Nachtleben Kapstadt:Rand und Band

Suedafrika: Kapstadt, Long Street

Eine der schönsten Straßen ist die Long Street mit ihren viktorianischen Kolonialhäusern.

(Foto: Tom Schulze/Dumont/p.a.,)

Die Partygänger im südafrikanischen Kapstadt denken oft noch schwarz-weiß. In der Long Street aber geht es bunt durcheinander. Unterwegs mit zwei Rappern im Nachtleben - oder vielmehr in ihrem öffentlichen Wohnzimmer.

Von Laura Weißmüller

Schon der Name stimmt. Die Long Street in Kapstadt ist wirklich lang. Mehr als drei Kilometer schiebt sie sich kerzengerade durchs Zentrum. Aber allein an der Länge liegt es nicht, dass hier für alle etwas geboten ist: für die Backpacker und die Pauschaltouristen genauso wie für den gut informierten Kapstädter, der genau weiß, wo er hinwill. Warum? Diese Frage lässt sich am besten bei Nacht beantworten. Und die fängt auf der Long Street schon früh an.

Im Gegensatz zu anderen Ausgehmeilen mutiert jene der Kapstädter bei Tag nämlich nicht zu einem unansehnlichen Kulissenfriedhof, dem der Weichzeichner der Nacht schmerzlich fehlt. Rein architektonisch betrachtet ist die Long Street sogar eine der hübschesten Straßen, die Kapstadt zu bieten hat. Viktorianische Kolonialhäuser mit weiß verzierten, schmiedeeisernen Balkonen stehen neben prächtigen Art-déco-Villen. Antiquitätengeschäfte und Fundgruben wie Merchants on Long, Afrikas erster Concept Store für Design und Mode, wechseln sich mit Restaurants, Bars und Clubs ab. So mancher Shoppingtrip endet da am Tresen. Nur in welchem der vielen Lokale, die hier gerne mal per Musikbeschallung ihr Revier abstecken?

Uno July und Lukhona Sitole wissen es. Uno alias Tommy Jinxx ist klein und zierlich, sein Rap-Partner Lukhona alias Jimmy Flexx im Blaumann groß und hager. Beide zusammen ergeben die Hip-Hop-Band Ill Skillz. Gerade haben sie in London ihre neue Platte "Notes From the Native Yards" produziert. Doch Kapstadt ist nach wie vor ihre Heimat, die Township, in der beide leben, der Kosmos, aus dem sie für ihre Musik schöpfen, die Long Street dagegen ist ihr öffentliches Wohnzimmer.

Uno July und Lukhona Sitole, Rapper in Kapstadt

Uno July und Lukhona Sitole rappen in Kapstadt - und sie kennen das Nachtleben der Stadt, in der sich gerade eine Bier-Revolution vollzieht.

(Foto: Ill Skillz Entertainment)

"Diese Straße besteht aus schrägen Typen", sagt Lukhona Sitole, während er an einem kleinen Holztisch auf dem Trottoir vor der Royale Eatery sitzt. Wer sich nicht zu Hause die ersten Drinks genehmigt, um Geld zu sparen, trifft sich vor dem Feiern zum gemeinsamen Abendessen, und hier gibt es laut den beiden Kapstadts beste Burger. Die hoch aufgetürmten Doppeldecker, die großflächig tätowierte Kellnerinnen aus dem Lokal tragen, sind tatsächlich köstlich. Genauso wie die frisch gepressten Fruchtsäfte, das Bier der lokalen Brauerei oder der süße Sahnecocktail, den Uno July ordert. Er trinkt keinen Alkohol.

Im Zuge der WM-Vorbereitung hat sich in Kapstadt in den vergangenen Jahren eine lebendige Gastroszene entwickelt, sodass es schwerfällt, sich für ein Lokal zu entscheiden. Ein, zwei Jahre vor dem Anpfiff fing es mit Kaffee an. Da eröffneten die ersten Röstereien in einer Stadt, deren Bevölkerung wie eigentlich überall in Südafrika aus Rooibostee-Trinkern besteht. Wenn überhaupt Kaffee bestellt wurde, dann der günstige Filterkaffee aus der Kanne. Das hat sich radikal verändert. Cafés wie Bean There, Truth und Skinny Legs überbieten sich in ihrer Version der italienischen Kaffeekunst. Selbst in Khayelitsha, einer der bekanntesten Townships Kapstadts, kann man seit Kurzem hervorragenden Espresso, Cappuccino und Latte Macchiato ordern. Aus Fair-Trade-Kaffeebohnen, versteht sich.

