Reisekolumne "Mitten in ...":"Was seid ihr für Menschen?"

Im ach so perfekten Hippiedorf San Pancho kippt die Partystimmung. Beim Prunkschloss Versailles wiederum hat der kleine Jean-Charles auch heute noch Manieren.

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Mitten in Frankreich

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Versailles

Frühlingsspaziergang in einem Wald nahe Versailles. Das ist die Stadt mit dem Prunkschloss von Sonnenkönig Ludwig XIV. Mit den breiten Alleen wirkt Versailles wie die Kulisse eines Historienfilms. Sogar Royalisten soll es hier noch geben. Und im Wald? Da wimmelt es vor Pfadfindergruppen. Zwischendrin ein älteres Ehepaar im Barbour-Look. Vor der Frau stehen vier Kinder aufgereiht, die Enkel. "Wie oft habe ich Dir gesagt, Du sollst nicht in die Pfützen springen, Jean-Charles?", schimpft die Großmutter. Die Hose des Jungen ist eingesaut. Er schaut betreten zu Boden, dann sagt er: "Entschuldigen Sie bitte. Ich wollte Ihnen keinen Kummer bereiten, grand-maman." Hat der Junge wirklich "Sie" zu seiner Oma gesagt? Ja. Wenn jetzt gleich Ludwig XIV. durch den Wald angeritten käme, man dürfte sich nicht wundern. Wie im Historienfilm - nur in echt.

Leo Klimm

SZ vom 29. März 2018

Mitten in: San Pancho

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... San Pancho

Eigentlich dürfte man hier nie wieder weg. Diese mächtigen Wellen, diese Pelikane, dieser Frieden. Auf den Dächern von San Pancho an der mexikanischen Pazifikküste campen Hippies, die wie nachlässige Hipster aussehen. Auf der Straße spielt eine Band, Freundinnen bleiben stehen und tanzen, barfuß. Schuhe scheinen hier ohnehin verpönt zu sein. Ach, was will man schon in Deutschland außer arbeiten und frieren? Am Abend aber feiert das ganze Dorf eine Strandparty. Kinder, Hunde, Eltern, Verrückte. Ein Rentner aus Kanada verteilt Joints, eine Frau schreit: "Ich liebe mein Leben." Und dann baut sich ein alkoholisierter Mann mit Jesusbart und Blümchenhemd vor einem auf: "Was seid ihr für Menschen, dass ihr euren Hund an die Leine nehmt? Leben wir nicht alle in einer freien Welt?" Es wird Zeit, nach Hause zu fahren.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 29. März 2018

Mitten in: München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Es ist ein kalter Tag, der Feierabend immerhin schon in Reichweite. Noch schnell beim Gemüseständchen anhalten, eine Avocado kaufen. Der Gemüsestand scheint verwaist. "Hallo?" - in der Ecke des Standes regt sich etwas. "Ach, da sind Sie, ich möchte bitte eine Avocado." Da kauert ein alter Mann auf einem Stuhl, den Kopf sehr weit vorn über gebeugt. "Geht es Ihnen nicht gut?" Keine Reaktion. "Kann ich Ihnen helfen?" Immer noch nichts, nur ein leichtes Zucken. Verdammt, der hat einen Schlaganfall. Panik. Lieber erst laut um Hilfe rufen oder gleich einen Krankenwagen alarmieren? Der Feierabend, die Avocado, ach! Ein letzter verzweifelter Versuch: "Machen Sie sich keine Sorgen, ich rufe jetzt einen Arzt!" Da erhebt sich der Mann in Zeitlupe, lächelt einen milde an und sagt dann: "Entschuldigen Sie bitte. Ich habe gebetet."

