Neuer Wanderweg am Lech:Mit dem Strom

Dort, wo der Lech noch ungebändigt ist, beginnt ein neuer Wanderweg, 120 Kilometer lang bis nach Füssen. Optimierten Naturgenuss soll der Weg bieten für Urlauber, die wenig Zeit investieren und trotzdem viel erleben wollen - dann klappt es demnächst vielleicht auch mit dem Gütesiegel "Europäischer Qualitätswanderweg".

Franz Lerchenmüller

Ganz oben in Vorarlberg ist der große Wilde noch recht zahm: Der Lech kommt eher als Lechlein daher. Zwischen Fels und Alpenrosen plätschert Wasser aus der Erde, das etwas höher, am Grund des tiefgrünen Formarinsees, in den Kalkstein gesickert ist. Von hier, etwas westlich des Skiortes Lech, sucht "Licca", der Steinige, sich sein Bett zwischen Allgäuer und Lechtaler Alpen. Gemächlich zieht er weite Schleifen, bildet neue Inseln und wechselnde Arme, nimmt Seitenbäche, Kies und Fahrt auf und ergießt sich schließlich rund 260 Kilometer nordöstlich bei Marxheim in die Donau.

Eon will Lech für die Energiegewinnung nutzen, zum Entsetzen der Umweltschützer, 2004

Viele Urlauber, die hierherkommen, haben einen anstrengenden Beruf und suchen Erholung. Aber dafür haben sie auch nicht ewig Zeit. Das Design des Wanderweges soll ihnen helfen.

(Foto: SZ)

Ein schmaler Pfad, gesäumt von Johanniskraut, Latschen und Glockenblumen, schlängelt sich daneben hin, Murmeltiere pfeifen, und die gelben Leuchten des Enzians stehen Spalier. Es ist das erste Stück des Lechwegs, der hier im Quellgebiet beim Formarinsee beginnt und 120 Kilometer, meist am Lech entlang, bis nach Füssen führt. Er soll demnächst nach den Kriterien des Deutschen Wanderverbandes geprüft und, wenn alles gut geht, im Frühjahr 2012 als erster "Europäischer Qualitätswanderweg" eröffnet werden.

Der Weg verläuft auf Waldpfaden, Forstwegen und auch mal auf geteerten Fahrradstrecken erst durch Vorarlberg, dann durch Tirol bis Füssen, von 1800 hinunter auf 800 Meter Meereshöhe. Stundenweise marschiert der Wanderer direkt neben dem Fluss, das donnernde Rauschen im Ohr, dann wieder blickt man von weit oben auf sein berühmtes glasiges Türkis.

Um das begehrte Prädikat "Qualitätswanderweg" zu erhalten, hat ein Weg einige Anforderungen zu erfüllen, und niemand weiß das besser als der Berliner Stefan Prielipp, der schon seit Monaten im Lechtal unterwegs ist: "Mindestens 35 Prozent der Strecke müssen auf naturbelassenen Wegen verlaufen, höchstens 300 Meter am Stück dürfen über befahrene Straßen führen." Prielipp ist "Wegedesigner", so steht es auf seiner Visitenkarte.

250 Kilometer ist er inzwischen abgewandert, um aus alten Saumpfaden, Wildwechseln, Forstwegen und Teilstücken eines früher geplanten Panoramawegs die auszeichnungswürdige Trasse zusammenzustellen. Dazu gehören Rastplätze und ordentlich ausgeschilderte Gasthäuser, erklärt der Wegebauer. Seen, Burgen und Aussichtspunkte wirken sich positiv auf die Bewertung aus. "Und am Ende muss der ganze Verlauf lückenlos, fehlerfrei und eindeutig markiert sein." Sehr steile Anstiege oder riskante Passagen gibt es nicht: "Leichtes Wandern in den Alpen" lautet der Auftrag für den Lechweg.

Entlang der Strecke liegen die Dörfer wie Perlen an der Silberschnur, und jedes ist anders, jedes fügt einen neuen Aspekt zum Bild vom Leben im Tal hinzu und vom Fluss, der es immer prägte.

