Mitten in ...:Hoch die Tassen, Paul!

In Texas wird das Münchner Oktoberfest etwas eigenwillig interpretiert. In Thailand hingegen lästern leichtgewichtige Masseure hemmungslos über deutsche Kunden mit wirklich nur ganz wenigen Speckröllchen.

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Mitten In: New Braunfels

Quelle: SZ-Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Braunfels

Neulich war wieder Wurstfest in New Braunfels, einer 1845 von Deutschen gegründeten Stadt im Süden von Texas. Es ist eines der bekanntesten deutschen Feste in den USA - auch wenn die Amerikaner deutsches Brauchtum doch sehr eigenwillig interpretieren. Zwei Paulaner-Helle heißen hier zum Beispiel "two cups of Paul". Ausgeschenkt werden sie im 0,33 Liter Plastikbecher für sieben Dollar (was einen Maßpreis von 21 Dollar ergeben würde). Zu essen gibt es "Kraut-N-Taschen", "Tasty German Gyro", "Wurst Taco spicy" und "the German Pizza". Vor der Blaskapelle tanzen Texaner mit Westernstiefel und Cowboyhut zum Bayerischen Defiliermarsch. Zugegeben: Das alles ist relativ weit vom Original entfernt, aber spätestens wenn "In München steht ein Hofbräuhaus" ertönt, ist einer Exil-Bayerin eine ordentliche Portion Heimweh garantiert.

Beate Wild

SZ vom 5. Januar 2018

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Quelle: SZ-Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Krabi

Das neue Jahr war zwölf Stunden alt und ich hatte noch immer keinen vorzeigbaren Vorsatz. "Oooh", machte der Masseur, ein schmächtiger Thai, als ich die Kleider ablegte. Und dann "Hihi", als er begann, meinen Rücken abzutasten. "You eat to much". Erwischt, dachte ich. Jetzt lugte seine Frau hinterm Vorhang hervor. "Fat!" krähte sie begeistert. Hallo!?, dachte ich, fett ist jetzt doch ein wenig übertrieben. "Big! Big!" dröhnte der Masseur, während er mich knetete. "Hoho", stimmte die Frau ein und ahmte dabei die tiefe Stimme eines großen Mannes nach: "Very strong!" Sie und ihr Mann verschluckten sich nun fast vor Lachen. Ich verließ die beiden bar meiner Würde, aber reicher um einen Vorsatz: Nie wieder würde ich die Hilfe Anderer suchen beim Neujahrsvorsatz, schon gar nicht, wenn sie die Hälfte von mir wiegen.

Kai Strittmatter

SZ vom 5. Januar 2018

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Quelle: SZ-Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Garmisch-Partenkirchen

Man gewöhnt sich schön langsam daran, dass sich das Kind furchtbar schnell daran gewöhnt: ans Handy. Dass die Tochter etwa direkt am Fernsehbildschirm das Programm weiterwischen wollte. Dass sie, bevor sie Ziffern kannte, schon Iphone-Codes korrekt eintippte. Dass sie später dem Papa erklärte, ihr Spielzeughandy starte nur noch mithilfe ihres Fingerabdrucks. Das Kind muss mal an die frische Luft!, heißt es zu Recht. Aber als man nach der Wanderung ins Wirtshaus einkehrt, sitzt man doch wieder in der Zeitgeisterbahn: Die Vierjährige bekommt nach dem Essen einen Süßigkeiten-Klassiker geschenkt, und sie bedankt sich fürs "Handy an der Stange". So teilen sich Eltern und Tochter eine Kindheitserinnerung, abgespeichert indes unter verschiedenen Namen: Was uns einst der Traubenzucker-Lutscher war, ist ihr nun der essbare Selfie-Stick.

Martin Wittmann

SZ vom 5. Januar 2017

Mitten in München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Es gibt kaum ein bekannteres Filmkostüm als die weiße Rüstung der Sturmtruppen in der "Krieg der Sterne"-Reihe. Es gibt aber auch kaum ein nutzloseres. Die Rüstung, 18-teilig und aus Plastoidkomposit bestehend, hat in den Filmen noch keinem einzigen Laserschuss wirklich standgehalten. Der Beliebtheit schadet das nicht, wer sich den jüngsten Teil, "Die letzten Jedi", ansieht, tut dies oft in Gesellschaft von aufwendig gerüsteten Fans. Mit einer Selbstsicherheit, als wäre das Multiplex der Todesstern, marschieren die weißen Soldaten in den Saal ein. 152 Minuten später, der Film ist der längste der Saga, stehen die Kostümierten vor dem Kino. Gequälter noch als Prinzessin Leia in den Fängen von Jabba wirken sie. Geklagt wird über die Rüstung, aber nicht über deren Durchlässigkeit. Im Gegenteil: "Ich muss so dringend aufs Klo."

