Mythos Sydney:Einmal Paradies und zurück, bitte!

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Monatelang nicht ins Büro, stattdessen am Meer in Sydney - das ist ein Traum. Oder doch nicht? Eine Auswanderin auf Zeit berichtet.

Eike Schrimm

Manchmal drückt der Alltag wie ein Korsett und reflexartig folgt der Wunsch: Ich will weg. Ans Meer, wo immer die Sonne scheint. Und dann plötzlich kann der Ehemann beruflich für ein Jahr nach Sydney gehen. Die eigenen Chefs machen mit und genehmigen elf Monate unbezahlten Urlaub. Der Traum im Paradies wird wahr.

Die Oper im Abendlicht: Die Harbour Bridge wirft einen Schatten auf das Dach. (Foto: Foto: Eike Schrimm)

Dass Sydney ein Paradies ist, will keiner leugnen. Alle Reiseführer schreiben den Kontinent schön und auch die Bewohner darauf bekommen Bestnoten: Die Australier seien unverkrampft, hilfsbereit und weltoffen.

In der Tat gibt es viele Begegnungen, wo der Fremde jubelt: "Ihr seid ein lustiges Völkchen. Bei euch fühle ich mich richtig wohl." Aber der Fremde wird auch seufzen: "Ich verstehe euch nicht. Ach, wie schön ist es in der Heimat." Am Ende eines knappen Jahres lockt ein neues Angebot, in Sydney zu bleiben. Es rattert die Abwägungsmaschinerie auf Hochtouren: Bleiben? Gehen? Bleiben! Gehen! Sogar die Münze wirbelt durch die Luft, da Verstand und Bauch nicht unter einen Hut zu bringen sind. Letzendlich wird dann das Ticket gebucht - einfacher Flug ohne Rückkehr.

Warum? Es folgen Berührungspunkte mit der australischen Seele. Diese Situationen und Erlebnisse haben den Aufenthalt im Ausland manchmal verschönt, manchmal erschwert. Natürlich sind sie rein zufällig und willkürlich, aber authentisch. Aber so ist das Leben. In Sydney.

Die Weiten des Small Talks

Trifft zum Beispiel ein deutsches heterogenes Paar, das sich dem schlechten Wetter angepasst in atmungsaktive Schale geworfen hat, ein australisches homosexuelles Paar, das von der Haarspitze bis zum Fußnagel schönstens gepflegt ist, im Aufzug, endet der Small Talk zwischen der 14. Etage bis zum Erdgeschoss ohne Zwischenstopp mit: "Ja, das Wetter ist launisch. Erst warm und trocken, dann nass und kalt. Aber ist der heiße Sex anschließend nicht um so schöner?" Die Deutschen werden rot und schweigen.

Aber natürlich sind nicht alle Australier so locker-flockig. Im Gegenteil, denn bei der Geschichte über den wohl berühmtesten australischen Moderator heult jede halbwegs emanzipierte Seele auf. Als dieser Moderator im vergangenen Jahr in Rente gegangen ist, berichteten die Zeitungen auf der Titelseite über dieses Ereignis. Das dazugehörige Bild zeigt den über 70-Jährigen im weißen Anzug mit weißem Hut in einem weißen offenen Rolls-Royce. Ein bisschen wie Hugh Hefner. Alte Herren eben. Aber: Da ihm Frauen in Röcken besser gefallen, hatten bei ihm nur die Männer die Hosen an im Büro, die Frauen mussten Tag aus, Tag ein, jahrzehntelang Bein zeigen. Und sie haben das natürlich gemacht. Die Klügere gibt nach!

Apropos klug: Weiß der Fremde nicht weiter und nimmt die Straßenkarte zur Hand, lernt er in wenigen Sekunden die australische Hilfsbereitschaft kennen. Denn kein Australier kann diese Hilflosigkeit stehen sehen. Auch wenn er gar keinen Plan hat. Aber zusammen sucht es sich viel schöner, außerdem lässt sich es nebenher gemütlich palavern: "Ah, wo kommt ihr denn her? Ach, Deutschland. Schön. München? Noch schöner. Von eurem Bierfest dort habe ich schon viel gehört. Und was macht ihr hier so? Och, ihr wollt wieder zurück? Bleibt doch noch. Solche Ausländer wie euch brauchen wir." Der Ausländer weiß zwar meistens immer noch nicht, wo es langgeht, aber er fühlt sich anschließend in Australien geborgen.