Fünf Stunden wandert man vom Formarinsee bis nach Lech am Arlberg, meist am rasch wachsenden Bach entlang. Im Ort, in dem im Winter gekrönte und geföhnte Häupter aus aller Welt über die Hänge wedeln, ziehen sich schindelverkleidete Hotelpaläste mit Holzbalkonen die Hänge hoch. Im Heimatmuseum mit den rissigen Deckenbrettern, deren Spalten mit Moos verstopft sind, redet Birgit Ortner, die junge Leiterin, sich richtiggehend in Rage.

Eindringlich erzählt sie, wie Alemannen, Bajuwaren und Walser im Lauf von Jahrhunderten zur Talbevölkerung zusammenwuchsen, oder wie sich einst Gruppen von "Schwabenkindern" am Lech entlang durch Schnee und Eis zu Fuß hinaus nach Schwaben quälten, um den Sommer über bei einem Großbauern zu schuften.

Spektakulärer Blickfang

Tourismus und Skifahren wurden erst nach dem Ersten Weltkrieg zur Einnahmequelle, als die Armeen ihre Vorräte an Winterausrüstung verschenkten. Aber dann drängten sich in den zwanziger und dreißiger Jahren zwischen die traditionellen Bauernhäuser Pensionen im Bauhausstil, Hotels mit gerundeten Speisesälen und Tanzcafés mit Kugellampen. Die Post setzte Raupenfahrzeuge ein, der erste Skilift Österreichs wurde 1938 in Zürs eröffnet, und der Bauernflecken mauserte sich zum Treffpunkt des internationalen Jetsets.

Die große Zeit von Holzgau dagegen liegt schon länger zurück - sie war etwa um 1800. Zwei Tage strammen oder drei Tage gelassenen Fußmarschs dauert es, bis das so erstaunlich bunt ausgeschmückte 450-Einwohner-Dorf erreicht ist. An vielen Fassaden erinnern Säulen, Blumen und Ornamente in spätbarocker Lüftlmalerei noch heute unübersehbar daran, wie abenteuerlustige Dörfler mit Garn und Leinen aus dem Tal hausieren gingen, gute Geschäfte machten und schließlich Handelsdynastien bildeten, die bis nach Hamburg tätig waren.

Für Außergewöhnliches sind die Holzgauer auch heute noch gut: Über der Höhenbachschlucht hinterm Dorf rasselt der Betonmischer. Eben wird der erste Pfeiler für die längste Fußgänger-Hängebrücke Österreichs gegossen. 200 Meter lang, einen Meter breit und in der schwindelnden Höhe von 110 Metern soll sie als Teil des Lechwegs den Bach überspannen, der weiter unten in den Lech mündet.

Ein spektakulärer, moderner Blickfang also, über der uralten, naturbelassenen Schlucht, in der der Simms-Wasserfall in Kaskaden und schäumenden Wirbeln in die Tiefe schießt. Uralt? Naturbelassen? Von wegen. Anfang des 19. Jahrhunderts ließ der englische Industrielle Frederick R. Simms, der eine Jagdhütte in der Gegend besaß, eine Felsbarriere sprengen und öffnete so dem Höhenbach erst sein heutiges, wildromantisches Bett: Der Natur nachgeholfen wurde auch damals schon.

Verglichen damit scheint die Anlage eines Wanderweges ein eher bescheidener Eingriff zu sein, zumal das Vorhaben nicht dem Prinzip der Nachhaltigkeit widersprechen darf. Aber muss es dann gleich ein Weg sozusagen mit "Führungszeugnis" sein? Stefan Prielipp, der an diesem Morgen zur letzten Kontrolle noch mal die 13 Kilometer von Holzgau nach Elbigenalp abwandert, hat keine Zweifel: "Hierher kommen Menschen mit anstrengendem Job und begrenztem Zeitkontingent. Sie wollen in wenigen Tagen das Optimum an Natur und Kultur erleben. Wir sorgen dafür, dass sie die Bilder, die sie von Tirol im Kopf haben, auch tatsächlich wiederfinden."

Ob die Geierwally da auch dazu gehört? Sie war in Elbigenalp, dem Hauptort des Lechtals, zu Hause. Anna Stainer ließ sich 1858 im Alter von 17 Jahren über steilen Fels abseilen und nahm einen Adlerhorst aus - was sich die jungen Männer nicht getraut hatten. Ein Roman und mehrere Filme machten die selbstbewusste Frau berühmt, die später ihren Lebensunterhalt als Malerin verdiente.