Christiane Lutz

SZ vom 29. März 2018

Mitten in: Zürich, Die Schweiz

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Zürich

Ein Büro in der Zürcher Langstrasse? Was früher undenkbar war, (Rotlichtmilieu!) ist heute wahnsinnig hip. Gentrifizierung sei Dank. Trotzdem, die Straße bleibt für Schweizer Verhältnisse ein wildes Pflaster. Der Hauseingang zum hippen Büro? Hat den Fehler, dass er schlecht einzusehen ist. An einem grauen Mittwochmorgen wartet hier ein Mann mit Kapuzenjacke auf Kundschaft. Er ist, wie man so sagt, selbst sein bester Kunde und braucht entsprechend lange, um die Tütchen aus der Innentasche seiner Jacke zu wühlen. Ob man mal vorbeikönne? Der Dealer schaut verärgert, sein Kunde auch. Langsam wandert der Blick zum Haustürschlüssel, dann zum Schloss, irgendwas rastet ein. "Sorry, sorry, hey, tut mir leid", macht er den Weg zur Tür frei, ein freundliches Winken, man wünscht sich einen schönen Tag. Hach, die Schweizer.

Charlotte Theile

SZ vom 23. März 2018

Mitten in: Melaque

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Melaque

Sie sagen, dass er alles heilen kann. Kaputte Knie, verdrehte Wirbelsäulen, geschundene Rücken. Sie sagen, dass man vergisst, was Schmerzen sind, wenn man einmal bei ihm war. Der Mann soll irgendwo die Straße runter wohnen, in Melaque, einem kleinen Ort im Westen Mexikos. Im Wartezimmer riecht es nach Staub und Schweiß, aus dem Inneren der Praxis dringen Schreie. Ich will schon wieder gehen, also rennen, da steht er vor mir. Zieht mich in ein Zimmer, wirft mich auf eine Matte, lacht, drückt auf den Oberschenkel, ich schreie, er drückt seine Finger in den Bauch, ich lache. Er zieht an meinem Bein, ich weine. Flehe ihn an, mich gehen zu lassen. Als er fertig ist, drückt er mir einen Kuss auf die Stirn, er sagt: "Sie sperren sich gegen Veränderung, das geht auf die Hüfte." Am nächsten Tag tat das Bein übrigens wieder weh.

Friederike Zoe Grasshoff

SZ vom 23. März 2018

Mitten in: Düsseldorf

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Düsseldorf

Montagmorgen, eine Menschenmenge friert an der Tram-Station des Düsseldorfer Hauptbahnhofs. Keine Straßenbahn. Die Digitalanzeige informiert, alle Schienenräder stünden still wegen eines Polizeieinsatzes im Regierungsviertel der NRW-Landeshauptstadt. "Schon wieder die verdammten Kurden", schimpft ein Fahrgast im Anorak, "die haben gestern schon die Gleise blockiert." Der Mann stapft hin und her, zetert über "all die Ausländer" und "die Flüchtlinge, die nur Ärger machen". Bis ein Passant die Tirade unterbricht. Grund für die Sperrung sei ein Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Landtag, und der sei, weil in Detmold geboren, ja wohl ein Landeskind. Dem Wüterich ist's egal, er wechselt flink sein Feindbild: "Typisch Politiker. Erst Fahrverbote für meinen Diesel, und jetzt für meine Bahn."

Christian Wernicke

SZ vom 23. März 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Essenszeit in einem dieser Läden mit Industrieschick, viel Veganem auf der Karte, und die Gäste kommen von überall auf der Welt. Das Menü kostet 11, 80 Euro, man überreicht dem jungen Mann hinterm Tresen 13 Euro und sagt: "Stimmt so." Der junge Mann nimmt das Geld, guckt auf den Zehn-Euro-Schein und die Münzen, blickt in die offene Kasse und auf das Glas mit dem Trinkgeld daneben. Immer wieder nimmt er ein paar Münzen aus der Kasse, legt sie wieder zurück und guckt dann wieder sehr lange auf das Geld. Was wohl das Problem ist? Versteht er nur Englisch, hat er eine Rechenschwäche, stimmt mit dem Geld etwas nicht? Nach vielen sehr langen und quälenden Momenten steckt er die 13 Euro in die Kasse, lässt einen Euro und 20 Cent in das Glas mit dem Trinkgeld fallen und guckt seine Gäste treuherzig an. "Ich bin einfach noch nicht lange wach." Was man eben für Gründe hat, in Berlin-Mitte um 13 Uhr.