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:Sonnen- und Schattenseiten Sydneys

Oper und Brücke in Sydney sind weltbekannte Motive. Aber gerade jenseits der Touristen-Attraktionen lohnt es sich vorbeizuschauen, um den australischen Way of Life kennenzulernen.

Enttäuschungen bleiben aber nicht aus. Ausgerechnet bei der Jobsuche. Obwohl es doch heißt: In Australien findet jeder Arbeit. Es gibt zwar Jobs wie Sand in Bondi. Als Zimmermädchen, Bedienung oder Verkäuferin bekommt jeder Ausländer seine Chance. Aber soll der Job den Gelegenheitscharakter abstreifen, braucht der Suchende Netzwerke. Und wo spannt er diese am besten? Richtig, beim Small Talk. So bläut es der Karriereberater dem deutschen Arbeiter jedenfalls ein.

Graffiti am Bondi Beach: Die Zeichnung erinnert an die 15-jähriger Chloé, die 2002 bei dem Bomben-Attentat auf Bali ums Leben gekommen ist. Seitdem bilden die Surfer einmal im Jahr einen Kreis im Wasser - als Erinnerung an ihre Freundin. (Foto: Foto: Eike Schrimm)

Also ist der Joblose auch hocherfreut, wenn der Australier ihm zwischen "How are you" und "Nice to meet you" tatsächlich anbietet, bei der Suche behilflich zu sein. Er verspricht eine Mail oder man könne am nächsten Tag ruhig mal anrufen. Aber eine Mail wird nicht kommen und wenn man tatsächlich anruft, wird am anderen Ende der Leitung sehr erschrocken reagiert, sogar ein bisschen beleidigt über diese Aufdringlichkeit. Wenn Australier also meinen "Ich kann dir ganz sicher helfen", heißt das "Bitte melde dich nie wieder". Diese Lebenseinstellung ist überhaupt nicht verwerflich, aber man kann dem Fremden vorwerfen, die Regeln des smarten Small Talks nicht zu beherrschen. Wem aber die Gesagt-Getan-Philospohie in die Wiege gelegt worden ist, verzweifelt an diesen leeren Versprechungen.

Da der Australier mit Gott und der Welt ins Gespräch kommt, hat er gute Ohren. Schon nach drei Worten "One cappuccino, please", weiß er: "You are from Germany." Aber auch sein Auge ist vor lauter Einwanderern und Touristen inzwischen so gut geschult, dass er ohne Worte, rein an der Klamotte erkennt, woher sein Gegenüber kommt. Ist der Rock zu lang, sind die Augenbrauen zu buschig, die Haare zu kurz und die Absätze zu niedrig, antwortet er mit "Danke", wenn ihm die Tür aufgehalten wird. Nicht schlecht, mate.

Eine Oper ist nicht genug

Diese Berührungen mit dem australischen Way of Life zeigen, dass die Menschen am anderen Ende der Welt wirklich anders ticken. Auch auf der höchsten, kulturellen Ebene wird eine Diskussion ausgetragen, bei der der Fremde ratlos zuhört.

Es geht um die Oper. Dass sie ein architektonisches Meisterwerk ist, weiß wirklich jedes Kind. Der eine erkennt ein Segelschiff, der andere eine Narrenkappe und ein Dritter eine dreiköpfige Dinosaurier-Familie in der Dachkonstruktion. Ganz egal, wer was in der Oper sieht, sie ist wunderschön. Selbst wenn man zum 100. Mal vorbeischlendert, entdeckt man immer wieder neue Details. Zum Beispiel zeigen die Schlitze der Schrauben alle in eine Richtung. Wunderschön, wie gesagt.