Martin Wittmann

SZ vom 29. Dezember 2017

Mitten in Berlin

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Man soll keine Vorurteile haben, auch nicht über Berlin. Aber wenn sie halt stimmen? Am Ostkreuz in die Ring- S-Bahn umgestiegen und ein Telefonat geführt. Am Ostbahnhof aufgeblickt und gestaunt, warum man plötzlich der einzige Mensch ist, in diesem langen, riesigen Zug. Vorsichtshalber zur Tür gegangen, doch sie ging nicht mehr auf. Die Lautsprecherstimme gehört: "Abfahrt zum Depot." 21 Uhr, draußen alles dunkel, und mit der Abfahrt auch Ende der Innenbeleuchtung. Nach drei, vier Minuten angehalten, irgendwo. Links nur Gleise, rechts nur Gleise. Aber der Lokführer, der seinen Zug entlangläuft! Wie wild gegen die Scheibe geklopft. Vom Lokführer gesehen worden. Der Mann hob die Arme, schaute einen an, zuckte mit den Schultern und ging seines Wegs. Die 110 angerufen. Die funktioniert und hilft, auch in Berlin.

Detlef Esslinger

SZ vom 29. Dezember 2017

Mitten in Rom

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rom

In Rom ist Parken eine Plage - und eine Wissenschaft. Neben den weißen und blauen Parkplätzen in knapper Zahl gibt es viele graue Plätzchen: eigentlich verboten, aber geduldet. Die Polizei ist großzügig, weil sie um den chronischen Mangel an legalen Parkmöglichkeiten weiß. Es gibt diese Plätze sogar auf Gehsteigen, da und dort auch mitten auf der Straße. Kürzlich parkte ich mal wieder unter der Verbotstafel vor einer entweihten Kirche bei uns im Viertel. Doof natürlich, dunkelgrau. Aber was soll man machen, wenn alle, gar alle ordentlichen Plätze schon weg sind? Als ich wieder wegfahren will, stehen da zwei Stadtpolizisten mit Notizbüchlein. Wir grüßen uns freundlich, ich schließe den Wagen auf. Die Beamtin zeigt auf die Verbotstafel. Ich sage: "Ich weiß schon, ich wohne hier." Sie, lächelnd: "Ja dann, schönen Tag!" Süße Grauzone.

Oliver Meiler

SZ vom 29. Dezember 2017

Ruka

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Ruka

Über Ruka in Nordfinnland ist ein früher Winter gekommen. Der Wald liegt unter einer dichten Schneedecke, in der Sonne glitzern die Eiskristalle. Zauberhaft. Der Genuss ist trotzdem beeinträchtigt. Brüllende Motoren stören den Frieden. Arbeiter fahren mit schweren Lastern Schnee aus dem Lager zur Loipe und planieren diesen dort mit Pistenraupen. Ein Fahrzeug nach dem anderen schleppt sich ächzend den steilen Hang hinauf und schüttet den alten Schnee in die frisch verschneiten Hügel. Der Neuschnee reicht eben nicht, um den Touristen schon eine bleibende Langlaufspur bieten zu können. Diese luftverschmutzende Aktion ist eine Idee der örtlichen Wirtschaft. Das Ergebnis sieht irgendwie durchwachsen aus: Den herrlich unbefleckten Winterwald zerschneidet nun ein Band aus bräunlichem Gebrauchtschnee.

