Nachtleben in Frankreichs Hauptstadt:Wilder Mix in Paris

Paris bei Nacht

In Pariser Bars wird Vielfalt zum Konzept.

(Foto: olliedog / iStockphoto)

In Paris bei Nacht spielen nationale Identitäten keine Rolle. Viele Clubs wollen, dass sich möglichst unterschiedliche Leute kennenlernen - und damit die Welt verändern. Andere setzen auf Strandatmosphäre und Boule im Keller.

Von Charlotte Theile

Es ist heiß hier drin, viel zu heiß. Das liegt daran, dass die Getränke an der Bar angezündet werden, bevor man sie trinken - beziehungsweise: so schnell es geht mit einem Strohhalm aufsaugen und dabei die alkoholischen Dämpfe inhalieren - kann. "Du wirst so krasse Kopfschmerzen haben, Wahnsinn", ruft Bruno und reckt zwei Daumen in die Luft. Er wird Recht behalten. Der 23-jährige Architekturstudent wohnt nur ein paar Straßen entfernt vom Ausgehviertel Oberkampf, wo der Laden jeden Abend Hunderte junge Leute in den Vollrausch entlässt.

"Diese Bar ist die beste von ganz Paris", findet Katie aus New York, die sich zusammen mit Jade aus London an einer Straßenecke Bruno und seinen Freunden angeschlossen hat. 600 verschiedene Shots, Schnaps-Variationen, gibt es hier, drei Euro pro Glas. Keine Kreditkarten, kein Wlan, nur hochprozentiger Alkohol. Jeder, den man auf der Straße trifft, scheint auf dem Weg hierher zu sein. Viele gehen zweimal ins Espit Chupitos: einmal zum Warmtrinken, einmal als Absacker.

Espit Chupitos ist spanisch, heißt übersetzt so etwas wie Schnapszapfanlage, das Konzept für die Bar kommt aus Barcelona. Doch in Paris, dort wo Frankreich so französisch sein soll wie sonst nirgendwo, schert man sich, zumindest nachts, kaum um Fragen der nationalen Identität. Das Pariser Nachtleben ist ein wilder Mix, und das ist gut so. Einwandererkultur, Großstadtklubs, die genau so in Berlin oder New York stehen, Kneipen wie das Espit Chupitos, die zwar irgendwie europäisch, aber nicht französisch sind, teure Touristenmagneten. Alles nebeneinander. Das Ghetto Museum Le Comptoir Général hat diese Vielfalt zum Konzept gemacht.

In der Rue de Jemmapes, direkt am Canal Saint Martin, stellt man sich an einer unauffälligen Mauer an. Der Türsteher unterhält sich ein bisschen mit den Feiernden, die den Abend mit einigen Flaschen Wein und günstigen Baguettes aus dem Supermarkt begonnen haben und vom Canal Saint Martin weiterziehen wollen. Hin und wieder lässt er ein paar Leute passieren.

Ein dunkler Gang, dann ist man in einer anderen Welt. Mystisch beleuchtet, voller wilder grüner Pflanzen, tiefroter Vorhänge und 60er-Jahre-Accessoires. Am Empfang steht ein uraltes Telefon, eine Klingel, ein ausgestopfter Affe. Der Mann dahinter, Izé Teixeira, trägt Hut und lange Locken, er ist Musiker. Das Comptoir Général unterstützt Teixeira, der sich selbst als "Afropolitan" bezeichnet und ganz oben auf seinem Facebook-Profil ein Bild Nelsons Mandelas mit gereckter Faust eingestellt hat, auch aus anderen Gründen. Im Salle de Classe (Klassenzimmer) und im Salle de Bal (Ballraum), wo sich an diesem Samstag etwa fünfhundert junge Menschen mit zerstoßener Gurke und Wodka im Pappbecher drängeln, geht es noch um etwas Anderes als ums Feiern.

Das Comptoir Général ist ein idealistisches Projekt, eines, das im Nachtleben die Welt verändern will - und zwar indem man sich kennenlernt. "Wir wollen Verschiedenheit erlebbar machen, zeigen, was Ghetto Kultur sein kann", sagt Etienne Tron, 33 Jahre alt und einer der Gründer des Projekts. Ghetto-Kultur, damit meint er vor allem französisch-afrikanische Lebensweise. Es gibt einen afrikanischen Friseursalon, in dem man sich gegenseitig die Haare schneiden kann, gebackene Bananen mit Reis ("Le Snack Local") und Ausstellungen aus der Kolonialzeit. Doch auch andere Kulturen finden Platz: "Wenn wir Second-Hand-Kleidung oder Sperrmüllmöbel verkaufen, sind vor allem Osteuropäer dabei", sagt Tron.

Zu "Berlin", zu "Hype"

Nachts sind die Flohmärkte abgesperrt, dafür läuft elektronische Musik mit afrikanischen Einflüssen. Es wird getanzt, aber viele sind nur zum Essen und Reden da. Zwischen internationalen Gästen sieht man Männer in traditionellen Gewändern. Einige tragen riesige Hüte, andere Uhren, so groß wie Kinderköpfe. Auch wer kein Französisch kann, kommt hier schnell ins Gespräch. Die Ausstellungen, die Outfits, die Musik - fast alles bietet Stoff für Fragen und Gespräche, fast jeder spricht Englisch. In Zukunft wollen Etienne Tron und seine Mitstreiter Dschungel-Touren in den Kongo veranstalten.

