Natur als Event:Adrenalin-Alternativen

Area 47 Ötztal Event Freizeit

"Schmerz ist nur ein Gefühl": Für die einen sind Outdoor-Funparks wie die "Area 47" im Ötztal ein lustiger Spielplatz, für die anderen ein nerviges Alpen-Oktoberfest.

(Foto: Area 47/oh)

Freifall-Rutsche, Riesenschaukel, Sky-Glider: Die Outdoorbranche erfindet dauernd neue Attraktionen. Wird die Landschaft dadurch geschont oder verschandelt? Zu Besuch im Alpen-Abenteuerpark "Area 47" im Ötztal.

Von Moritz Baumstieger

Kaum einer scheint hier am richtigen Ort zu sein. So auch der junge Mann mit dem aschblonden Haar und den leicht geröteten Augen. "Schmerz ist nur ein Gefühl", steht in Runenschrift zwischen seinen Schulterblättern. Und wer sich einmal über die Breite seines Rückens tätowieren lässt, der weiß wohl, wovon er spricht. Der Satz verschwindet unter einem Neopren-Anzug, der Mann unterschreibt ein Formblatt. Auf dem steht, dass er weder betrunken noch krank ist und außerdem bei Sinnen.

Dann schnappt er sich einen Plastik-Bob und stürzt sich mit ihm eine Skisprungschanze hinunter. Es folgt ein halber und eher unfreiwilliger Salto, dann klatscht er bäuchlings auf dem Wasser auf. Als er wieder aus dem Becken auftaucht, reckt er die Faust in die Luft, seine Begleiter am Ufer feiern ihn. "Schmerz ist nur ein Gefühl" - anscheinend ein geiles.

Der Ort, dessen Geist sich in dem tätowierten Satz zusammenfassen lässt, heißt "Area 47" und liegt am Eingang des Ötztals. Laut Eigenbeschreibung handelt es sich bei dem vor drei Jahren eröffneten, 65 000 Quadratmeter großen Areal um "Europas trendigste, verrückteste und sportlichste Spielwiese". Möglichkeiten, um Schmerzen zu erfahren, gibt es viele: Man kann sich als menschliche Kanonenkugel ins Wasser schießen lassen. Man kann sich auf einem riesigen Luftkissen liegend in ein Becken katapultieren lassen, wenn ein Zweiter aus drei Metern Höhe hinten auf das Kissen springt. Man kann sich bei der Freifall-Rutsche die Ellbogen blutig schlagen oder in der Kickbox-Arena die Nase.

Daneben werden noch einige Aktivitäten angeboten, die weniger schmerzintensiv sind, aber trotzdem erhöhten Adrenalin-Ausstoß versprechen: Rafting und Canyoning, ein Hochseilgarten, eine Kletterwand, der "Mega-Swing" - eine Art Riesenschaukel, bei der Mutige an einem Seil gesichert von einer Brücke springen.

Die Area 47 ist dank zahlreicher Berichte in Privatsendern das vielleicht bekannteste Areal dieser Art, aber bei Weitem nicht das einzige. Die Outdoorbranche in den Alpen ist im Umbruch, viele alte Gewissheiten gelten nicht mehr: dass auch in Zukunft genug Schnee für den Skitourismus fallen wird, dass Sommergäste ihrem Urlaubsziel treu sind, bis sie vom Bürgermeister die goldene Ehrennadel für 25 Besuche angesteckt bekommen.

Früher war der Berg, heute braucht es Action

Alternativen müssen her. Und so entstehen in den Alpen immer mehr Action-Arenen, Event-Klettersteige, Seilrutschen oder Sky-Glider, bei denen man, einem Drachenflieger ähnlich, an Drahtseilen hängend über Almwiesen saust. Fast jede dieser Anlagen ist laut ihren Betreibern ein Superlativ - entweder die längste, steilste oder aufregendste ihrer Art auf der Welt, in Europa oder wenigstens den Alpen.

Einer, der die Action- und Funsport-Branche seit Langen kennt, weil er sie quasi mitbegründet hat, formuliert das so: "Früher reichte es, wenn ein Tourismus-Amt seinen schönsten Berg fotografiert hat, das Bild in einen Katalog gedruckt und gesagt hat: Leute, kommt, unsere Landschaft ist so schön. Weil sich alle Berge aber irgendwo ähneln, war das eher austauschbar."

