NACHGEFRAGT:Was spricht gegen Kulanz?

Ein Interview mit Ansgar Staudinger, Wirtschaftsrechtler an der Universität Bielefeld, der erläutert, warum die Kundenrechte auch aus juristischer Sicht verbessert werden müssen.

Monika Peichl

Ob ein Zug sich verspätet oder ganz ausfällt: Bahnreisende sind deutlich schlechter gestellt als Flugpassagiere, wenn es um Entschädigungen geht. Sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene wird jedoch gegenwärtig über eine Verbesserung der Rechte von Bahnkunden verhandelt.

SZ: Bisher entschädigt die Deutsche Bahn nur auf Kulanzbasis Kunden für unplanmäßige Wartezeiten. Was spricht dagegen, dass es dabei bleibt?

Staudinger: Jede Kulanzregelung beruht auf Freiwilligkeit, und das führt zu Ungerechtigkeiten. Die Reisenden sind vom Wohlwollen der Bahn abhängig. Wer sich bemüht, bekommt vielleicht eine Entschädigung für eine Zugverspätung, wer das nicht tut, geht leer aus.

Darüber hinaus bestehen aber auch rechtliche Bedenken. Die Bestimmung der Eisenbahn-Verkehrsordnung, wonach die Bahn für Leistungsmängel nicht haften muss, widerspricht meines Erachtens dem EU-Recht: Sie verstößt gegen die europäische Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Leider hat das bis heute noch kein deutsches Gericht vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) klären lassen.

SZ: Müssen Bahnreisende auf ein solches Urteil des EuGH warten, ehe sie ein Recht auf Entschädigungen erhalten?

Staudinger: Nein, voraussichtlich nicht. Mehrere Kräfte wirken darauf hin, dass die Rechte der Bahnkunden in ganz Europa verbessert werden. Die EU-Kommission droht mit einer Verordnung, auch Fahrgast- und Verbraucherverbände sind aktiv geworden.

Außerdem hat Bayern kürzlich eine Bundesratsinitiative gestartet mit dem Ziel, die Eisenbahn-Verkehrsordnung abzuschaffen. Statt ihr soll es vertragsrechtliche Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch geben, die auch Entschädigungen für Leistungsmängel vorsehen.

SZ: Welche Ansprüche hat ein Bahnreisender heute, wenn er wegen Zugverspätung einen Flug nicht erreicht und sein Ticket verfällt?

Staudinger: Für diese so genannten Verspätungsschäden gibt es derzeit gar keine Entschädigung. Das steht aus meiner Sicht im Widerspruch zu den Haftungsregelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch. Wer grob fahrlässig oder vorsätzlich handelt, hat solche Schäden auszugleichen. Das sollte künftig auch für die Bahn gelten.

Ein Vorschlag wäre aber, dass der Gesetzgeber der Bahn für Folgeschäden eine Deckelung des Schadenersatzes ermöglicht. Denkbar wäre beispielsweise ein Betrag bis zum Zehnfachen des Fahrkartenpreises.

SZ: Um die Bahn haftbar zu machen, müsste der Fahrgast aber wissen, dass sie grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Wie kann er das feststellen?

Staudinger: Das kann er gar nicht, und er muss es auch nicht. Das Problem lässt sich rechtlich elegant lösen. Gemäß Bürgerlichem Gesetzbuch wäre es nämlich Sache der Bahn, sich zu entlasten, also nachzuweisen, dass sie nicht schuldhaft gehandelt hat. Das wäre der Fall, wenn die Zugverspätung durch äußere Störungen, zum Beispiel durch einen Unfall, verursacht wurde.

SZ: Für Personen- und Gepäckschäden haftet die Bahn bereits. Halten Sie die bestehenden Regelungen für ausreichend?

Staudinger: Bei Personenschäden ja, bei Gepäckschäden sollten die Entschädigungssummen allerdings erhöht werden und die Regelungen insgesamt transparenter gestaltet werden.

SZ: Wie lange wird es dauern, ehe Fahrgäste tatsächlich mehr Rechte erhalten?

Staudinger: Es sind sich eigentlich alle Akteure einig, dass es nicht so bleiben soll, wie es ist. Auf Bundesebene wird derzeit untersucht, wie die Kundenrechte im Luftverkehr, im Schiffsverkehr und im Reiserecht beschaffen sind, und wie die Rechte von Bahnkunden angeglichen werden können. Ich denke, dass es frühestens nächstes Jahr konkrete Gesetzesvorhaben geben wird.

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