Neujahrsfest in Taiwan:Wünsche wie Glühwürmchen

Taiwan

In den Straßen von Pingxi lassen Touristen die großen Laternen mit ihren recht weltlichen Wünschen in den Nachthimmel aufsteigen.

(Foto: Anja Martin)

Gesundheit, eine gute Ehe, Geld, vielleicht sogar Weltfrieden: In Taiwan schicken die Menschen zum chinesischen Jahreswechsel bunte Wunschlaternen in den Himmel - und jedes Jahr sind Hunderttausende Besucher dabei.

Von Anja Martin

Wenn es dunkel wird in Pingxi, steigen die Erwartungen. Die einen träumen von viel Geld, andere von der sensationellen Karriere, einem Vorzeigezeugnis, der großen Liebe, Gesundheit oder vom Weltfrieden. Hochfliegende Wünsche, die Besucher auf große Laternen pinseln. Fertig bemalt, steigen sie in die Nacht empor. Immer höher, bis nur noch leuchtende Punkte zu sehen sind, wie Glühwürmchen auf dem Weg zu einer Audienz mit irgendwem, der vielleicht Bitten entgegennimmt: Gott, Buddha, das Universum. Zurück bleiben die Fotos auf den Smartphones und das gute Gefühl, es könne etwas nutzen. Jedenfalls nicht schaden. Zumindest hat man Spaß gehabt.

Die Shops stehen eng im Viertel Shifen Old Street im Distrikt Pingxi, nahe Taiwans Hauptstadt Taipeh. Sie drängen sich rechts und links der Bahngleise, auf denen einst Kohle transportiert wurde. Früher lebten hier in der Gegend Bergarbeiter, heute geht der Blick der Bewohner in die andere Richtung, nach oben, den Himmelslaternen hinterher. Eine neue Art von Glück auf! Denn dafür kommen jedes Jahr Hunderttausende Besucher - vom Zentrum Taipehs aus brauchen die Touristenbusse nur vierzig Minuten. Buntes Laternenpapier klemmt an Ständern vor den kleinen Läden - bereit, mit Wünschen verziert zu werden. Weil kaum einer die Kalligrafie beherrscht, werden die Schriftzeichen meist ungelenk von laminierten Infoblättern abgezeichnet, welche die Shopbesitzer aushändigen. Bereits durch die Wahl der Papierfarbe gibt man dem Begehr ein Thema: Rot steht für Gesundheit und Frieden, Gelb für Geld und Wohlstand, Blau meistert die Karriere, Lila besteht Tests, Weiß denkt an die Zukunft, Orange findet die Liebe oder macht die Heirat klar. Magenta ist was für angehende Sternchen, denn es verspricht Popularität, Pink generell Freude.

Das Laternenfest findet jedes Jahr am 15. Tag nach dem Chinesischen Neujahr statt, in der Nacht des ersten Vollmonds. Es ist das Ende der Feierperiode, in der sich Familien zusammenfinden, ganz gleich, wohin sie zerstreut wurden. Überall im Land hängen dann Laternen, die sich mancherorts wie Lichterdecken über die Straßen legen, Tempel und Parks erleuchten. Oft in Rot, denn das bringt Glück. Das offizielle Laternenfestival findet immer in einer anderen taiwanischen Provinz statt - mit mehr als 3000 bis zu 23 Meter hohen und Hunderttausende Euro teuren Lichtgebilden, denn Laternen kann man die meisten nicht nennen. Die "Himmelslaternen" aber, die man in die Lüfte entlässt, dürfen nur in Pingxi steigen. Weil der Brauch so gut ankommt, inzwischen an jedem Tag im Jahr. Gut für die Shopbesitzer, weniger gut für die Umwelt. Denn die Laternen verschwinden natürlich nicht im Himmel, sondern fallen irgendwo wieder zu Boden. Zwar wird ein Teil meist von Kindern wieder aus den Wäldern geklaubt, weil sie dafür Geld bekommen, doch viel Papier und vor allem Draht werden nicht mehr gefunden oder bleiben unerreichbar.