Thomas Hahn

SZ vom 22. Dezember 2017

München_illu

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Rio de Janeiro sei oft verdammt anstrengend, erzählt der dort wohnende Kollege, der gerade auf Weihnachtsurlaub in der Heimat ist. In einem Punkt aber sei das Leben dort angenehmer: Die Brasilianer seien so kinderlieb, dass zwei Kinder den Alltag fast einfacher machen. Im Restaurant bekomme man sofort einen Tisch, überall gebe es Express-Schalter für Familien. Mit diesen Worten im Ohr und einem nörgelnden Kind im Wagen betritt man später das adventlich belagerte Postamt, die Schlange der Wartenden faltet sich fünffach. "Haben Sie nur den einen Brief?", fragt eine nette Frau sehr, sehr weit vorne, als wolle sie beweisen, dass sich auch in Deutschland viel verändert hat. Ja, es ist wirklich nur einer, aber der muss als Einschreiben mit. "Dann ist die Warterei ja doppelt ärgerlich für Sie", sagt die Frau. Und wendet sich wieder ihrem Handy zu.

Moritz Baumstieger

SZ vom 22. Dezember 2017

Tokio

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Tokio

Der Sensō-ji ist Tokios ältester buddhistischer Tempel und schon allein wegen seiner Budengasse vor dem Eingang interessant. Im Gewimmel der Besucher werden Souvenirs und Krimskrams feilgeboten, aber auch Omikuji, papierne Horoskopstreifen, für ein paar Yen. Man schüttelt eine Holzkiste, bis ein Holzstäbchen mit einer Nummer drauf herausfällt, und nimmt eine Vorhersage vom entsprechenden der 100 Stapel. Machen wir, wie lustig. Aber nur, bis der japanische Begleiter vorliest: "Dein Leben mag dir ruhig erscheinen, aber deine Probleme werden immer schlimmer. Deine Wünsche werden nicht erhört. Du erholst dich nicht von einer Krankheit." Äh. Kein Problem, meint der Japaner. Nur gute Aussichten steckt man ein. Die schlechten knotet man gleich hier an eine Schnur. Sollen sich doch die Götter darum kümmern!

Jochen Temsch

SZ vom 22. Dezember 2017

Mitten in Sarajevo

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Sarajevo

Über einen Mangel an Hotelbetten braucht sich niemand zu beklagen in Sarajevo, die Stadt erfreut sich mittlerweile großer Beliebtheit bei Rucksack- und sonstigen Reisenden. Bei der Suche fällt dann gleich dieses zentral gelegene Haus mit den prächtigen Bewertungen auf: Die Gäste loben Lage, Frühstück und Matratzenqualität, die Eigenwerbung spricht vom "ersten und einzigen Boutique-Hostel" der Stadt. Einprägsam ist auch der Name: "Franz Ferdinand" heißt das Haus, benannt nach Österreichs Thronfolger, dessen Ermordung in Sarajevo 1914 den Ersten Weltkrieg auslöste. Wahrscheinlich soll das signalisieren, dass man hier sanft ruht. Die Lust darauf vergeht dann aber schnell, als bei der Wahl des Zimmers die Entscheidung zwischen "Verdun" und "Gallipoli Battle Room" fallen muss. Dann doch lieber nebenan ins "Divan Hotel".

Peter Münch

SZ vom 15. Dezember 2017

Mitten in Chiang Mai

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Chiang Mai

Das Lichterfest Loi Krathong muss mal eine besinnliche Angelegenheit gewesen sein. Heute gehört Chiang Mai, die größte Stadt im Norden Thailands, den Backpackern. Pärchen halten Händchen, Freundinnen kreischen in die Kamera, Reisegruppen springen in die Höhe - alles, während sie eine der traditionellen Laternen steigen lassen. Das funktioniert nicht immer. Die Laternen, beschriftet mit den Wünschen, die man als Paar so haben kann, bleiben nach kurzem Flug im Baum hängen und verbrennen. Andere fallen in den Fluss, auf die Leuchtschiffchen, die hoffnungsfrohe Paare zu Wasser gelassen haben. Als ob das nicht genug wäre, schießen die Jugendlichen von Chiang Mai mit Raketen auf die Laternen. Treffen sie eine, ist das wunderschön: Funken sprühend segelt der Ballon in die Nacht. Für die Zukunft kann das nur Gutes bedeuten.