Im Restaurant "Zur Geierwally" hat ihr "weitläufiger Verwandter" Guido Degasperi Zeitungsausschnitte, Filmprogramme und Gemälde gesammelt. Auf der Karte steht Tiroler Kost wie Bergnocken, Kaspressknödelsuppe und G'stöpf, eine Art Kaiserschmarren, und das Hinterzimmer hängt voller Stiche von Johann Anton Falger, der der jungen Anna geraten hatte, Malerei zu studieren.

Vom Lech zu den Königsschlössern

Neuer Wanderweg am Lech: Über 120 Kilometer führt der Weg vom Formarinsee bis nach Füssen.

Über 120 Kilometer führt der Weg vom Formarinsee bis nach Füssen.

(Foto: SZ-Grafik)

Kein Wanderer vergibt sich etwas, wenn er zwischendurch in den Bus steigt. Von Elbigenalp bis zum Campingplatz Ehrenberg fährt man eine knappe Stunde. So bleibt mehr Zeit für den Abstecher zur Burgwelt Ehrenberg mit ihren gleich drei teilrestaurierten Ruinen. Dann geht es wieder zu Fuß weiter, am Lech entlang, der schon hinter Stanzach sein Bett verbreitert hat, eine gute Stunde bis zum Vogelschutzgebiet Pflacher Au. Auf dem Beobachtungsturm wartet Anette Kestler, die Leiterin des Naturparks Lechtal.

So ganz stimme die Rede von "einem der letzten naturbelassenen Wildflüsse Europas" nicht, gibt sie zu. Auch der Lech wurde vor 100, 150 Jahren teilweise befestigt - jedes ebene Fleckchen Erde, das man dem Fluss abtrotzen konnte, war in der bergigen Region eine Kostbarkeit. Erst die vermehrten Hochwasser, 1999 und 2005 vor allem, führten zum Umdenken. Seitdem werden Dämme in Seitentälern geöffnet, damit die Flüsse wieder Kies eintragen können, was die Kraft des Lechs bremst.

Ufermauern werden abgerissen, der Fluss darf sich ausbreiten, wenn er viel Wasser führt. So wie etwa am Fuß des Turms, wo ein Weichholz-Auwald steht. Der Fluss hat Äste, Wurzelstöcke und Stämme angetrieben und aufgehäuft: "Das sind ideale Brutstätten für Insekten, die wiederum Nahrung für eine Vielzahl von Singvögeln sind", erklärt die Biologin. 70 Prozent aller Vögel Tirols schwirren hier herum, 110 Arten - darunter so seltene wie der Flussuferläufer, der die weiten Kiesflächen zur Brut braucht.

Ganz am Ende des Weges nehmen die Planer sich eine gewisse Freiheit heraus: Die letzten 15 Kilometer führen sie teilweise weiter weg vom Lech, und das hat seinen Grund. Irgendwann tauchen auf den bewaldeten Höhen von fern die Königsschlösser auf, Hohenschwangau und Neuschwanstein - das wohldesignte Kunstprodukt Lechweg endet mit einer optischen Hommage an einen der größten Landschaftsdesigner Bayerns, Ludwig II.

Am Lechfall in Füssen donnert der Bach in die Tiefe. Ab jetzt hat das freie Leben ein Ende. Begradigt, eingefasst und gezähmt hat er Kraftwerksturbinen anzutreiben und gesittet mitteleuropäisch dahinzufließen. Den Wanderer erwartet Füssen, mit dem Hohen Schloss, der Altstadt und den japanischen Touristengruppen - auch für ihn ist Schluss mit dem Umhervagabundieren: Die Tage am schönen wilden Fluss sind vorbei.

Anreise: Mit dem PKW von Richtung Ulm über die A 7, Abfahrt Oy, Richtung Oberjoch. Aus München über die A 95 bis Autobahnende, Richtung Oberammergau bis Lechtal. Unterkunft: Hotel Haldenhof in Lech am Arlberg mit Sammlung von Angelika- Kaufmann-Stichen, DZ ab 102 Euro mit HP, www.haldenhof.at; Gasthof Stern im Zentrum von Steeg, DZ ab 74 Euro, www.gasthof-stern.at Weitere Auskünfte: Lechtal Tourismus, Telefon: 0043/5634/5315, www.lechtal.at

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