Aber weil die Schönheit in die Jahre gekommen ist, der Orchestergraben ist zu klein, die Technik zu alt und die Akustik zu schlecht, soll innen alles besser werden. Kostenpunkt der Renovierung: 700 Millionen Dollar! 700 Millionen Dollar? Haben die Norweger in Oslo nicht gerade eine nigelnagelneue Oper bekommen für nur 800 Millionen? Also wird ernsthaft darüber nachgedacht, ob man nicht 100 Millionen drauflegen und gleich ein zweites Opernhaus bauen sollte. Neben das Alte. Die neue müsse natürlich nicht so toll aussehen wie die alte. Ein einfacher Kasten reiche schon. So hätte man was fürs Auge (alte Oper) und was für die Ohren (neue Oper). Ein Skandal, oder? Das wäre ja genauso also würde man neben einer Opernsängerin, die die Maße 90-60-90 nicht halten kann, ein Fotomodell auf die Bühne stellen, so dass alle Sinne des Besuchers gereizt sind.

Der ist, wenn er aus dem Ausland kommt, so oder so schon vollkommen närrisch, wenn er bloß den Roten Kontinent betreten hat. Überall vermutet er die tödlichsten Krabbel- und Kriechtiere. Kein Wunder, denn Reiseführer und Wissenschaftler werden nicht müde, die Botschaft zu verbreiten, dass acht der zehn giftigsten Schlangen in Australien leben. Darunter die giftigste aller Schlangen. Und natürlich sind Haie, Krokodile, Quallen und Stachelrochen auch nicht ohne. Nicht zu vergessen die Spinnen.

Und in der Tat, sind die Viecher allgegenwärtig. Mal sind die Strände von Sydney gesperrt, weil in der Brandung Hunderte Blue Bottles schwimmen. Diese quallenartigen Wesen sind zwar nur im Extremfall tödlich, aber wer jemals mit den glibberigen Körpern der in Kontakt gekommen ist, wünscht sich sofort an den Südpol, wo er seine Verbrennungen kühlen kann. Mal fällt in einem hochmodernen Hochhaus im Central Business District aus der Klimaanlage eine winzige Spinne und landet auf dem Unterarm. Wenn sie zubeißt, ist der Arm tagelang gelähmt.

Dennoch ist nicht jede Spinne gefährlich, manche nur sind nur groß und ekelig. So groß und ekelig, dass der Mieter aus Europa von seinem Vermieter Abhilfe verlangt mit den Worten: "Schließlich leben wir nicht im Urwald." Wie soll der Vermieter, der zwar noch in Griechenland geboren worden ist, aber längst zum Australier migriert ist, reagieren? Diplomatisch, australisch: "Ja, ja, in diesem Land gibt es eindeutig zu viele Bäume. Ich sage es immer schon."

Der Tourist, der nach Sydney kommt, hat neben der Spinnen-Phobie sonst nur Leichtes im Gepäck. In Sydney scheint doch immer die Sonne. Auch im Winter.

Falsch. Ganz falsch. Der Winter 2007 ist als einer der kältesten und regenreichsten in die Geschichte eingegangen. Von Juni an bis Februar regneten die Wasserspeicher von 30 Prozent auf 70 Prozent voll. Die Zeitungen berichteten über Erdrutsche, Überschwemmungen, Vermisste und Gestrandete. Beilagen machten Werbung für Gummistiefel. Dazu fiel das Thermometer auf unter fünf Grad ab. Jetzt die Heizung einschalten. Aber es gibt gar keine Heizung, auch keine doppelten Fensterscheiben oder isolierte Außenwände, denn die Häuser in Sydney sind leicht gebaut. Viele Sydneysider drehten deshalb die Klimaanlage voll auf, um die Stube einzuheißen. Das hielten aber die Stromnetze nicht aus und legten einige Stadtteile über Stunden lahm.

Und der Sommer, der folgte, war nicht besser. Am Ende haben Sydneysider gesagt: "Das war der Schlimmste seit 25 Jahren!" Denn nur wenige Tage schien die Sonne heißer als 30 Grad. Aber für den Nordeuropäer fühlte sich selbst dieser Sommer noch warm an, denn an den "kälteren" Tage mit 25 Grad fühlte er sich gerade wohl.

Deshalb war das schlechtere Wetter natürlich kein Grund, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Das Gefühl der Fremde ist nicht nur geblieben, es ist von Tag zu Tag stärker geworden. Man kann sich in Sydney wohlfühlen, aber nicht heimisch. Und deshalb hieß es nach einem Jahr: Strandmatte einrollen, Sand von der Haut klopfen und mit voller Kraft zurück ins alte Leben.

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