Charlotte Theile

SZ vom 15. Dezember 2017

Mitten in München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Es ist ja üblich, Schäufelchen und Eimerchen mit dem Namen des Kindes zu versehen. Schnell ist mal etwas von der ganzen Back- und Buddelhilfe vertauscht. Aber einen akademischen Titel sieht man nicht alle Tage auf einem der bunten Plastikwerkzeuge. "Dr. Müller" prangt in akkurater Schrift auf dem erbeuteten Kuchenförmchen, mit dem der einjährige Sohn stolz durch den Sandkasten stolpert. Der promovierte Vater, dessen Sohn das Förmchen gehört, schaut genauso wenig erfreut herüber wie der etwa Dreijährige, der vor einem Haufen weiterer beschrifteter Plastikteile sitzt. Also den kleinen Räuber geschnappt und zum Doktorpapa und dessen Bub zurückbugsiert: "Wollt ihr vielleicht zusammen damit spielen?" Darauf der andere Vater scharf: "Ich glaube nicht. Mein Sohn teilt nicht gerne." Na dann, viel Spaß noch!

Jochen Temsch

SZ vom 15. Dezember 2017

Mitten in München

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Im Süden Münchens, wo die reichen Leute wohnen. Die Sonne scheint golden auf das Laub und verleitet den Fahrradpendler dazu, kurz für ein paar Fotos anzuhalten. Auf einer Bank sitzen zwei Frauen, beide Anfang vierzig, unterhalten sich über die kurzfristige Zukunftsplanung (Abendessen) und schwenken dann zur mittelfristigen Ausgestaltung des Lebens (Scheidung). Wie es nach der Trennung finanziell weitergehe, fragt die eine. Nun, antwortet die Angesprochene, mit durchdringender Stimme, ihr stehe eine Abfindung von ihrem Ex-Mann zu. Doch dummerweise sei der Ehevertrag in der Annahme aufgesetzt worden, dass sie weiterhin Top-Verdienerin sei. "Konnte ja keiner ahnen, dass ich jetzt nur noch ein Normalo-Gehalt bekomme", sagt sie. Man wird schon über die Runden kommen, wir Normalos kriegen das doch auch irgendwie hin.

Sebastian Herrmann

SZ vom 8. Dezember 2017

Mitten in Mexiko City

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Mexiko-Stadt

Schön ist sie nicht, die Kathedrale im Stadtteil Guadalupe in Mexiko-City, sie erinnert an eine kommunistische Veranstaltungshalle. Aber groß ist sie, schließlich kommen jedes Jahr 20 Millionen Pilger zum Gnadenbild der Jungfrau Maria. Im Jahr 1531 soll die Gottesmutter dem Indianer Juan Diego erschienen sein. Die Geschichte hat sich durchgesetzt in Mexiko, das paradoxerweise nicht nur eines der gewalttätigsten Länder der Welt ist, sondern auch eines der katholischsten. So pilgern sie also zur Kathedrale, die Gläubigen aus allen Landesteilen, viele laufen tagelang zu Fuß, tragen Blumen und Bilder mit sich. Das letzte Stück rutschen sie auf den Knien, es sieht schmerzhaft aus. Drinnen endlich das Gnadenbild, hinter dem Altar, die letzten Meter. Dort stehen sie auf - und fahren auf drei Rollbändern an der Gottesmutter vorbei. Soll ja keinen Stau geben.

Katja Auer

SZ vom 8. Dezember 2017

Mitten in Gjendesheim

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Gjendesheim

"Besseggen" bedeutet Sensengrat. Aber so messerscharf, wie es sich anhört, ist der Weg über den bis zu 1700 Meter hohen Bergrücken in Norwegen auch wieder nicht. Schwindelfrei sollte man allerdings sein - rechts und links geht es mehrere Hundert Meter in die Tiefe. Manchmal muss die Bergwacht Leute abholen, die sich panisch an Felsen klammern und weder vor noch zurück können. Auch jetzt ist das Knattern des Rettungshubschraubers zu hören. Er landet direkt neben der Wanderhütte am Fuß des Besseggen. Eine Notärztin und der Copilot steigen gut gelaunt aus und marschieren zum Tresen. "Gibt es einen Verletzten?", fragt der Hüttenwirt. "Ach was, alles gut", antwortet die Notärztin, "wir sind nur hierhergeflogen, um Waffeln zu essen." Das heiße Gebäck ist überregional bekannt. Mit zwei Waffeln und zwei Coffee to fly hebt der Heli wieder ab.