Verena Mayer

SZ vom 16. März 2018

Mitten in Kreuth

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Kreuth

Was für ein Pech, dass das Auto nicht ansprang. Was für ein Glück, dass man vor wenigen Wochen einen Schutzbrief abgeschlossen hatte. Also Versicherung angerufen. Versicherung sagte: Klaro, wir schicken den Pannendienst, kann aber eine Dreiviertelstunde dauern. Es war später Nachmittag, man stand auf dem Parkplatz eines Skilifts. Nach einer Stunde Warten war es dunkel und kalt, aber niemand da. Nach zwei Stunden war auch sonst niemand mehr da, der Parkplatz verlassen - und der Handy-Akku beinahe leer. Da, ein Auto! Es fuhr im Schritttempo den Parkplatz ab - und wieder weg. Anruf bei der Versicherung: Bitte halten Sie dieses Auto auf! Handy-Akku noch beinaher leer. Versicherung rief zurück. Dame sagte: "Alles im grünen Bereich! Das war nicht der Pannendienst. Der fährt jetzt los und ist in eineinhalb Stunden bei Ihnen." Seitdem fragt man sich, was in Schulungsunterlagen von Callcentern alles unter dem Schlagwort "grüner Bereich" steht.

Marc Schürmann

SZ vom 16. März 2018

mitten in münchen

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

In der S-Bahn unterhalten sich ein Punk und zwei Begleiter. Er sei einmal komplett nackt Zug gefahren, erzählt der Punk. Einige Fahrgäste blicken kurz von ihren Smartphones auf. "Aber nicht allein, eine Freundin von mir war auch nackt, noch ein Freund auch." Auf den Gesichtern der Fahrgäste breitet sich Erstaunen aus, während sie gleichzeitig unbeteiligt tun. Einer der zwei Kumpels erkundigt sich nach dem Grund. "Keine Ahnung, wir waren alle voll. Wir sind zu einem Sommerfestival gefahren." Der andere Kumpel hakt nach: "Und was haben die Leute im Zug gesagt?" "Es gab keine! Der ganze Zug war voll mit nackten Punks, die aufs Festival wollten. Normale Leute haben sich gar nicht erst getraut einzusteigen." Im Waggon herrscht Stille. Der kollektive Gedanke lautet wahrscheinlich: Glück gehabt, dass gerade Winter ist.

Cristina Marina

SZ vom 16. März 2018

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Straßburg

An der Grand'Rue steigt ein Mann mit Ziehharmonika in die Straßenbahn und sagt: "Bonjour messieurs dames." Jeder weiß, was jetzt kommt, also schauen die meisten noch angestrengter auf ihr Smartphone. Kennt man ja: Belästigt die Fahrgäste und will dann auch noch Kleingeld dafür. Also bloß nicht so tun, als würde einem das gefallen. Nur: Diesmal hilft das nichts. Die Tram zuckelt durch das Quartier Petite France, und der Mann mit der Ziehharmonika hört einfach nicht auf zu spielen. Was nicht unbedingt schlimm ist, denn er musiziert richtig gut. Spätestens an der vierten Haltestelle unterhält er die morgendliche Tram-Tristesse prächtig. Und so ertappt man den ein oder anderen dabei, wie er in seiner Jackentasche kramt oder nur kurz aufblickt, für einen Moment aus seinem smartphonegesteuerten Alltag ausbricht - und lächelt.