Für die Laternenmalerin ist der Lichterzauber vor allem eine gute Einnahmequelle

Im Hinterzimmer eines Laternenshops in Shifen Old Street sitzt eine alte Frau zwischen Kartons und Stoffrollen auf einem Schemel. Vor sich einen Kindertisch, auf dem sie faltet, klebt und Perlen auffädelt. Sie tut das mit so viel Routine, dass ihre Augen meist auf dem Fernseher ruhen, wo eine Show läuft. Lin Huang Mu Dan macht Minilaternen, gerade mal so groß wie Salzstreuer, die Besucher anders als die Himmelslaternen mit nach Hause nehmen können. Die 88-Jährige war vor vielen Jahren die erste, die in ihrem Shop zusätzlich zu den großen auch die kleinen Laternen verkaufte. Fragt man, was sie an ihrer Tätigkeit fasziniert, sagt sie einfach: "Dass man damit Geld verdienen kann." Sie hatte in den Kohleminen geputzt, bis ihr Mann starb. Da war sie Mitte fünfzig und hatte sieben Kinder. Und nur einen einzigen Wunsch: "Dass es der Familie gutgeht." Den hat sie einst auf eine Himmelslaterne geschrieben und in die Wolken geschickt. Inzwischen überlässt sie das komplett den Touristen. Gehen die Wünsche in Erfüllung? Bei ihr hat es ja wohl geklappt. Ansonsten: Feedback gibt es wenig. Einmal habe ein Mann hereingeschaut, der sagte: "Ich habe meinen Jungen bekommen, er ist schon in der Grundschule. Danke!"

Taiwan

Die bunten Minilaternen kann man sich als Souvenir kaufen; wofür oder wogegen sie helfen, ist aber schwer herauszufinden.

(Foto: Anja Martin)

Vorn im Shop sind die Minilaternen nach Zweck sortiert: Sie versprechen allzeit gute Fahrt, Gesundheit, eine blühende Zukunft, eine gute Ehe, viel Geld. Doch welche Laterne konzentriert sich worauf? Nur Schriftzeichen sind zu sehen, nirgends ein Buchstabe, keine Erklärung für Nicht-Asiaten, denn von denen kommen nicht viele nach Pingxi. Schüttelt man die Laternen, leuchten sie nacheinander in allen LED-Farben wie eine verrückte Jukebox. Gegen Kitsch hat man in Taiwan wenig einzuwenden.

Gerade auf den Bahngleisen soll der beste Platz für die Bitten ans Universum sein

Signalleuchten, ein scharfer Warnton: Der Zug will durch. Alle, die sich mit ihren fertigen Himmelslaternen auf den Gleisen in Position gebracht haben, müssen weichen. Haarscharf rattert die Bahn an den Touristen vorbei, die sofort danach wieder die Schienen bevölkern. Denn hier ist die beste Startbahn für die Bitten ans Universum. In einen Drahtring, der die flachen Laternen in eine runde Form bringt, kommt ein ölgetränkter Lappen. Einmal angezündet, erhitzt er die Luft in der Laterne und plustert sie auf wie die überdimensionierte Mütze eines Sternekochs. Gehalten von Freunden, Verliebten, Familien, werden erst einmal sehr viele Fotos geschossen, bis man die Laterne fliegen lässt. Hoffend, dass sie nicht an den Häusern hängen bleibt oder überhaupt gleich Feuer fängt, was häufig passiert. In Pingxi ist das Steigenlassen legal, weil es recht abgelegen liegt und weil es oft regnet, die Waldbrandgefahr also gering ist.

Nach dem Chinesischen Neujahr wird besonders viel gewünscht, aber eigentlich bitten die Taiwaner ihre Götter rund ums Jahr um Mithilfe. In Tempeln fragen Gläubige die jeweils zuständigen Gottheiten um Rat und erbitten Gelingen. Da gibt es Götter für Erfolg, Partnerwahl, Gnade, Nachwuchs, Krieg, Literatur und den Schutz der Städte. Die geben mittels auf den Boden geworfener roter Yin-Yang-Hölzer Antwort: Ja, nein, vielleicht. Wer's genauer wissen will, zieht Stäbchen aus einer Box. Anhand der Nummer lässt sich eine Prognose aus einer Liste suchen. Eine andere Variante: Man schreibt sein Begehr auf Metallplättchen, die an einer goldenen Wunschglocke baumeln und im Tempel aufgehängt werden. Oder verbrennt Opfergeld. Es gibt in Taiwan viele Arten, dem Glück auf die Sprünge zu helfen.