Wie ungewöhnlich das vor vier Jahren gegründete "Museum" ist, zeigt sich am Eingang. Als Eintritt zahlt jeder so viel wie er für richtig hält. Für Etienne Tron einer der wichtigsten Aspekte seines Projekts: "Wir wollen, dass Touristen mit Kindern kommen, Ausländer, Franzosen, viele unterschiedliche Menschen." Je bunter und durchlässiger sein Club ist, desto besser.

Gemischtes Publikum trifft man in Paris auch im Ausgehviertel rund um die Bastille, wo es immer ein bisschen zu laut und zu voll ist. Doch neben Absturzkneipen für Erstsemester, die sich leicht an ihren Namen erkennen lassen ("Tequila"), gibt es auch alles andere: gepflegte Bars wie das Some Girls, wo man Banker aus Luxemburg kennenlernt, Straßencafés, die einen Blick auf die feiernden Gruppen bieten, Diskotheken wie das la Pirala, wo mindestens die Hälfte der auf den ersten Blick ausgelassen feiernden Gäste aus bezahlten Tänzerinnen besteht und das Bier zehn Euro kostet. Auch hier kann man Leute kennenlernen - zum Beispiel Kevin, 22, aus La Defense, der mit Pulvertütchen rumwedelt und einen "good price" verspricht.

Im Badaboum, zwei Straßen weiter, legen Elektro-DJs auf, die sonst im Kater Holzig in Berlin spielen - mit dem Vorteil, dass vor dem Badaboum nur etwa 20 Menschen anstehen. Hippe Elektro-Clubs, die bei Touristen ebenso beliebt sind wie bei Einheimischen, gibt es viele, sagt Architekturstudent Bruno, das Le Perchoir in der Rue Crespin du Gast etwa gehört dazu.

Bruno allerdings ist dort selten, zu "Berlin" und zu "Hype" findet er - und verweist stattdessen auf eine Bar, die ziemlich französisch ist: Im Les Niçois spielt man Boule, im Keller und auf Sand, an den Wänden hängen Strandaccessoires, es gibt günstige französische Traditionsbrände und guten Wein. Alle, die aus dem Süden Frankreichs kommen, sollen sich zu Hause fühlen. Das klappt ganz gut, selbst der Sand, den man in regnerischen Pariser Nächten irgendwie deplatziert finden könnte, wirkt in dem weißen Strandambiente ganz normal. Ein Ort zum Runterkommen.

Für Brunos Freundin Maeva, die in einer kleinen Uni bei Paris Jura studiert, sind "Berlin" und "Hype" keine abschreckenden Worte, im Gegenteil. Das Nüba an der Seine ist einer ihrer Lieblingsklubs. Auf den Dächern des Design- und Modezentrum Les Docks wird manchmal ein oder zwei Tage lang durchgetanzt, Tag oder Nacht spielen keine große Rolle. Genau wie im Comptoir Général läuft auch im Nüba fast alle Werbung über Facebook. Projekte, DJs, Partys: Wer Lust hat, weiß was los ist und kommt vorbei.

Lia Philipson, die seit zwei Jahren hier arbeitet, kommt ebenso wenig aus Frankreich wie die meisten DJs, die hier auftreten. Es solle ein "Platz für alle" sein, sagt Philipson, Familien mit Kindern seien tagsüber genauso willkommen wie Party-People. An diesem Montag zumindest scheint das zu stimmen: neben schwer verkaterten Menschen mit Vollbärten, Tattoos und Bloody Mary vor sich, spielen Fünfjährige Fangen und 60-Jährige Schach. Ein bisschen Musik läuft noch, aber leise, es ist Montagmittag.

Informationen

Aufwärmprogramm: Vom späten Nachmittag an sitzen Gruppen, Wein und etwas zu essen zwischen sich, in den Parks. Am Canal Saint Martin treffen sich besonders viele junge Leute. Sich zu ihnen zu gesellen, ist einfach: Mehr als Wein, Baguette oder eine Papp-Schachtel mit Pizza braucht es nicht.

Essen: Direkt nebenan, am Quai de Jemmapes, ist das afrikanische Kulturzentrum Le Comptoir General, wo es auch Musik und vielleicht einen neuen Haarschnitt gibt. Wem es hier gefällt, der kann zum Tanzen bleiben. Oder weiter ins etwas ruhigere Les Niçois, Rue Lacharrière, wo man sich fühlt, als wäre man im Süden Frankreichs. Bunte Schnäps, helle Farben, Strandacessoires an den Wänden. Im Keller der Bar ist Sand aufgeschüttet: zum Boule-Spielen. In der Rue Mouffetard, einer der belebtesten Straßen der Stadt, reihen sich Bars, Cafes und Restaurants aneinander, hier entlang zu schlendern lohnt sich in jedem Fall. Wenn es schon etwas später ist, die Nacht aber noch weitergehen soll, geht man am besten ins Espit Chupitos, einer Bar in der Rue Saint-Maur, wo es etwa 600 Schnaps-Variationen gibt.

Feiern: Ob Konzert, afrikanisches Musical oder algerischer Rap - im La Bellevilloise in der Rue Boyer, ist immer etwas los.

Tanzen: Nüba, Elektro-Parties auf dem Dach des Design-Projekts Les Docks mit Blick auf die Seine und diverse Bankengebäude der Stadt, am Quai d'Austerlitz. Oder, ebenfalls Rooftop und Elektro: Le Perchoir, Rue Crespin du Gast.

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Diese Tipps für die Städtereise sind Teil der Serie "Nachtleben", die donnerstags im Reiseteil der Süddeutschen Zeitung erscheint.

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