Alexander Mühlauer

SZ vom 9. März 2018

Mitten in ..... Havanna,  Autorin Beate Wild

Quelle: SZ

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Mitten in ... Havanna

Die schicken Restaurants in der Altstadt von Havanna können sich auch 60 Jahre nach dem Sieg der kubanischen Revolution nur Touristen aus dem kapitalistischen Ausland leisten. Also lieber auf in die "Fábrica de Arte", eine ehemalige Fabrik am Stadtrand, um mit den Einheimischen zu feiern. Der Gast wandelt auf dem weitläufigen Kulturgelände mit einem Cuba Libre in der Hand zwischen Kunstausstellungen, Konzertbühnen, Pop-up-Shops lokaler Designer, einem Restaurant und mehreren Bars. Die karibische Live-Band ist hervorragend, doch es tanzen nur wenige Leute. Dann kommt der DJ - und unverhofft amerikanischer Hip-Hop auf den Plattenteller. Und plötzlich ist die Tanzfläche brechend voll. Alle hüpfen, lachen und singen textsicher mit - fast so, als wäre man in einem dekadenten Club in Miami. Fidel würde sich wohl im Grab umdrehen.

Beate Wild

SZ vom 9. März 2018

Mitten in St. Moritz

Quelle: SZ

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Mitten in ... St. Moritz

Skiliftfahren in St. Moritz gewährt so manchen Einblick in das Leben derer, die es sich leisten können. Während andere sich beim Anstehen die Füße abfrieren, schwärmt ein Herr von seinen Luxus-Skisocken, mit Silberfäden, extrawarm und geruchsneutral. Oder dieses Pärchen, das sich in der Standseilbahn über die Kaviar-Karte im Club an der Mittelstation auslässt. Im Sessellift auf die Corviglia sitzt ein achtjähriges Mädchen, nebst Privatskilehrerin. Das Kind sagt: "Liftfahren ist langweilig." Autofahren auch, vor allem zur Schule. "Bringen deine Eltern dich jeden Tag?", will die Skilehrerin wissen. "Mein Kindermädchen. Meine Eltern sind für so was viel zu faul." Im Kopf tauchen Bilder auf: wie die Mutter sich die Nägel machen lässt, während der Vater das Champagnerfrühstück genießt. "Zu faul?", fragt die Lehrerin. Das Mädchen sagt: "Ja, die arbeiten lieber."

Nadeschda Scharfenberg

SZ vom 9. März 2018

Mitten in Wien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wien

Mein liebes Schweizer Messer! Irgendwie ist es in den Rucksack gerutscht. Und natürlich hat es der Screener am Brüsseler Flughafen entdeckt. Dann die Überraschung: Der Sicherheitsmensch misst die Klinge. Keine sechs Zentimeter. Das Ding darf im Handgepäck mitfliegen. Alles gut. Mich in Sicherheit wähnend, lasse ich das Messer auf dem Rückflug aus Bulgarien im Rucksack. Bei der Kontrolle in Sofia entdecken sie es nicht. Aber in Wien, beim Umsteigen. Wieder wird gemessen, diesmal inklusive Klingenansatz. 6,3 Zentimeter. Wir schicken Ihnen das Messer nach Hause, sagt der Typ am Band. Kostet 20 Euro. Sonst müssen Sie beide hier bleiben. Fluchend trenne ich mich von Victorinox und hadere mit dem Schicksal dieser Schweizer Allzweckwaffe: so universell und doch so unbrauchbar in der globalisierten Welt.

Thomas Kirchner

SZ vom 2. März 2018

Mittelmeer

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Barcelona

Schlafen im Pullmannsessel? Die Frau am Ticketschalter schaut, als ob sie die Frage für dämlich hielte. "Natürlich geht das." Also dann, bitte ein Ticket von Barcelona nach Genua, 55 Euro für 19 Stunden auf der Autofähre Fantastic. Eine Kreuzfahrt für Sparsame. Um 23 Uhr schließt sich die Heckklappe, es gibt kein Entrinnen mehr. Gleich am Eingang pennt einer im Kapuzenhemd inmitten von Müll. Das Schiff kommt aus Tanger in Marokko, und die Passagiere haben es sich gemütlich gemacht. Im Salon "Raffaello" mit den Pullmannsesseln schreien Frauen und Kinder durcheinander, in der Toilette schwappt Flüssigkeit von einer Ecke zur anderen - ein Zeichen für raue See. Gute Nacht! Stöpsel in die Ohren, Embryohaltung auf zwei Sitzen einnehmen - so hat das schon damals auf Interrail funktioniert. Und die Frau hatte recht: Ein müder Mensch schläft überall.

