Nach dem Anschlag:Nach Tunesien reisen - jetzt erst recht

Terrorist Attacks On Tunis Beach Resort Kills At Least 27 Tourists

Trauer am Strand Marhaba in Sousse, Tunesien

(Foto: Jeff J Mitchell/Getty Images)

Man muss sich ja nicht unbedingt dort sonnen, wo der Opfer gedacht wird.

Von Katja Schnitzler

"Jetzt erst recht!", hatten künftige Urlauber versprochen und Fotos von sich ins Internet gestellt mit Schildern und einer Botschaft: "I will come to Tunisia". Das war im März, nachdem bei einem Angriff auf das Bardo-Nationalmuseum in Tunis 21 Touristen getötet wurden. Schon diese Tat hatte Tunesien eine tiefe Wunde gerissen. Sie hatte kaum Zeit zu heilen.

Ein tunesischer Student erschoss am Freitag am Mittelmeer-Strand von Sousse nicht nur 39 Menschen, er erschütterte auch den wichtigen Wirtschaftszweig und Stabilisator des fortschrittlichen Tunesien in den porösen Grundfesten. Viele Touristen reisten ab, andere stornierten ihre Reise. Ohne ihr Geld wird sich die Lage des Landes verschlechtern, das als Hoffnungsträger in der arabischen Welt gilt, aber nicht frei von Konflikten und Problemen ist. Und das würde wiederum denen Zulauf bescheren, die genau dies beabsichtigten: Terroristen des Islamischen Staates.

Wäre es also die moralische Pflicht der Touristen, die Angst niederzuringen und trotzdem nach Tunesien zu reisen? Oder dort zu bleiben, statt schnellstmöglich in die Heimat auszufliegen?

Oder muss man es andersherum sehen: Sollten auch Touristen, die keine Angst haben, aus Pietätsgründen abreisen? Wie sonnt man sich in würdigem Gedenken an die Opfer am Strand nebenan? Darf man sich noch entspannen, seine Reise genießen - was ja Sinn des Urlaubs ist?

Die Bilder, die nach dem Anschlag auf das All-Inclusive-Resort Imperial Marhaba gemacht wurden, waren irritierend: Hinter betenden, weinenden Menschen stehen andere in Badehose und Bikini. Manche legen Blumen nieder, einige schauen einfach. Natürlich fragt man sich, ob sie nur betroffene Strandspaziergänger sind, die eher zufällig am Ort des Schreckens vorbeikommen, und daher versäumt haben, sich anzukleiden. Oder man hofft es.

Andererseits zeigen diese Bilder auch, was für Betroffene und Angehörige unvorstellbar scheint: Das Leben, das Geschäft mit den Touristen geht weiter. Aber es ist ein anderes. Das Unbeschwerte, das Sorglose fehlt. "Was wäre das denn noch für ein Urlaub, wo der Urlauber am Strand mit Maschinengewehren bewacht werden muss?", hatte Zohra Driss, Chefin des angegriffenen Hotels und Parlamentarierin, empört auf die Frage entgegnet, weshalb ihre unbewaffneten Sicherheitsleute den Attentäter nicht stoppen konnten.

Nun soll der Anblick von bewaffneten Uniformierten die Touristen beruhigen - zumindest jene, die noch da sind. Sie sollen sich guten Gewissens amüsieren. Jeder Urlauber am tunesischen Strand ist ein Zeichen gegen den Terror. Er muss sich ja nicht gerade dort jauchzend in die Wellen werfen, wo andere Menschen trauern.

Es kann aber von niemandem verlangt werden, seine Angst zu überwinden: Wer Angst hat, reist aus oder gar nicht erst ein. Wobei das Gefühl der Sicherheit auch an anderen Orten trügerisch ist. In Ägypten brach der Tourismus ein, nachdem 1997 Terroristen vor dem Tempel der Hatschepsut in Luxor 58 Touristen töteten. Jahrelang blieben Reisende fern, danach wandelte sich der Tourismus Ägyptens: Nun kamen Urlauber an die Strände am Roten Meer, die Bauten der Pharaonen waren für die meisten nur noch ein Tagesreiseziel.

Nur: Tunesien hat im Gegensatz zu Ägypten wenig historische Attraktionen zu bieten, am bekanntesten ist die antike Metropole Karthago. Noch dazu gibt es genauso schöne Badestrände in der Türkei oder auf Mallorca - wobei selbst hier Touristen nicht vor Anschlägen sicher sind. Auf Spaniens Ferieninsel ermordete 2010 die baskische Eta Polizisten, im selben Jahr verübte auch die türkische PKK Anschläge auf Touristen.

Wohin kann man eigentlich noch reisen, in dieser kleiner werdenden Welt? Trotz aller Unsicherheit wollen die Deutschen weg, daheim zu bleiben ist für die meisten keine Option. Es zieht sie zumindest einmal im Jahr an einen anderen Ort, um Abstand zu bekommen vom Alltag.

Bei der Auswahl des Reiseziels spielt für viele der Preis die Hauptrolle. Dabei würden sich einige Gedanken mehr lohnen. Was ist das für ein Staat, in den ich reise? Wie leben die Menschen dort - werden Andersdenkende verfolgt? Wem gehören die großen Hotels - vielleicht noch den Militärs aus dem gestürzten Regime? Sollte ich für einen etwas höheren Preis besser einen Familienbetrieb unterstützen?

Letztlich liegt es in der Verantwortung jedes Einzelnen, wo er seine Ferien verbringt, ob er dabei Land und Leute kennenlernt und wen er mit seiner Urlaubskasse finanziert.

Wer sich diese Gedanken gemacht hat, bleibt vielleicht bei seinem Versprechen: Ich reise nach Tunesien. Jetzt erst recht.

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