Jochen Schweizer begann Ende der Achtzigerjahre mit Bungee-Sprüngen, heute vermittelt seine Agentur 1200 verschiedene Aktivitäten, die nach Firmen-Angaben 800.000 Mal im Jahr gebucht werden. Zu seiner Unternehmensgruppe gehört eine weitere AG, die sich mit der Entwicklung von neuen Action-Attraktionen befasst. In Leogang etwa betreibt die Firma einen Flying Fox, eine Seilrutsche, bei der man auf 1,6 Kilometern bis zu 130 Stundenkilometer schnell wird. Anfragen, "ob wir bei ihnen nicht auch so etwas Tolles bauen könnten", bekomme die Firma viele. Am Osterfelderkopf bei Garmisch scheiterte die Errichtung einer Seilrutsche - laut Schweizer, weil das Gelände topografisch ungeeignet war. Die Proteste gegen das Projekt erwähnt der Adrenalin-Dealer nicht.

Wenn Schweizer von seinen Kunden spricht, nennt er die im Touristiker-Sprech gerne "Quellmarkt". Er erklärt, dass der Quellmarkt unterschiedliche Wünsche hegt, "Tourismus ist ein Geschäft, ein Wettbewerb um Zielgruppen" - und von denen gibt es eben mehr als nur die der Ruhe suchenden Wanderer von früher. "Deshalb sollten Tourismusregionen heute Marken sein, die klar für eine gewisse Art von Urlaub stehen."

Die "gewisse Art von Urlaub", in der viele Alpenorte die Zukunft sehen, ist von Action, Nervenkitzel und Adrenalin bestimmt. Aus der Sicht der Veranstalter ist die Logik bestechend: Wo früher die Bergbahnen im Sommer ein paar wenige Höhenwanderer beförderten, die sich mit Almwiesen und dem Alpenpanorama begnügten, steht heute ein jüngeres Publikum Schlange, um zu Mountainbike-Parks, Seilrutschen oder spektakulären Aussichtsplattformen gebracht zu werden. Bergerlebnis und Action-Spaß werden potenziert - und kanalisiert, in Richtung eines Kassenhäuschens. Endlich kann man so für das Outdoor-Erlebnis Eintritt verlangen, das sich die Alpin-Touristen von gestern einfach gratis verschafften.

Mit neongrünem Tanga im Funpark

In der Area 47 kostet der Eintritt für die Mega-Swing-Schaukel 23 Euro, die große Rafting-Tour auf dem sieben Kilometer langen Tiroler Wildbach Sanna kostet 88 Euro pro Person, der Eintritt in die "Water-Area" mit all den Schanzen, Sprungtürmen und Rutschen ist immerhin 70 Euro billiger. Die Aktivitäten sind an den Sommerwochenenden oft restlos ausgebucht, rund um das große Wasserbecken in der Mitte des Geländes lässt sich dann kaum ein Platz mehr für das Handtuch finden. Nicht einmal neben einer der vielen Gruppen, die Junggesellenabschied feiern. Unzählige bemitleidenswerte Bräutigame in spe müssen nicht nur ihre Trinkfestigkeit beweisen, sondern auch, dass sie es den ganzen Tag in dem neongrünen Tanga aushalten, den Sasha Baron Cohen als "Borat" trug. Die Area 47 liegt im Gegensatz zu anderen Action-Arenen im Tal, trotzdem ist die Bergbahn Sölden Hauptinvestor. Sie dürfte ihr Geld in dem 14-Millionen-Projekt gut angelegt haben.

Kritiker nennen die Action-Arenen am Berg eine "Eventisierung der Alpen", die vor gut zehn Jahren in Österreich ihren Anfang nahm. Gotlind Blechschmidt erinnert sich noch heute mit Schrecken daran, wie sie vor einigen Jahren bei einer Bergtour zum ersten Mal den Funpark auf der Fisser Alm gesehen hat: "Ich war ich völlig entsetzt: Flieger, Riesenschaukel, Sommerrodelbahn - das war wie eine Kirmes, nur in den Bergen." Blechschmidt ist Mitglied im Vorstand des deutschen Ablegers von "Mountain Wilderness", einer Organisation, die für den Erhalt intakter Natur in den Bergen kämpft. "Dann ging es Schlag auf Schlag: Jede Region verweist auf ihre Nachbarn und zieht nach."