Sebastian Beck

SZ vom 2. März 2018

Mitten in München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Meine Ansprüche an einen Friseur sind nicht hoch. Er soll mir halt die Haare schneiden, und zwar ohne zu schwafeln. Wenn die Prozedur 20 Minuten dauert und zwölf Euro kostet, erscheint mir das ideal - der goldene Schnitt. Deshalb suche ich gerne Schnell-Schneide-Salons in Hauptbahnhofnähe auf, sie heißen "Haar Ekspres", "Super Cut", "Deniz" oder "Dilek". Die Friseure kommen aus der Türkei, Syrien oder Albanien, viele von ihnen sprechen kein Deutsch, was mir sehr recht ist. Wo gerade ein Platz frei ist, lasse ich mich scheren. Manchmal gerate ich in Läden, die ich noch nicht kenne. "Wie immer?", fragt mich der Friseur, als wäre ich seit Jahren Stammkunde. "Keine Ahnung, ich bin zum ersten Mal da!", antworte ich, nun doch leicht verunsichert. "Egal, mach' ich trotzdem wie immer." Genau so muss ein Friseur aus meiner Sicht arbeiten.

Titus Arnu

SZ vom 2. März 2018

Mitten in Diedersdorf Variante 2

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Diedersdorf

Wir nannten ihn Hallo, denn mit einem "Hallo!" begrüßte er uns zuverlässig. Immer wenn wir in der Dorfwirtschaft von Diedersdorf an der B1 zwischen Berlin und Küstrin einkehrten, war er da: "Hallo!" Der B1 merkt man an, dass sie einst zwischen Aachen und Königsberg verlief, hier peitscht der Wind der Ferne. Hier hält der Radfahrer nur zur Not. Leer war es meistens, ungastlich. Aber ein "Hallo!" gab es immer. Nicht vom Wirt, bewahre. Der Ruf kam aus einem Vogelkäfig, von einem Papagei. Gelernt hatte er sein Wort wohl nur, weil der Wirt immer lang gerufen werden musste. Nun der Schreck: Wir radeln wieder vorbei in Diedersdorf, es ist Winter, wir brauchen eine Suppe. Aber kein "Hallo!" begrüßt uns. Ach - der Papagei musste umziehen, er ging nach einer Scheidung fort mit Herrchen. Die Wirtin ist äußerst freundlich und sofort da.

Gustav Seibt

SZ vom 23. Februar 2018

Mitten in . . . Rom

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rom

Frühstück im "Sette Grammi", einer Bar an der Piazza Cairoli in Rom. Studenten der Tourismusschule rauchen draußen unter den Heizstrahlern, auch Mitarbeiter des Justizministeriums sind anwesend, Carabinieri, ältere Herrschaften nach der Bettflucht. Manche sind wegen des Personals da: Vier der sechs Barleute sind Frauen, alle jung und forsch, sie lächeln schon um sieben Uhr. Der Ristretto im Glas läuft. 30 Sekunden, dann steht er auf der Theke neben dem Behälter für das Trinkgeld - eigentlich ein Blumenkasten, halb gefüllt mit Münzen. Daran klebt ein Schild: "Mit dem Trinkgeld lassen sich die Barfrauen die Brüste machen." Stand schon lange vor #MeToo da. Kein Morgen ohne Kommentare. Die Damen lächeln immer und verweisen auf den Zusatz, klein und in Klammern: ". . . und die Barmänner auch." Frühstückshumor, wie Gebäck von gestern.

