Mountainbiken im Erzgebirge:Mit Karacho durch den Finsterwald

Mountainbiken im Erzgebirge: Hallo schöner Fliegenpilz, servus kleine Heidelbeere, autsch, verdammte Riesenwurzel! Die Trails am Rabenberg haben es in sich.

Hallo schöner Fliegenpilz, servus kleine Heidelbeere, autsch, verdammte Riesenwurzel! Die Trails am Rabenberg haben es in sich.

(Foto: TV Erzgebirge)

Der "Stoneman Miriquidi" im Erzgebirge ist ein Mountainbike-Kurs mit 4400 Höhenmetern und neun Gipfeln, der den Biker zum ehrgeizigen Sammler macht.

Von Dominik Prantl

Bevor es nun gleich den nächsten Wurzelpfad hinabgeht, mit Karacho bei 5,4 Grad Celsius und leichtem Regen, dem Ex-Profi hinterher, wollen wir sicherheitshalber eines schon einmal festhalten: Das Erzgebirge ist eine verdammt schöne Mountainbike-Region mit Basaltsäulen, skandinavisch anmutenden Landschaften, und auf jedem der weitläufigen Gipfel steht ein Turm samt Wirtshaus im Wald. Dass Radfahren auch auf kleineren Bergen nördlich der Donau möglich ist, vergisst der im Alpenraum sozialisierte Mountainbiker nämlich gerne. Roland Stauder ging es da nicht so viel anders: "Als ich das erste Mal hier war, habe ich mich schon gewundert, ob das wirklich gutgeht."

Die Berge, die bei Stauder vor der Haustüre stehen, sind schließlich so ganz anders. Steiler, steiniger, weniger hügelig, Mountains für Mountainbiker halt. Roland Stauder ist aus Sexten in den Dolomiten. Er war einer der ersten zwei Sextener, die in den Achtzigerjahren ein Mountainbike besaßen; bis 2009 verdiente er sein Geld als Profi-Mountainbiker. Er gewann den Gesamtweltcup und stand als Athlet bei Red Bull unter Vertrag, was heutzutage meist mehr über Professionalität aussagt als jeder Titel. Er ist außerdem ein ruhiger, unaufdringlicher und - nach allem, was sich nach zwei Tagen in seinem Windschatten feststellen lässt - sehr bescheidener Mensch. Außerdem kann er sehr viel mehr essen, als es seine Statur vermuten lässt.

Was für das Erzgebirge aber viel wichtiger ist: Gegen Ende seiner Karriere hatte Stauder die Idee von einem Mountainbike-Projekt namens Stoneman. Nun, Ideen verlaufen im Tourismus oft im Sand, weil der Fremdenverkehr in den Bergen häufig von gierigen Seilbahnbetreibern und etablierten Hoteliers bestimmt wird, doch Stauder setzte seine Idee vom Stoneman tatsächlich um. Zuerst 2010 in seiner Heimat Sexten mit dem Stoneman Dolomiti, 2014 dann mit dem Stoneman Miriquidi im Erzgebirge. Miriquidi ist ein altes Wort und heißt so viel wie: Finsterwald.

Aber jetzt erst einmal hinab, mit Karacho durch den Miriquidi. Hallo schöner Fliegenpilz, servus kleine Heidelbeere, autsch, verdammte Riesenwurzel! Vorne gleitet Stauder über Stock und Stein und Schlaglöcher wie ein Windsurfer über kleine Wellen, was sicher an seinem vollgefederten Profi-Rad liegt. Wir rumpeln als hasardierende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Orthopäden hinterher. Unten hat es 7,5 Grad. Der Regen hat aufgehört.

Mit Rekorden kennen sie sich aus im Erzgebirge: Hier trainiert die Wintersport-Elite

Stauder mag wunderbar Rad fahren, er hat aber auch eines begriffen: Der Mensch hat es eigentlich nie so richtig über den Zustand des Jägers und Sammlers hinaus geschafft, auch und erst recht nicht der Outdoorsportler. Stauders Konzept des Stoneman fußt auf diesem Sammlerprinzip. Der Kurs des Miriquidi zum Beispiel erstreckt sich über offiziell 162 Kilometer, 4400 Höhenmeter und neun Gipfel in Deutschland und Tschechien. Auf jedem dieser neun Berge zwischen 807 und 1244 Metern Höhe gibt es eine Stempelstelle, um einen entsprechenden Pass zu verzieren. Wer den Parcours innerhalb eines Tages schafft, erhält als Trophäe einen goldenen Stein aus Gneis, wer zwei Tage benötigt, erhält einen silbernen, und die Dreitagesvariante bringt immerhin Bronze. Da es inzwischen außerdem weitere Rundkurse für Rennradfahrer und Wanderer gibt, dazu eben in diversen Ländern, können die verschiedenfarbigen Steine aus Gneis, Kalk oder Granit auf einem Sockel zu einem Steinmann, einem Stoneman eben, zusammengeschraubt werden. Bei manchem Sammler reicht ein Sockel gar nicht mehr aus. Der Rekord liegt bei 25 Steinen.

Dabei muss ein einziger silberner Stein aus dem Erzgebirge schon hart erarbeitet werden. Zwar verteilen sich die 4400 Höhenmeter, doch darf man sich sicher sein, dass nach jeder Abfahrt wieder ein Anstieg kommt. Und so kurbeln und gleiten und rumpeln wir dahin, immer den gelben Schildern nach, über mal sanft, mal weniger sanft abfallende Steige; passieren Wald, Wiesen und Wintersportanlagen. Letztere entpuppen sich mehr noch als der geschichtlich wichtige Bergbau auch im Sommer und Herbst als eines der Leitmotive der Tour. Es geht vorbei an etlichen Skisprungschanzen, über Langlaufloipen und Pisten; sogar die steinerne Rinne einer ehemaligen Natureisbobbahn bildet das Terrain einer kraftraubenden Auffahrt. Immerhin kommt die Sonne zum Vorschein. Zehn Grad, Tagesrekord!