Titus Arnu

SZ vom 8. Dezember 2017

Tel Aviv

Quelle: SZ

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Mitten in ... Tel Aviv

Jedes T-Shirt, jede Hose, jeden Slip: vor zwei Zeugen verpackt, Farbe und Gewicht eingetragen, Wert taxiert, gebraucht angekreuzt. Die Kisten mit Kleidung und Büchern sollten in sechs Tagen in Tel Aviv eingetroffen sein - so das Versprechen. Ist ja ein Expressdienst, und der Umzug von Wien nach Tel Aviv kein kompliziertes Unterfangen, eigentlich. Tag 14, 15, 16. Jeden Morgen die SMS: Warten beim Zoll auf Freigabe. Der Rat nach zig Telefonaten: selbst probieren. Der Cargo-Bereich am Flughafen ist eine eigene - männerdominierte - Welt. Erster Tag: Vier Stunden warten, sechs Stellen, fünf Formulare, morgen wiederkommen. Nächster Tag: Dreieinhalb Stunden warten, fünf Stellen, ein paar Schekel hier und da, elf Formulare. Noch mal: jedes einzelne T-Shirt ... Und dann, ganz plötzlich, sind sie da, die Kisten - ein Gefühl wie Weihnachten.

Alexandra Föderl-Schmid

SZ vom 1. Dezember 2017

Natai

Quelle: SZ

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Mitten in ... Natai

Auf der Eröffnungsparty eines dieser Lounge-Hotels, in denen wohlhabende, sich jung fühlende Menschen nicht nur übernachten, sondern einen Lifestyle vorfinden sollen, kreisen Drohnen über der Tanzfläche. Sie verfolgen die Models, die von thailändischen Designern kreierte Bademode vorführen. Die Party gerät auf seltsame Weise langweilig, denn wer sich beim Feiern nicht nur beobachtet fühlt, sondern beobachtet wird, sogar mit der Gefahr, dass der Kram geteilt und gelikt wird, der bleibt in der Fassade der eigenen Selbstdarstellung. Deswegen tanzen die Gäste so, wie Menschen in Musikvideos tanzen. Die Ungelenken, die Angeschickerten, die Paarungshungrigen, die Alleinstehenden - also die, die eigentlich tanzen sollten - bleiben sicherheitshalber sitzen. Diese Party wird nicht für die Teilnehmenden veranstaltet, sondern für die, die nicht dabei sind.

David Pfeifer

SZ vom 1. Dezember 2017

Malcesine

Quelle: SZ

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Mitten in ... Malcesine

Es war ein herrlicher Tag oben auf dem Monte Baldo mit toller Sicht hinab aufs Kobaltblau des Gardasees. Nun aber das: Unten im Parkhaus der Seilbahn in Malcesine kommt Jacob nicht mehr raus aus dem vermaledeit engen Stellplatz. Der linke Kotflügel des Leihwagens schrammt schon an der Betonmauer. Jeder Zentimeter, den er vor- oder zurücksetzt, macht alles nur schlimmer. Zu Hause in Eilat sind die Parkplätze einfach großzügiger. Was tun? Ratlos steht der Riesenmann neben seinem Auto. Zwei Deutsche und zwei Russen halten. Die Deutschen haben einen Spanngurt im Kofferraum; die Russen wissen, wohin damit. Schnell ist das Seil um den Abschlepphaken geschlungen. Fünf Männer packen an: Deutsche, Russen, ein Israeli, alle ziehen an einem Strang - und schwups ist das Auto von der Wand gezerrt. Bitte: gelebte Globalisierung.

Reymer Klüver

SZ vom 1. Dezember 2017

Mitten in London

Quelle: SZ

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Mitten in ... London

Das London-Gefühl hat sich seit dem Brexit geändert: Wer sich willkommen fühlte, fragt sich jetzt, ob er nicht besser gehen - oder gar nicht erst herkommen sollte. Die Zahl der EU-Krankenschwestern etwa, die ins UK wechseln, ist um 90 Prozent gesunken. Weil ich bleiben will, habe ich ein persönliches Diversity-Programm begonnen. Mein Community-Chor hat Sänger aus zehn Ländern. Und in meinem Community-Fitnesscenter turnen Frauen aus aller Welt. Beispiel: Dance Aerobic. Diana Ross singt auf Double Speed, die schwarzen Frauen tanzen, bevor es losgeht. Eine Araberin im schwarzem Hijab turnt mit Hingabe, eine Frau aus der Karibik mit Kopftuch und Wallekleid hüpft ohne Rhythmusgefühl quer zur Gruppe. Die Mexikanerin kreischt. Und ich? Lache und trauere um das London vor dem Brexit, das ich gern gekannt hätte.