Was mit der Begeisterung für lokal gerösteten Kaffee losging, hat sich mittlerweile auf den kompletten Gastronomiebereich ausgedehnt. Mit dem Neighbourgoods Market jeden Samstag gibt es im Viertel Woodstock einen Feinkostmarkt, der es mit dem Borough Market in London aufnehmen kann. Und auch die Inneneinrichtung der Restaurants orientiert sich am globalen Hipster-Schick: breite Holzdielen, auf denen bunt zusammengewürfeltes Mobiliar, gerne mit Flohmarkt-Touch, steht. Die Wände schmückt - am liebsten dicht an dicht in Petersburger Hängung - ein wildes Potpourri aus Zeichnungen, Fotos und Gemälden. Bestes Beispiel ist die Royale Eatery selbst, sie könnte ihre Burger genauso in San Francisco, Berlin oder Kopenhagen verkaufen. Zu denselben Preisen.

An unserem Tisch marschiert ein Trupp junger Männer vorbei. Arbeiter, erklärt Uno. Sie sind auf dem Weg zum Bahnhof ein paar Kilometer weiter südlich. Einen Blick für das bunte Getümmel in den sich langsam füllenden Burgerläden, Fish-and-Chips-Buden oder Pop-up-Restaurants in der Long Street haben sie nicht. Ein erster Hinweis auf die vielen Paralleluniversen, aus denen Kapstadt besteht: Wer in welchem Viertel wohnt, was für einen Job er hat und wie er seine Freizeit gestaltet, das entscheidet hier oft immer noch die Hautfarbe. Weiße verdienen in Südafrika im Schnitt sechs Mal so viel wie Schwarze. Ein Burger in der Royale Eatery ist bei dem Verdienst eines Arbeiters nicht drin.

Uno July und Lukhona Sitole sind schwarz. Und sie sind erfolgreich. Doch ihre Wurzeln haben sie nicht vergessen. Uno July ist sogar aus dem Zentrum zurück nach Gugulethu gezogen, die Township, in der er zuerst wohnte, als er nach Kapstadt kam. Wer dort lebt, weiß, wie ungerecht die Ressourcen dieser Stadt verteilt sind. In ihren Texten rappen Ill Skillz darüber. Aber auch die Long Street zeigt: Viele Läden sind von weißen Besserverdienern bevölkert. Weiße Kellner dagegen sind die absolute Ausnahme. Hat Mandelas Kampf also nichts gebracht?

Gespräche wie Hip-Hop-Battles um die beste Zeile

"Der Weg, den Südafrika seit 1994 genommen hat, ist eine Geschichte, die man stolz erzählen kann", sagt Lukhona Sitole. "Was wir heute für selbstverständlich halten - Strom, fließend Wasser - gab es in den Häusern vieler Schwarzer damals nicht. Aber die Verbesserung kommt nur langsam. Und die Menschen sind es leid zu warten", spricht's - und weiter geht es. Denn auch die beiden sind keine, die gerne stundenlang irgendwo verweilen. Nach kurzem Facebook- und Twittercheck geht es bergabwärts ins Lokal Neighbourhood, so etwas wie ein Riesenwohnzimmer für alle. Im ersten Stock der Kolonialvilla stehen schwere Ledersofas und Holztische unter alten Ventilatoren. Es läuft amerikanischer Mainstream-Pop, der Balkon ist bis zum letzten Platz besetzt. Hier mischt sich das Publikum, Backpacker und entspannte Surfer sind genauso vertreten wie aufgestylte Skinny-Jeans-Träger.

Und trotzdem: Schwarz bleibt bei Schwarz, Weiß bei Weiß, nur selten vermischen sich die Tischrunden. Dafür sitzt hier keiner alleine. Dementsprechend laut fällt der Lärmpegel aus. Bei Ill Skillz und ihren Freunden wird zwischen Englisch und Xhosa, einer der vielen Sprachen in Südafrika, blitzschnell hin- und hergewechselt. Nicht selten wirkt das Gespräch dabei wie ein Hip-Hop-Battle um die beste Zeile; auch wenn Hip-Hop bislang in Kapstadt keine entscheidende Rolle gespielt hat. In den neunziger Jahren spielten die Clubs vielmehr Kwaito, afrikanische Rhythmen, gemischt mit westlichen Beats, dann kam House. Als die beiden Anfang der Nullerjahre mit Hip-Hop anfingen, gehörten sie zur Subkultur. Langsam wächst jedoch ihr Fankreis.