Im Sommer 2012 veröffentlichte Mountain Wilderness den Bericht "Funpark Alpen". 35 Projekte zählten die Aktivisten damals, ohne jedoch einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Es dürften inzwischen weit mehr sein, und Gotlind Blechschmidt bezweifelt, dass sie den Besuchern nachhaltige Eindrücke bieten: "Es spielt keine Rolle mehr, auf welchem einzigartigen Gipfel ich eigentlich war, weil nur noch das künstlich erzeugte Action-Erlebnis im Vordergrund steht."

Nun ist Spaß natürlich immer eine kurzweilige Sache, bei der eher der Moment als ein längerfristiger Effekt zählt. Solche Argumente hört man aber nicht, wenn man mit Christian Loth spricht, Geschäftsführer der "Ammergauer Alpen GmbH", in deren Hände sechs Gemeinden ihre Tourismusvermarktung gelegt haben. In seinem Zuständigkeitsbereich liegt nicht nur das größte Naturschutzgebiet Bayerns, am Kolbensattel ist seit dem 19. Juli auch ein sogenannter Alpine-Coaster in Betrieb, eine Art Achterbahn am Berg, Mutant des alten Eisengestells, das mal als Sommerrodelbahn bekannt war. "Sehr hilfreich" seien solche Projekte zunächst einmal für jene, die im Tourismus ihr Geld verdienen müssten, sagt Loth. "Bergbahnen leben nun einmal davon, ausgelastet zu sein. Der Coaster ist eine Attraktion für Sommer und Winter - im Hinblick auf den Klimawandel ist es keine schlechte Strategie, Alternativen zum klassischen Ski-Tourismus bieten zu können."

Den Ammergauer Alpine-Coaster betreiben sechs Gesellschafter, unter ihnen ist auch das Kloster Ettal. Der Oberammergauer Bürgermeister Arno Nunn wünschte ihnen zur Eröffnung, dass sie sich "eine goldene Nase verdienen. Denn dann geht's uns allen gut". Abgesehen vom Monetären hätten solche Projekte noch weitere Vorteile, sagen die Vermarkter - sie seien sogar eine Art von Umweltschutz. Loth will das "Angebot nur dort konzentriert ausbauen, wo wir sowieso schon Infrastruktur haben". Es gehe ihm nicht unbedingt darum, mehr Angebote zu schaffen, "sondern eben bessere und modernere". Und Jochen Schweizer will von einer Eventisierung der Alpen nichts wissen. "Das stimmt einfach nicht. 85 Prozent sind technisch noch absolut unerschlossen." Damit das so bleibe, müssten die anderen 15 Prozent optimal genutzt werden. "Der Ausbau bestehender Gebiete ist sinnvoll, weil er den Druck rausnimmt, neue zu erschließen."

Gotlind Blechschmidt werden sie mit diesen Argumenten wohl nicht überzeugen können. Naturschutz sei das eine, der geistig-kulturelle Aspekt sei ihr inzwischen aber fast wichtiger. "Wir haben hier in den Alpen so eine reiche Kultur und so viele Möglichkeiten zur Erholung", sagt Blechschmidt, "wir sollten sehr achtgeben, dass wir das nicht durch eine Mischung aus Disneyland und Oktoberfest ersetzen."

In der Area 47 zumindest kommen manche Besucher dieser Mischung ziemlich nahe. Der Badehosentrend des Sommers: Shorts in Lederhosenoptik dominieren klar, dunkelbraun oder schwarz, mit aufgedruckter Bestickung und aufgedrucktem Hosenlatz. Dass man den aber nicht aufknöpfen kann, verwirrt einen angetrunkenen Hamburger auf dem Pissoir sichtlich. Und während sich die letzten Hobby-Stuntmen von ihren Kumpels im Abendlicht mit Handykameras filmen lassen, trifft sich Tirols Dorfjugend auf dem Parkplatz vor der Event-Arena "Ötztal Dome". Hier steigt heute Abend die "Schaum-Invasion", die laut Eigenwerbung größte Schaumparty der Welt. Rund um die Autos stapeln sich Paletten mit Bierdosen; Gemische aus Wodka, Farbstoff und Zucker sorgen schon mal präventiv für Kopfweh. Schmerz, das wissen auch die Partygänger, ist eben nur ein Gefühl.

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