Mit Rekorden kennen sie sich aus im Erzgebirge, vor allem in Oberwiesenthal, wo an der Eliteschule des Wintersports noch immer die Langläufer und Skispringer auf Olympiasiege hintrainiert werden. Es war auch ein Oberwiesenthaler, der Stauder ins Erzgebirge holte. Stauder kann sich noch wunderbar erinnern, wie Lutz Heinrich, einst kurz Bürgermeister in dem Ort und auch sonst ein wilder Hund, während einer Messe auf den Südtiroler zukam und fragte: "Und was können Sie Gutes für mich tun?" Es war wohl als Witz gemeint.

Inzwischen darf man gespannt sein, ob die Erzgebirgler dem Südtiroler bald ein Denkmal auf einem der neun Stoneman-Gipfel setzen oder ihn doch nur zum Oberwiesenthaler Ehrenbürger berufen. Nach zähem Start versuchten sich 2016 bereits 3689 Fahrer am Stoneman, die dem Mittelgebirge etwa 1,35 Millionen Euro Umsatz gebracht haben sollen. 2017 ist dieser Wert schon erreicht. In Stauders Heimat Sexten, wo das touristische Angebot um einiges vielfältiger ist, absolvieren nur etwa halb so viele Fahrer die Dolomiten-Runde.

Für eine Region wie das Erzgebirge, die seit Jahren unter Abwanderung leidet, sind 4000 Gäste eine Menge, vor allem, wenn diese im Schnitt mehr als drei Nächte bleiben. Fragt man Steffen Großer vom Stoneman-Partnerbetrieb Hotel Alte Schleiferei, so führt der schon jede zehnte Sommer-übernachtung auf Stoneman-Gäste zurück. Fragt man die Tourismuschefin der Region, Veronika Hiebl, hört man, dass es selten ein Projekt gegeben habe, bei dem die Einheimischen so an einem Strang zogen. Fragt man den auf Hotelbetreiber umgesattelten Mehrfach-Olympiasieger Jens Weißflog, so glaubt man, dass "der Roland" mindestens mehrfacher Olympiasieger in Regionalförderung ist. Zumindest als "Leuchtturm der Tourismuswirtschaft" wurde der Stoneman Miriquidi auf der ITB 2017 in Berlin schon einmal ausgezeichnet. Roland Stauder erinnert sich noch gut daran: "Da saßen 800 Leute, alle im Anzug. Ich in meinem Kapuzenpulli und der orangen Hose hab ausgschaut wie a Kasperl."

Es ist tatsächlich so: Die Schleife des Stoneman Miriquidi führt nicht nur über neun Gipfel, auf Asphalt, Forstwegen und Wurzelpfaden, durch Wälder und Wiesen. Er gibt dem Radfahrer auch eine Ahnung davon, was ein einzelnes Projekt an der Basis bewegen kann. So passiert der Sportler zwischen Pöhlberg und Scheibenberg beispielsweise eine Apfel-Tankstelle, die eine Mosterei eigens am Gartenzaun angebracht hat. Sich einen Becher frisch gepressten Saft zu zapfen, kostet 50 Cent. Nur wenige Kilometer weiter werden Mountainbiker per Hinweistafel explizit in eine Gartenlaube eingeladen. Darin ein Kühlschrank mit Cola, alkoholfreiem Bier, Schokoriegeln und Honig aus der Region, auf dem Kühlschrank eine Box mit der Aufschrift "Kasse des Vertrauens". Wenn Stauder auf eine Cola stehen bleibt, gibt es Radfahrer, die ihn zu einem Selfie bitten. Stauder sagt nie Nein und blickt immer ein wenig drein, als wäre es ihm peinlich.

Mittlerweile kann der Ex-Profi von der Marke Stoneman leben - und will weiter expandieren. Kürzlich hat er den Stoneman Glaciara am Aletschgletscher in der Schweiz eingeweiht. Neben den Themen Wald, Eis und Stein kommen nächstes Jahr mit Flachau in Österreich noch mehr Almen ins Programm. Stauder hat bereits eine Route für Belgien im Kopf, träumt von einem kulinarischen Kurs in der Provence und einem mit Meerblick auf Sardinien.

Sardinien hin, Belgien her. Selbst für den Hobby-Mountainbiker ohne Sammler-Gen ist es jedenfalls so: Hat er den ersten Erzgebirgs-Stein in Silber auf den Sockel geschraubt, fällt auf, dass da schon noch ganz schön viel Platz wäre.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Reiseinformationen

Anreise: Der Stoneman Miriquidi kann als Rundkurs theoretisch an allen Streckenorten gestartet werden. Viele Partnerbetriebe, die u.a. einen Gepäcktransport anbieten, finden sich in Oberwiesenthal.

Unterkünfte: Zu den Partnerbetrieben zählt das Jens Weißflog Appartementhotel in Oberwiesenthal, www.jens-weissflog.de, Tel: 03 73 48/100. Auf halber Strecke des Kurses ist dann das Hotel Alte Schleiferei in Breitenbrunn zu empfehlen, www.hotel-alte-schleiferei.de, Tel: 037 73/880 50; ÜN im DZ mit Frühstück jeweils ab circa 45 Euro pro Person.

Geführte Tour: Am 6./7. Oktober findet eine von Initiator Roland Stauder geführte Zweitages-Tour statt.

Weitere Auskünfte: Tourismusverband Erzgebirge, www.erzgebirge-tourismus.de, www.stoneman-miriquidi.com, Tel: 037 33/188 00 88.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: