Mountainbike:Kanarische Kombination

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Schlemmen und Strampeln - mit dem Mountainbike durch die verschiedenen Welten Gran Canarias

Michael Ruhland

Natürlich hat sich Pepe längst auf die Sorte von Touristen eingestellt, die nichts, aber auch gar nichts, vom Klima der Insel verstehen. "Hay Lumumba. Enjoy a hot drink. Kommen Sie!", preist er aus seinem Kiosk heraus die kräftige Mischung aus heißer Schokolade und Rum an, als vier mit Shorts und Polohemden bekleidete Urlauber aus einem Opel Corsa aussteigen und in eine Art Schockstarre verfallen.

Mountainbike
:Radeln und Relaxen auf Gran Canaria

Das Wetter hat sich gedreht in der Nacht, es peitscht ein scharfer Wind aus Westen über den Pico de las Nieves, den mit 1949 Metern höchsten Punkt Gran Canarias. Wolkenfetzen fliegen über die Bergflanken, manche hinterlassen einen feinen, kalten Sprühregen. Gerade einmal zehn Grad zeigt das Thermometer an diesem Mittag. Wer vom Badeort Maspalomas im Süden der Insel vor ein paar Stunden gestartet ist, mag dort noch angenehme 25 Grad gehabt haben.

Als Mountainbiker ist man zwar auf Regenschauer eingestellt und besser ausgerüstet als die Flip-Flop-Bermuda-Strand-Fraktion. Doch das hier ist etwas für Hartgesottene. Die lange Radlhose ist klamm, die Goretex-Jacke innen feucht vom Schwitzen, und kalte Schauer jagen über den Rücken. Lumumba hilft; und außerdem das erhebende Gefühl, sich den Gipfel selbst erstrampelt zu haben.

Eigentlich sagt ja der Name Pico de las Nieves, Schneegipfel, schon alles. Früher schaufelten die Einheimischen im Winter den meist nassen Schnee in ein eigens dafür gemauertes, breites Becken, auf dass sich die Massen zu Eis verdichteten. Das wurde für therapeutische Zwecke eingesetzt, später auch bis in die tiefen Täler gekarrt und verkauft. Pepes Kioskwagen, in dem er auch schläft, steht kaum 500 Meter entfernt von diesem "Pozo de las Nieves".

Heute ist der Schneebrunnen eine kleine Touristenattraktion, wie der Kioskbetreiber selbst auch. Der hagere Mann mit dem sonnengegerbten Gesicht, aus dem eine Nase wie ein imposanter Felsüberhang herausragt, kann mit Fug und Recht behaupten, den Arbeitsplatz mit der schönsten Aussicht der Insel zu haben.

Ungefragt holt der Geschäftemacher Pepe seine drei Kameras aus dem Regal. Während er am Display grandiose Sonnenuntergänge mit dem Teide, dem 3718 Meter hohen Vulkan auf der Nachbarinsel Teneriffa, aufruft, erzählt er von seiner wahren Leidenschaft, dem Fotografieren. Ohne Zweifel, der Mann hat Talent.

Er quittiert das Lob mit einem froschmaulbreiten Grinsen, und weil spätestens jetzt das Eis gebrochen ist, verrät er, was er noch so macht hier am zugigsten Platz Gran Canarias. "Soy el vigilante", ruft er in die Windböe. Der Aufpasser sei er, und er schickt ein diabolisches Lachen hinterher. Aufpasser?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, worauf Pepe aufpasst und welche Schätze die Insel in ihrer Mitte birgt.

Er kriege mit, wenn sich Soldaten nachts aus der nahe gelegenen Radarstation schleichen, um in eine Kneipe zu fahren. Oder wenn Jäger sich nicht an die Jagdtage halten. Dann sei eine multa, eine Strafe, fällig.

Der sympathische, ein wenig aufschneiderische und schwer zu fassende Pepe ist ein Sinnbild für die Insel. Wie auch die genießerische María. Sie begleitet normalerweise ziemlich betagte Engländer und Deutsche - viele davon mit Alterswohnsitz auf der Insel - im Bus zu den Sehenswürdigkeiten.

Es kam auch schon vor, erzählt sie, dass einer in der Gruppe das Ende der Reise nicht erlebte. In solchen Fällen kümmert sich María dann um alle Formalitäten, organisiert, falls gewünscht, die Beerdigung.

Und nun also zwei Mountainbiker. Ob sie denn selbst viel in den Bergen unterwegs sei? "Dios Mio", du meine Güte, sagt sie. Radeln sei viel zu anstrengend, und dann noch bergauf! Die junge Frau hält Sport und Reisen zwar für eine komische Kombination, aber sie erklärt beim Mittagessen mit mütterlicher Fürsorge auf der Karte die Lage der gebuchten Landhotels, preist deren Qualität und schlägt - "die Tour ist doch sonst viel zu anstrengend" - die eine oder andere Abkürzung vor.