Oliver Meiler

SZ vom 23. Februar 2018

Mitten in Hongkong

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hongkong

Influenza-Alarm in Hongkong. Schulen und Kindergärten sind geschlossen, also nehmen Eltern ihre Jüngsten mit auf spontane Ausflüge. Zum Beispiel auf die Insel Lantau. Die Gondel der Seilbahn schwebt über die Bucht von Tung Chung, wird weitergezogen über die grüne Hügellandschaft. Ein atemberaubendes Panorama über fast sechs Kilometer. Man kommt ins Gespräch mit einer einheimischen Kleinfamilie, fragt die Eltern schließlich, was denn ihr liebster Ort sei in Hongkong. Die Neugierde ist erheblich, jetzt fällt bestimmt der Name eines bezaubernden Fischerdorfes oder eines Strandes auf Lamma. Und wer weiß, vielleicht reicht die Zeit ja, um noch einen goldenen Tipp anzunehmen. Die Frau überlegt kurz, und sagt: "Disneyland!" Aha. "Aber unser Sohn will unbedingt mal auf Lantau. Zu der riesigen Buddha-Statue."

Frank Nienhuysen

SZ vom 23. Februar 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Plötzlich war es weg, das Baby-Schwein. Für die großen Menschen war das nicht weiter tragisch, manchmal geht im Leben eben etwas verloren. Aber für den kleinen Menschen sah die Sache völlig anders aus: In seinem Leben gab es nur ein Baby-Schwein, so ein Lieblingskuscheltier lässt sich nicht einfach ersetzen. Da kann nicht mal die Oma trösten, die dem Bub erzählt, dass das Schwein unterwegs wohl neue Freunde gefunden hat. Zwei Jahre später, das Tier weiter unvergessen, sieht die Mutter auf Facebook ein Foto der Münchner Verkehrsgesellschaft mit der Frage "Wer vermisst ein Kuscheltier?". Auf dem Bild: ein Regal im Fundbüro voller Bären, Hasen, Hunden, Eulen. Dazwischen sitzt das Baby-Schwein, es grinst. Ob es am Ende wirklich das verlorene Schwein war? Völlig egal: Die Freude nach dem Kindergarten ist riesig und die Sau wieder im Stall.

Julia Rothhaas

SZ vom 16. Februar 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Barcelona

Wu Lingling betreibt in Barcelonas Geschäftsviertel, der Eixample, ein Lokal, das heißt auf gut Katalanisch L'Estranya Parella, das fremde Paar. Dabei handelt es sich um Wu Lingling und ihren Mann aus China. Das Lokal ist eine der typischen Eckkneipen, in denen traditionell deftiger Mittagstisch serviert wurde: Bauarbeiterportionen katalanischer Gerichte wie Escalivada (gegrilltes Gemüse), Butifarra (Bratwurst) oder Pollastre (Brathuhn). Dass chinesische Wirte die "Bares de toda la vida" übernehmen, jene Kneipen, denen man ein Leben lang treu bleibt, ist ein Trend in Spanien. Das kann man als Kulturbruch bezeichnen, man kann aber auch locker bleiben und bei Wu Lingling einkehren. Denn sie serviert - wie viele chinesische Neu-Wirte - nicht etwa Peking-Ente, sondern: Escalivada, Butifarra und Pollastre. So, als wäre nichts gewesen.

Sebastian Schoepp

SZ vom 16. Februar 2018

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Ist das nicht fantastisch, dass jetzt sogar die Toiletten in Berliner Kaufhäusern das Sauberkeitsniveau von Schweizer Wellnesshotels erreichen? Da wirft man doch gern schnell mal 'nen Euro ein, eine persönliche Ansprache gibt's gleich dazu: "Herzlich willkommen in unserem Bla-Bla-Bla-Waschraum, wir hoffen, Sie fühlen sich bei uns wohl." Wie nett! Nur: Die freundliche Frauenstimme hört gar nicht mehr auf. "Herzlich willkommen in unserem Bla-Bla-Bla-Waschraum, wir hoffen, Sie fühlen sich ..." Inzwischen: nicht mehr ganz so wohl. Man hätte einfach gern mal einen Moment der Ruhe. "Herzlich willkommen in unserem ..." In der blitzsauberen Toilettentür spiegelt sich ein gequältes Ebenbild. "... fühlen sich bei uns wohl ..." Kurzes Luftschnappen. "Herzlich ..." Bla, bla, bläh. Bitte, liebe Hygienemanager, habt Erbarmen!

