Nepal nach dem Erdbeben:Ein Land geht an Krücken

Nepal nach dem Erdbeben: Ein Jahr nach dem Beben

Ein Jahr nach dem Beben

(Foto: AP)

In Nepal erholt sich der Tourismus mühsam von dem Erdbeben vor einem Jahr. Das einzige Glück für das ehemals beliebte Reiseziel: Wer Achttausender sehen will, lässt sich davon nicht abhalten.

Von Dominik Prantl

Es war eine Studie voller zuversichtlich stimmender Zahlen, die das World Travel & Tourism Council (WTTC) vor einiger Zeit über den Tourismus in Nepal angefertigt hatte. Aus den etwas mehr als eine Million Jobs, die schon 2014 in irgendeiner Weise mit dem Fremdenverkehr zusammenhingen, sollten bis 2025 knapp 1,5 Millionen werden.

Der Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt werde im gleichen Zeitraum um 4,4 Prozent pro Jahr steigen, so die Prognose. Dann kam das Erdbeben, bei dem vor einem Jahr knapp 9000 Menschen starben und etwa 800 000 Häuser zerstört wurden. Und statt im Tourismus über Sprünge im Milliarden- und Millionenbereich zu reden, muss Nepal nun zusehen, überhaupt erst wieder auf die Beine zu kommen.

"Der Tourismus ist mit Sicherheit die beste Hilfe für das Land. Aber er erholt sich langsamer als gedacht", sagt Manfred Häupl, Geschäftsführer des Bergreiseveranstalters Hauser Exkursionen. Dabei war der Rückgang an Besuchern zunächst gar nicht so drastisch wie befürchtet - zumindest was die reinen Zahlen für 2015 anbelangt.

Nach Angaben der Einwanderungsbehörde Nepals kamen im vergangenen Jahr mit 554 747 Besuchern nur knapp ein Drittel weniger als 2014 (790 118). Allerdings beinhaltet dieser Wert auch jene Helfer, die das Land nach dem Beben beim Wiederaubau unterstützten, sowie die Frühjahrssaison, die in weiten Teilen noch reibungslos verlaufen war.

"Aufs ganze Jahr gerechnet hatten wir vielleicht 30 Prozent weniger Buchungen", sagt der beim Reiseveranstalter DAV Summit Club für Asien zuständige Produktmanager Markus Herrmann. Der Einbruch in der zweiten Jahreshälfte habe trotz Sonderangeboten jedoch bei 60 bis 70 Prozent gelegen.

Deutsche Anbieter können solche Einbußen relativ leicht auffangen, da klassische Nepalkunden zum Teil auf andere Hochgebirgsregionen wie Ecuador, Chile oder neuerdings Kolumbien ausweichen. "Dort sind wir überall deutlich im Plus", sagt Hauser-Geschäftsführer Häupl, dem auch klar ist: "Das Land leidet viel mehr als wir Veranstalter."

Erst betroffen, dann vergessen

In Nepal indes warten noch immer viele Betroffene auf ihren Anteil an den Hilfsgeldern - 3,5 Milliarden Euro hat die Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellt. Die Regierung jedoch gehe den Wiederaufbau nur zögerlich an, kritisieren Hilfsorganisationen. Verschlimmert wurde die Situation durch einen Importstopp an der Grenze zum wichtigen Handelspartner Indien.

Die Madhesi, eine Minderheit im Süden Nepals, hatten mit einer Blockade gegen eine Verfassungsänderung der Regierung protestiert - wahrscheinlich mit Indiens Unterstützung. "Der eigentliche Wiederaufbau kam erst nach der Aufhebung der Blockade im Februar richtig in Schwung", so Häupl.

Zudem sei das Land nach der üblichen Phase ehrlicher Betroffenheit schnell wieder aus den Medien verschwunden. So meldet das Auswärtige Amt zwar: "Der Zugang zu dem besonders schwer von den Beben betroffenen Trekking-Gebiet Langtang ist auch ein Jahr danach nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich." Allerdings bemängelt Häupl: "Es kam in der Öffentlichkeit nicht an, dass die meisten Wege fürs Trekking wieder freigegeben wurden."

Kaum Alternativen für Achttausender-Fans

Laut Herrmann vom DAV Summit Club sind es inzwischen aber vor allem die Wanderer und Bergsteiger, die den sehnlich erhofften Aufschwung des Tourismus' in Nepal einleiten. Der DAV Summit Club wird in diesem Jahr voraussichtlich an die 60 Reisegruppen nach Nepal bringen. "Beim hochalpinen Trekking wie zum Everest-Basislager oder auf der Annapurna-Runde ist die Nachfrage inzwischen wieder so gut, dass wir sogar Zusatztermine anbieten."

Der Grund ist einfach: Wer Achttausender sehen will, dem bleiben kaum Alternativen. Herrmann registriert diesbezüglich sogar einen Nachholbedarf - stellt aber auch fest, dass die Buchungen im Vergleich zum vergangenen Jahr umso weniger ansteigen, je mehr kulturelle Sehenswürdigkeiten das Programm enthält.

Denn im Gegensatz zum Everest, den das Erdbeben nur um drei Zentimeter nach Südwesten verschob, wurde das Kulturerbe des Landes in den Grundfesten erschüttert. Besonders betroffen war die Hauptstadt Kathmandu.

Manfred Häupl war erst vor kurzem dort, er sagt: "Der Gesamteindruck einer alten Stadt wird einem schon vermittelt. Aber viele Tempel müssen noch gestützt werden." Man kann das symbolisch betrachten: Das Land hat sich aufgerichtet. Aber es geht noch an Krücken.

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