Winter zugefroren sind, wird auf einem Rundkurs von 200 Kilometern ein berühmter Schlittschuhlauf ausgetragen. Da das aufgrund des Klimawandels 1997 zum letzten Mal möglich war, wollte Tilroe die mittelalterlich geprägten Städtchen mit ihrer Brunnen-Kunstaktion neu verbinden. Doch auch wenn die Amsterdamer Kuratorin schon wusste, dass "Kunst im öffentlichen Raum immer schwierig ist", musste sie feststellen: "Hier gibt es eine besondere Idee von Identität, von Freiheit." Sie hätte auch sagen können: Die Friesen sind ziemlich dickköpfig.

Fünf Jahre und viele Workshops, Beratungen, Präsentationen später steht der deutsche Künstler Stephan Balkenhol an einer Gracht im Örtchen Sneek und zieht an einer Zigarette. Hinter ihm dreht sich die Bronzefigur "Fortuna" und lässt erstmals aus einem Füllhorn Wasser in den Kanal rieseln. "Es gab hier Stimmen, die Angst hatten, dass das in Konkurrenz mit dem Stadttor direkt dahinter steht", sagt Balkenhol. Doch auch wenn es am Anfang sogar eine Online-Petition gegen die Skulptur gab, scheinen die meisten nun damit versöhnt zu sein, dass hier schon wieder ein Deutscher gestaltend eingreift - denn im Handelsort Sneek nahm einst auch der Erfolg des deutschen Brüderpaars Clemens und August Brenninkmeijer seinen Anfang: Sie gründeten hier die Kaufhauskette C & A.

Wer die elf Orte und ihre Brunnen abfährt, muss all das nicht wissen, um die meist figürlichen Brunnen zu verstehen. Doch interessant ist es schon, wenn etwa der belgische Künstler Johan Creten in Bolsward vor seiner "Fledermaus" erwähnt, bei den Grabungen sei man auf zahlreiche Skelette gestoßen, die Archäologen nun untersuchen. Die US-Künstlerin Jennifer Allora erzählt, dass sie und ihr Partner Guillermo Calzadilla für den Hafen von Harlingen ursprünglich eine Hör-Installation im Sinn hatten - die Bewohner entschieden sich jedoch für einen wasserspeienden Wal. Auch in Franeker gab es Diskussionsbedarf, denn dem nebelsprühenden Brunnen vor der prächtigen Martinikirche mussten Parkplätze weichen. Dennoch hat sich der französische Künstler Jean-Michel Othoniel geradezu in diesen hübschen Ort verliebt. Nicht nur in ihn: "Der Himmel in Friesland ist so wunderbar", sagt er - und im einstigen Uni-Städtchen Franeker haben Astronomen von Eise Eisinga bis zu Jan Hendrik Oort ihn schon immer ausgiebig studiert. Nicht nur Othoniels filigraner Brunnen, sondern auch ein entzückendes altes Planetarium zeugen davon.

Ein paar berühmte Namen hat auch die heutige Uni-Stadt Leeuwarden vorzuweisen. Vertraut man sich einer fröhlichen jungen Stadtführerin wie Christina Völker an, bleibt sie als erstes vor dem Denkmal für Mata Hari stehen. Die spätere Tänzerin und Spionin wurde hier geboren, verließ die Stadt allerdings schon als Jugendliche. "Man schämte sich für sie", sagt Völker; dass man inzwischen stolz auf sie ist, bewies jüngst eine Ausstellung im Friesmuseum. Bis Oktober würdigt man dort nun M. C. Escher, einen berühmten Sohn der Stadt, der ihr jedoch ebenfalls schon als Kind den Rücken kehrte. Die Entwicklung des reiselustigen Grafikers hin zu seinen bekannten optischen Illusionen ist in der stark besuchten Ausstellung gut nachvollziehbar. Die vielen Kinder, die in der Stadt auf Escher-inspirierten Zeichnungen des Straßenkünstlers Leon Keer für Fotos posieren, mögen solche Täuschungstricks aber auch ohne Ausstellungsbesuch.

Die Blumenfontäne von Ijlst. (Foto: 11Fountains opening Leeuwarden Pressefotos)

Wie man spielerisch und entspannt mit dem Leben umgeht, kann man in Leeuwarden überhaupt gut studieren. In dieser gemütlichen Provinzhauptstadt lässt man sich nicht gerne aus der Ruhe bringen - auch nicht von Strukturproblemen. Denn obwohl Leeuwarden in Bereichen wie Wassertechnologie und Recycling auf einige Spitzenkompetenz verweisen kann, gibt es auch viele Arbeitslose: "Wenn man hier einen Job sucht, landet man im Callcenter", sagt Völker, "oder in der Milchverarbeitung." Immerhin: "Das macht die Leute kreativ." Viele Junge, die auf ihren Rädern ohnehin das Stadtbild prägen, haben sich mit kleinen Unternehmen oder Läden selbständig gemacht. Im trutzigen ehemaligen Gefängniskomplex Blokhuispoort etwa haben Freunde ein Hostel eröffnet, in dem man nachts hinter Gittern verschwindet.

Für so etwas braucht man schon einen etwas speziellen Humor, doch von dem haben die Friesen reichlich. Dass sie entspannt selbst mit Missgeschicken umgehen, zeigt schon das bedeutendste Wahrzeichen Leeuwardens: der Turm De Oldehove. Der sollte zu einer gotischen Riesenkirche wachsen; da er auf den instabilen Rand einer Warft gestellt wurde, sackte er jedoch schon bei zehn Metern ab. Man baute dennoch weiter, und so ist der 40 Meter hohe Turm heute nicht nur unfertig, sondern auch noch schief. Doch die Leeuwardener lieben ihn: "Wir als Menschen sind auch nicht perfekt", erklärt Völker diese Zuneigung, "wir ähneln diesem Turm mehr als perfekten Gebäuden." Diese mit Humor gepaarte Nachsichtigkeit besitzen die Friesen noch heute; so steht auf einer trostlosen Brache im Zentrum derzeit in Großbuchstaben: "It wurd moaier as it is" - es wird noch schöner.

Und dann wäre da noch die Sache mit den Brunnen. "Es gibt einen zwölften", sagt Völker. Denn die friesischen Künstler waren nicht begeistert, dass die Aufträge nur an internationale Künstler vergeben wurden. Sie bauten einen eigenen Brunnen, die "Pauperfontein", den Pimmelbrunnen. Innen ist eine Toilette; wer sie benutzt, aktiviert die Fontänen. "Sieht echt schick aus", findet die junge Stadtführerin.

Der Brunnen reise jetzt durch Friesland, ein Theaterstück dazu gibt es auch. Die friesischen Dickköpfe sollte man wirklich nie unterschätzen.

© SZ vom 30.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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