Cathrin Kahlweit

SZ vom 24. November 2017

Mitten in New York

Quelle: SZ

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Mitten in ... New York

Die Rechnung im "Four Horsemen", von zwei alten Freunden zusammengetrunken, die sich lange nicht gesehen haben, beträgt 367 Dollar für Essen und Wein. Die Weinkarte ist originell, alles bio und auch mal aus Georgien. Die Bar gehört James Murphy, der mal die sehr angesagte Musikgruppe LCD Soundsystem betrieben hat. Man zahlt also seine 367 Dollar und summt dazu "New York, I love you but you're bringing me down", diesen fantastischen LCD-Album-Rausschmeißer. Da fällt einem auf, da steht er ja wirklich, mit seinem chewbaccadichten Haar: James Murphy, der nach der Auflösung der Gruppe nun wieder auftritt. Es heißt, die Tour sei für seine Mitmusiker wichtig, weil die nicht so viel Geld mit LCD Soundsystem verdient hätten. Und keine Bar betreiben. Der teure Wein aus Georgien schmeckt übrigens gut, macht aber einen dicken Kopf.

David Pfeifer

SZ vom 24. November 2017

Mitten in Guben

Quelle: SZ

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Mitten in ... Guben

Im Wintergarten eines Eiscafés in Guben sitzt eine sehr, sehr alte Frau. Der große Tisch neben ihr ist frei. Dürfen wir? Sie nickt. Es vergehen 20 Minuten, am großen Tisch wird über alles gesprochen, nicht aber über Polen und die nahe Grenze. "Mit de Polen hab ich nüscht zu tun!", ruft die Frau unvermittelt ins Nichts. "Die klauen wie die Hunde, na klar!" Sie redet und redet nun in einem fort. Man hält mit Gratismut dagegen: Pauschalisierungen doof, Europa gut, usw. Sie unterbricht gleich wieder, denn: So blöd brauche man ihr bitte nicht zu kommen. Sie steht auf, geht, kommt kurz wieder. Ihr Arzt sei übrigens Syrer, mit dem verstehe sie sich hervorragend. Zum Abschied könne sie deswegen nur sagen, was sie auch ihm, dem Arzt, immer wieder sage: "Wenn ich mal sterbe, dann müssen sie meine Fresse schon extra totschlagen."

Cornelius Pollmer

SZ vom 24. November 2017

Mitten in USA

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... New York

Zum Regelwerk des Auslandskorrespondenten gehört der strikte Verzicht auf Pauschalurteile. Deshalb ist der folgende Satz bewusst umsichtig formuliert: Amerikaner können nicht Auto fahren! Das klingt seltsam, ist das Auto doch der Blech gewordene Traum von Freiheit. Realität aber ist: Weil es beim Einparken nicht ohne Schramme geht, behängen Amerikaner ihre Stoßstangen mit riesigen Gummischürzen. Sie fahren so lange weiter, bis jede Kreuzung blockiert ist. Sie mähen Omas und Kinder um, weil es ihr Recht ist abzubiegen - wen schert es, dass auch die Fußgänger Grün haben? Sie wissen nicht, was eine Rettungsgasse ist, und lassen vor der Schule den Motor laufen, auch wenn sie eine Viertelstunde warten müssen. Ach, es wäre unerträglich, rettete uns Deutsche nicht unsere südländische Gelassenheit und unser sprichwörtlicher Humor.