Nebenbei ordert sie immer neue landestypische Spezialitäten wie garbanzada, ein Kichererbseneintopf mit Fleisch, Kutteln oder Würstchen, gofio a masado, geröstetes Maismehl, das zu einer Masse verrührt und mit Knoblauchsoße oder gedünstetem Knoblauch gegessen wird, und papas arrugadas, jene landestypischen kleinen Kartoffeln, die mit wenig Meerwasser gekocht werden, bis eine Salzkruste auf der Schale bleibt. Essen sei ihre Leidenschaft, verrät sie und kokettiert damit, dass man ihr das ansehe.

Der Gedanke, dass man die eigenen Fettpolster in dem schmucken Ort Agüimes mit dem liebevoll restaurierten Hotel - ein ehemaliger Kamelstall - vielleicht noch etwas länger hätte anreichern können, lässt sich auch tags darauf nicht abschütteln, vor allem beim ersten Anstieg Richtung San Bartolomé de Tirajana. Mitten hinein in die Berge. Die Landschaft ist wüstenhaft. Feigenkakteen mit ihren stacheligen Ohren säumen den Straßenrand.

Verlockende Gedanken auf dem Anstieg

Die Sonne brennt, jetzt bekommt Marías Geschichte von den Eselsbauchwolken plötzlich etwas sehr Verlockendes: Früher hätten sich die Bauern mittags unter Eselsbäuche gelegt, erzählte sie, um etwas Schatten zu haben. Die Einheimischen gaben dickbauchigen Wolken kurzerhand diesen Namen - und genau die wären jetzt recht.

Andererseits: Die rötlichen, von Höhlen durchsetzten Felswände und die Hänge aus Lavagestein formen sich mit dem tiefblauen Himmel zu einer fast außerirdisch wirkenden Landschaft: eine Mischung aus Mond und Mars.

Die ersten barrancos tun sich auf, steile Schluchten, die das Inselinnere durchziehen wie Adern ein Bananenblatt. Man lernt sie lieben und hassen zugleich. Lieben, weil sie immer wieder grandiose Einblicke in die zerklüftete Vulkanlandschaft gewähren; hassen, weil die Anstiege oft steil sind und es viele Seitenschluchten gibt. Also: rauf, runter, rauf, runter.

Lesen Sie weiter, warum auf Gran Canaria auch die Endorphine in Bewegung kommen.

Doch wenn die Stollenreifen erst einmal auf den meist neu geteerten kleinen Sträßchen surren wie ausschwärmende Bienenvölker und man zwischen herauserodierten Felsendomen und bizarren Gesteinsnadeln hindurchrauscht, dann tanzen auch die Endorphine. Denn Verkehr gibt es im Inselinneren kaum. Da stört es auch nicht mehr, wenn die Route fast nur über Asphalt führt und auch Rennradler begeistern dürfte.

Am Kreuzungspunkt Cruz de Tejeda auf 1510 Metern Höhe in der Inselmitte, wird schlagartig deutlich, welche Welten die Insel vereinigt - oder trennt. Im Süden und Osten karge Gesteinswelten bis hin zu den Dünen von Maspalomas. Im Norden und Westen subtropische Vegetation, hier stauen sich die Passatwolken und tauchen die Landschaft von einer Minute auf die andere in ein Nebelmeer.

Übernachtung in adeligem Ambiente

Wer dann mit dem Fahrrad durch die lichtdurchfluteten Wolken reitet, das gespenstische Wechselspiel von Sonne und Nebel bestaunend, und in der hochherrschaftlichen Finca Las Longueras landet, wird in eine vergangene Zeit katapultiert.

Juan, der Portier, und Manuel und Sebastiana, die beiden alten Hausangestellten, wirken, als hätte die Zeit sie konserviert und sich auf ewig in den Furchen ihrer Gesichter eingebrannt. Im Zimmer liegt ein von der Direktorin persönlich verfasster Willkommensbrief - es sind keine anderen Gäste da.

Hier im Küstenort Agaete schrieb Agatha Christie in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts Miss-Marple-Geschichten. Man kann verstehen, was ihre Phantasie beflügelte. In der Nacht ächzen die Dielen im Flur, die Pendeluhr schlägt Mitternacht, und der Fallwind aus den Bergen säuselt um die gottverlassene Finca. Der Atem stockt. Was sind das für Schritte?

Noch am Gipfel fühlte man sich wie ein Konquistador, stark und unbesiegbar. Jetzt wäre ein vigilante vom Schlage Pepes recht.

Informationen:

Anreise: Hin- und Rückflug mit Air Berlin von München, Frankfurt am Main oder Berlin nach Gran Canaria ab 199 Euro, www.airberlin.com

Unterkunft: Auf Gran Canaria gibt es erstklassige Landhotels. Die Casa de los Camellos in Agüimes bietet hervorragende Küche, www.hecansa.com, Tel.: 0034/928785003; ein kleines Juwel in der Nähe von Agaete ist die Finca Las Longueras, www.laslongueras.com, Tel.: 0034/92889 8145

Weitere Auskünfte: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Tel.: 089/53074611. www.spain.info

Literatur: Henning Schmalfuß, Bike Guide Gran Canaria, Bergverlag Rother, München 2008.

© SZ vom 30.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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