Nach Unglück am Mount Everest:Sherpas sagen Touren ab

Eine Gruppe Bergsteiger auf dem Weg zum Gipfel des Himalaya

Auf dem Mount Everest ist man schon lange nicht mehr allein. Ganze Kolonnen zieht es zum Gipfel. Ohne die einheimischen Bergführer wäre das nicht möglich.

(Foto: AFP)

Bergführer in Nepal tragen mehr als nur die Last der Verantwortung: Sie schleppen Brücken, Leitern und den Großteil der Ausrüstung, um Touristen den Weg auf den Mount Everest zu ermöglichen. Nach dem tödlichen Lawinenunglück verweigern die Sherpas nun alle Aufstiege.

Es ist das bisher schlimmste Unglück auf dem höchsten Gipfel der Welt: 16 einheimische Bergführer starben am Freitag nach einer Lawine am Mount Everest. Der Großteil von ihnen Sherpas, jenes Bergvolk, das etwa 0,5 Prozent der nepalesischen Bevölkerung ausmacht. Die nepalesischen Bergführer waren auf 5800 Metern Höhe im sogenannten Popcorn-Feld verschüttet worden, das auf der Route zum tückischen Khumbu-Eisfall liegt. Sie hatten Zelte, Seile und Lebensmittel dabei, um eine Route zum Gipfel des Everest vorzubereiten.

Nun beschlossen die einheimischen Bergführer, alle Expeditionen zum Mount Everest zu stoppen. Hunderte Bergsteiger aus aller Welt wollten in diesem Jahr den höchsten Berg der Welt erklimmen, viele von ihnen warteten bereits im Basislager auf den Saisonbeginn. Möglicherweise müssen sie wieder einpacken - sollte nicht doch noch eine Lösung gefunden werden. "Wir haben nach einer langen Sitzung an diesem Nachmittag beschlossen, zu Ehren unserer gestorbenen Brüder unsere Bergtouren einzustellen", sagte der Bergführer Tulsi Gurung.

So hat fünf Tage nach dem Lawinenunglück etwa die Hälfte der Expeditionen ihren Aufstieg abgebrochen und sei auf dem Rückweg, sagte der nepalesische Bergführer Karna Tamang aus dem Basislager. "Eigentlich wollten alle Sherpas absteigen, aber manche Firmen möchten das nicht." Deswegen verhandelten die anderen noch mit ihren Auftraggebern.

Einer der enttäuschten Bergsteiger, Ed Marzec, berichtete: "Sie haben entschieden, dass es nicht nur um die Entschädigung geht. Sie haben vielmehr das Gefühl, dass sie als eine Art Denkmal für alle, die umkamen, den Mount Everest für dieses Jahr stilllegen sollten."Der 67-jährige Anwalt im Ruhestand wollte ursprünglich als ältester US-Bürger den höchsten Berg erklimmen. Seinen Plan ließ er jedoch bereits am Montag fallen, da eines der Opfer aus seinem Team war.

Nicht alle Bergsteiger im Basislager haben jedoch Verständnis für die Entscheidung ihrer Bergführer. Sie haben zehntausende Dollar gezahlt, haben lange geplant, für viele war es die erste und letzte Gelegenheit, den gefährlichen Aufstieg zum 8848 Meter hohen "Dach der Welt" zu wagen. Entsprechend schlecht war die Stimmung in dem Camp, wie Marzec berichtete. Einige Bergsteiger versuchten sogar, Druck auf die Sherpas auszuüben, damit sie ihnen doch noch bei ihrem Bergabenteuer beistehen.

Die Streichung aller Expeditionen hätte verheerende Auswirkungen auf Nepals Wirtschaft - das arme Himalayaland ist stark auf die Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen.

Die Regierung hat für dieses Jahr Lizenzen für 32 Expeditionen mit insgesamt 734 Teilnehmern erteilt, darunter 400 Bergführern. Diese verdienen pro Saison zwischen 3000 und 6000 Dollar (zwischen knapp 2200 und 4400 Euro). Die Saison am Mount Everest dauert aber nur von Ende März bis Anfang Juni. Trotzdem ist dies ein Menge Geld im armen Nepal: Das Durchschnittseinkommen beträgt dort etwa 430 Euro im Jahr.