Christian Mayer

SZ vom 16. Februar 2018

Mitten in Cuxhaven

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Cuxhaven

Ein Schneeschauer ist niedergegangen. Feuchte Kälte liegt über dem Deich. Auf dem Kopfsteinpflaster bei den Seeterrassen sind im Halbdunkeln zwei ineinander verkeilte Gestalten zu erkennen: eine Dogge und eine Frau. Die Frau ist nicht viel größer als der Hund. Sie hat seinen Hinterkörper umschlungen, um ihm Halt zu geben. Die Dogge selbst blickt mit stummer Verzweiflung ins Winter-Einerlei. Was ist los? "Er rutscht immer aus", sagt die Frau. Der Hund bräuchte Schuhe mit Spikes. Oder Wollsocken. Nichts davon ist greifbar. Dogge und Frau stehen wacklig auf der Stelle. Sie sehen aus wie ein Tanzpaar, das vergeblich auf die nächste Musik wartet. Es ist ein traurig-lustiges Bild. "Zuschauer brauchen wir eigentlich nicht", sagt die Frau. Der Voyeur fühlt sich ertappt. Er geht weiter. Langsam, damit er nicht selbst ausrutscht.

Thomas Hahn

SZ vom 9. Februar 2018

Mitten in Peking

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Peking

Alle Chinesen sehen gleich aus. Oder? Hier ist ein beliebtes Vorurteil der Chinesen über Nicht-Asiaten: Alle Westler sehen gleich aus. Stimmt gar nicht? Eben. Andere Klischees stimmen aber schon. Beispiel: Die erfolgreichsten Kulturexporte des Westens nach China sind nicht iPhone und Pizza, sondern Kenny G und Richard Clayderman. Gestern, in einem Laden: ein Clayderman-Poster. Wow - lebt der noch? Tut er. Tourt gerade durch China. "Romantik und Glorie" versprach das Poster. Die Kassiererin starrte mich an, dann den weißblonden, leicht zerknitterten Engel Richard Clayderman, dann wieder mich. "Ja?", sagte ich. "Der sieht haargenau so aus wie du!", platzte es aus ihr heraus. Ich wäre beinah vom Stuhl gefallen, aber ich stand. "Ha?!?", rief ich. Richard Clayderman ähnelt mir in etwa so, wie er Angela Merkel ähnelt. Moment mal.

Kai Strittmatter

SZ vom 9. Februar 2018

n In Afrika

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Kono

Man weiß schon, dass das ein Fehler ist, als man noch nicht einmal richtig auf dem Motorrad sitzt. Der Fahrer gibt Gas, die Straße ganz im Osten von Sierra Leone wird immer schmaler und ist dann nur noch ein dünner, brauner Strich, der durch den Wald führt. Das chinesische Motorrad hüpft über Felsen und schwimmt durch Bäche, es geht so steil herunter und hinauf, dass der Motor immer wieder abstirbt und man vom Sitz hechten muss. "Sehr gefährlich alles", schreit der Fahrer, für den Fall, dass das seinem Beifahrer entgangen sein könnte. Er nimmt eine Hand vom Lenker, um zu zeigen, wo es vor wenigen Tagen einen tödlichen Unfall gab. Dann gibt er wieder Gas und brüllt durch den Fahrtwind: "Aber wir können sowieso nichts machen, Gott hat es in der Hand, wann es für uns zu Ende ist." Helme sind daher ohnehin überflüssig.

Bernd Dörries​

SZ vom 9. Februar 2018

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