Ob man ins Supermarktregal greift, Fassaden betrachtet oder sich die Logos von Unternehmen anschaut - alles lebt und lächelt. Wer etwa in Taipeh die Seilbahn hinauf zum Maokong-Gebirgszug nimmt, um dort Teeplantagen zu besichtigen und frische Luft zu atmen, wird auf Gondeln und Stationshäuschen von Maskottchen begrüßt. Die zweitgrößte taiwanische Fluggesellschaft Eva Air lackiert ihre Maschinen gleich komplett mit Hello Kitty und ihren Freunden, etwa dem Pinguin Badtz-Maru, dem faulen Spiegelei Gudetama und dem Golden Retriever Pompompurin. Die Niedlichkeitsmanie springt einen fast an. Und das auch digital: Die Emoji-Palette ist riesig, und die Taiwaner kaufen sich gern limitierte Editionen - manche erscheinen speziell zu Neujahr. Sogar die taoistischen und buddhistischen Götter werden immer häufiger süß und liebenswert dargestellt, in Manga-Optik. Und zwar auch die, die eigentlich gar nicht so nett sind.

Das Spielerische macht auch vor dem Essen nicht halt: Auf dem Nachtmarkt kauern Besucher auf dem Boden und angeln in bunten Plastikwannen. Sie versuchen, Shrimps zu erhaschen, statt sie einfach zu kaufen. Macht doch viel mehr Spaß. Manches Mal geht es auch um die Wurst: Wer beim 22 Meter hohen Big Buddha in Baguashan über der Stadt Changhua an einem Imbissstand am Eingang eine Bratwurst holen will, wundert sich, denn er muss erst an einem Flipper spielen. Je nachdem, wo die Kugel landet, bekommt er für seine 20 Taiwandollar (56 Cent) eine Wurst, drei Würste - oder gar nichts. Pech gehabt.

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Glück im Spiel, Wurst im Bauch.

(Foto: Anja Martin)

Sonntagnachmittag in Nextland, einer Art gläserner Wurstfabrik, gelegen in der Provinz Yunlin an der Westküste. "Zartere Gemüter bitte draußen bleiben, hier ist Blut zu sehen" steht an einer der Hallen. Niemand zögert an dem Schild. Das mag am Wochentag liegen, denn wäre nicht Sonntag, würden jetzt just unter den Füßen der Besucher Schweinehälften zu Steaks zerlegt. Tourist factories nennt Taiwan solche Unternehmen, die zu Ausflugszielen werden. Schon etwa 130 aus ganz unterschiedlichen Branchen gibt es im Land, gefördert vom Wirtschaftsministerium, das damit vor vierzehn Jahren begonnen hat und sich seit vier Jahren auch auf eine internationale Klientel konzentriert. Das sichert manchen kleinen Betrieben das Überleben, andere, wie Nextland, wurden speziell dafür gegründet.

10 000 Tiere werden hier im Jahr zerlegt. 10 000 Besucher schauen sich das monatlich an. Schreckt das die Kinder nicht? "Die kennen das vom Markt, kein Problem", sagt die smarte Taiwanerin, die Gruppen durch Nextland leitet. Alles andere ist dafür besonders süß dargestellt. Man hat sogar extra Helden erfunden. Da ist Ryoko, ein feenartiges Manga-Mädchen mit rotem Haar auf einem übergroßen Kopf und im gelben Kleid - sie kontrolliert die Qualität des Fleisches und steht für Innovation. Wenn Schaubilder zeigen sollen, wie gut es den Tieren in der Aufzucht geht, werden Schweine in Comicmanier gezeigt, liegen in Einzelbetten, treffen sich im Gemeinschaftsraum. Eine Art Schweine-WG. Auch die verschiedenen Rassen sind aufgezeichnet: Zwei davon würden in Taiwan aber nicht gezüchtet, Berkshire und Hampshire, sagt die Führerin: "Farbe und Muster erinnern an Beerdigungen." Beider Fell ist schwarz und weiß. Das ist doch Grund genug. Aberglaube oder die Versessenheit auf Glück reichen in Taiwan bis in den Stall.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Reiseinformationen

Anreise: Z. B. mit der taiwanischen Fluglinie China Airlines von Frankfurt nach Taipeh, hin und zurück ab 730 Euro, www.china-airlines.com; mit der chinesischen Air China ab 450 Euro, www.airchina.de. Für Reisen im Land empfehlen sich Züge. Sie verkehren entlang der Küsten, www.railway.gov.tw

Übernachten: Palais de Chine, Taipeh, DZ/Frühstück ab 170 Euro, www.palaisdechinehotel.com; Lealea Garden Hotel, Taipeh, Übernachtung/ Frühstück für zwei Personen ab 85 Euro, www.lealeahotel.com

Laternenfest 2018: Das nächste Laternenfest fällt auf den 2. März 2018. Das Festival dazu läuft vom 2. bis zum 11. März und findet dieses Mal im Chiayi County statt, an der Westküste Taiwans.

Weitere Auskünfte: Taiwan Tourismusbüro, www.taiwantourismus.de, Tel.: 069/61 07 43.

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