Edmund Hillary und Tenzing Norgay

Ohne ihn hätte er es nie auf den Gipfel des Mount Everest geschaft: Der Neuseeländer Sir Edmund Hillary, Erstbesteiger des höchsten Berges der Welt, im Jahr 1953 neben seinem Bergführer Tenzing Norgay.

(Foto: dpa)

Stößt den Bergführern aber etwas zu, zahlen ihre Versicherungen in den allermeisten Fällen nur wenig. Das soll sich nun ändern, verspricht Nepals Regierung: Sie hat einen Hilfsfond eingerichtet, mit dem Geld soll Verletzten und Familien von Verstorbenen geholfen werden. Künftig sind nepalesische Bergsteiger mit mehr als 11 000 Euro versichert, dreimal so viel wie zuvor. Außerdem wird ihre medizinische Behandlung mit bis zu 3000 Euro gezahlt.

Dazu werde ein Teil des Geldes verwendet, das ausländische Bergsteiger an Gebühren zahlen müssen, sagte Madhusudan Burlakot vom Tourismusministerium. Für einen Aufstieg auf den Mount Everest zahlen Bergsteiger derzeit umgerechnet 18 000 Euro.

Nach dem Unglück hatte die nepalesische Regierung den Hinterbliebenen nur 300 Euro für die Beerdigung ihrer Angehörigen angeboten. Daraufhin hatten die Sherpas unter anderem die Einrichtung eines Hilfsfonds für die einheimischen Bergführer gefordert.

"Touristen tragen Wasserflaschen, Bergführer 40 Kilo Gepäck"

Beim strapaziösen Aufstieg zum "Dach der Welt" tragen die einheimischen Führer nicht nur sprichwörtlich die Last der Expeditionen. In einem Blogbeitrag für "New Yorker" berichtet Bergsteiger und Autor Jon Krakauer über die harten Arbeitsbedingungen am Berg. Um die Route auf den Mount Everest überhaupt begehbar zu machen, präparieren die Bergführer und ihre Helfer die Strecke. Sie installieren Leitern, Brücken und Fixseile, die die Touristen sichern und ihnen den Aufstieg erleichtern. Dies geschieht jedes Jahr aufs Neue, weil die "Wege" immer wieder unter Schnee, Eis und Geröll begraben werden.

Krakauer selbst, der unter anderem ein Buch des bis zum vergangenen Freitag größten Unglück am Mount Everest 1996 schrieb ("In eisige Höhen"), bestieg den Berg einige Male. Er erklärt, dass Touristen im Laufe ihres Aufstiegs den furchterregenden Khumbu-Eisfall, an dem sich das Unglück am Freitag ereignete, nur einmal passieren müssen. Die einheimischen Bergführer hingegen rund 30 Mal, um die Tour der Touristen zu ermöglichen.

Die meist ausländischen Reiseanbieter reichen zudem alles schwere Gepäck an ihr Personal weiter. So tragen die Touristen heute kaum mehr als "eine Wasserflasche. Eine Kamera, eine Ersatzjacke und ihr Mittagessen". Die Bergführer hingegen rund 40 Kilogramm Gepäck.

Seit der Erstbesteigung durch den Neuseeländer Edmund Hillary und den nepalesischen Sherpa Tenzing Norgay 1953 kamen bereits mehr als 300 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen einheimische Bergführer. Krakauer gibt an, dass die Todesrate am Mount Everest zwölf Mal so hoch ist, wie für Angehörige des US-Militärs im Irak zwischen 2003 und 2007.

Am Sonntag war die Suche nach drei noch vermissten Bergführern endgültig eingestellt worden. Ihre Leichen könnten im Schnee kaum noch gefunden werden, teilte das Tourismusministerium in Kathmandu mit. Neun Sherpas wurden lebend aus den Eis- und Schneemassen gerettet.

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