"Wenn du als Musiker Eindruck machen willst, musst du so gucken", sagt Hypen Aka Solé, während er in weiten Baggy-Jeans und weißem T-Shirt die Pose von Rodins "Denker" einnimmt und seine jugendliche Stirn bedrohlich in Falten wirft. Er ist ebenfalls Hip-Hopper, wohnt in derselben Township wie Uno und hat ihn zum Hip-Hop geführt. Wirklich überzeugend wirkt seine Performance jedoch nicht, zur Long Street gehört eher ein friedlich fröhlicher Feiergrundton. Böse dürfte denn auch nur der junge Mann sein, dessen Craft-Bier Aka Solé beim Ausholen für die Geste vom Bartisch wischt.

Schließlich sind Biere nach der Craft-Beer-Revolution, wie sie hier den Hype um die kleinen Brauereien nennen, ziemlich teuer. Der Renner ist aktuell gerade eines aus Europa: "Brewers & Union" nennt es sich. Dabei hat Kapstadt selbst hervorragende Brauereien, allen voran die 2012 gegründete Devil's Peak in Woodstock, wo man auch hervorragend essen kann. Noch vor ein paar Jahren hätte in Südafrika keiner mehr als zwölf Rand, etwa 80 Cent, für ein Bier ausgegeben, jetzt sind es 40, also knapp drei Euro - dafür will man aber auch etwas Besonderes haben. Auf der Welle der Bier-Revolution surfen auch der Biersalon "&Union" und das im vergangenen Jahr eröffnete Beerhouse. Es ist noch besser besucht als das Neighbourhood.

Auf den Bänken wird getanzt. Gern die ganze Nacht lang

Langsam wird es später, das helle Licht im Neighbourhood passt nicht mehr, wir ziehen weiter, fast bis an das südliche Ende der Long Street, ins The Waiting Room. Ein entspannter Club, leicht elektrolastig, mit Holzdielen und karg cooler Einrichtung, wie sie auch gerade in Berlin angesagt ist. Über der Biergarnitur auf der Dachterrasse hängt eine bunte Lichterkette. Von hier aus hat man einen fantastischen Blick auf den angestrahlten Tafelberg. Und auf die schicken Appartementhochhäuser, die parallel zur Long Street in den vergangenen Jahren hochgezogen wurden.

War die Gegend in den neunziger Jahren noch eine, die man abends besser mied, gehört sie heute zu den Lieblingsadressen für junge Gutverdiener. Dementsprechend mondän ist das Publikum, das auf den großen Terrassen die Kapstädter Nacht genießt. Junge Frauen in Lana-Del-Rey-Abendkleidern, Männer mit Champagnergläsern in der Hand. Typisch Kapstadt, wohnen hier, im Zentrum des Stadtteils City Bowl doch überwiegend Weiße, die Privatpartys bleiben exklusiv.

Doch je später der Abend, desto mehr mischt sich zumindest auf der Long Street das Ausgehvolk. Im Marvel, direkt gegenüber von The Waiting Room, scheint die Trennung dann komplett aufgehoben. Sie wäre hier aber auch schlicht unmöglich: der Laden ist winzig. Dicht an dicht drängt sich das junge Publikum um den gewaltigen Holztresen und in dem schmalen Raum dahinter, in dem Kicker und Billardtisch stehen. An den Wänden hängen Plattencover von alten Soul-Größen.

Vor einigen Jahren sei das Marvel die Adresse der Stadt gewesen, sagt Uno July. Wer die Boheme suchte, der fand sie hier. Das ist jetzt nicht mehr der Fall, das Publikum ist wie die Musik fröhlicher Mainstream. Die Hotspots wechseln schnell in Kapstadt. "Zu kommerziell", urteilt July. Trotzdem kann er es nicht lassen, beim Song von Kanye West mit dem Oberkörper mitzugehen. Die anderen sind weniger zurückhaltend. Auf allen Bänken wird getanzt, selbst auf den Tischen stehen schon zwei Mädchen. Schwarz und weiß, fröhlich zusammen. Auf der Long Street ist das möglich.

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