Claus Hulverscheidt

SZ vom 17. November 2017

Mitten In: Adeje

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Adeje

Dieses Hotel, das traut sich was. Schon in der Lobby rumpelt der Rock, in den Fluren hängen BHs von Christina Aguilera und Beyoncé, auf der Dachterrasse legt ein Möchtegern-Elvis Rockabilly auf, wenn er nicht gerade die Autos der Hotelgäste parkt. Zum Frühstück ohrwurmen die Scorpions, am Pool die Strokes, und wer noch nicht genug hat, der schlürft seinen Mojito zum Live-Sound des tätowierten Gitarristen. Dazu bietet das Hard Rock Hotel auf Teneriffa einen besonderen Roomservice an. Keine Groupies, einen Tätowierer auch nicht. Aber eine Fender-E-Gitarre kann man sich aufs Zimmer bestellen, also ab auf die Warteliste. Nach ein paar Tagen kommt das edle Stück, ein Miniverstärker ist auch dabei. Doch er bleibt stumm. Des Rätsels Lösung ist der Kopfhörer. Lauter Rock von den Gästen? Das traut sich das Hotel dann doch nicht.

Bernhard Blöchl

SZ vom 17. November 2017

Mitten in Liblar

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Liblar

Liblar ist ein Ort mit echtem Postamt, natürlich mit langer Schlange. Endlich ist ein alter Mann an der Reihe, graue Faltenhose, graues Hemd, graues Gesicht. "Ich möchte ein Gespräch anmelden", sagt er. Er reicht der Schalterfrau einen Zettel, sie schüttelt den Kopf. "Da müssen Sie zur Telefonzelle." Der Mann schaut verständnislos. "Am Schlösschen", sagt einer der Wartenden. "Am Bahnhof", ein anderer. Der Mann rührt sich nicht. Die Postangestellte schaut auf den Zettel, fünf Zahlen, Ortsgespräch. "Na gut." Sie wählt. Wer sich da melde, will sie wissen. Peter Soundso, murmelt der Alte. "Und wer sind Sie?" "Ich bin der Sohn." Sie runzelt die Stirn, lässt klingeln. Niemand da, "tut mir leid". Doch der Mann bleibt, stützt sich auf den Tresen, starrt auf den Apparat. Er wartet. Da gibt sie auf und weicht an den Nebenschalter aus. Der Nächste, bitte.

Silke Bigalke

SZ vom 17. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Cefalù

Auf Sizilien, die allerletzten Tage der Saison, aber es sind noch genügend Deutsche und Russen da, die sich mühen, ein paar Klischees zu bestätigen. Im Hotel: Ein Ehepaar hatte am Vorabend telefoniert, via Skype. Am Morgen fängt die Zimmernachbarin, hörbar Schwäbin, die Frau ab: "Es war sehr laut. Wir sagen nichts. Nur damit Sie's wissen." Ebenfalls im Hotel: Der Direktor sagt auf der Terrasse einer Yoga-Gruppe hallo. Erster Satz, den er als Antwort erhält: "Dann sind Sie der, falls wir Beschwerden haben." Im Restaurant, in der Altstadt: Ein Klarinettist und eine Sängerin tragen ein paar Lieder vor. Der Russe am Nachbartisch gibt sofort Geld: 50 Euro. Nach einer Viertelstunde wollen die Musiker weiter, da treten zwei Deutsche hinzu. Ob die beiden nicht noch ein Lied hätten? Na gut. Der Russe gibt wieder 20 Euro. Die Deutschen geben Applaus.

Detlef Esslinger

SZ vom 10. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Ein Geschäft für Eheringe an einem Samstagvormittag. Alles glänzt: die Ringe, das Lächeln und die ein bisschen zu weiß polierten Zähne der Verkäufer, die mit französischem Dialekt sprechen und ihre Kundschaft an einen Tisch bitten. Das Pärchen am Tresen nebenan steckt bereits in fortgeschrittenen Verhandlungen, heiraten wollen sie schon gemeinsam, die Eheringe gestaltet aber jeder für sich. Als alles besprochen und ausgewählt ist, Material, Größe, Dicke, Gravur, ein Edelsteinchen hier und da, fasst die Verkäuferin zusammen: 600 Euro für den Ring der Frau, 300 Euro für die Express-Fertigung, das Paar ist leider etwas spät dran. Später gibt's für beide noch je ein Glas Sekt, eine Rose für die Frau, dazu eine kleine Flasche mit ein bisschen zu billigem Sekt. Geht aufs Haus. Ach ja, der Ring des Mannes? Macht dann 68 Euro.

Johannes Knuth

SZ vom 10. November 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Stone Town

Hier also wurde Freddie Mercury geboren. Ein hellgelbes Haus in Stone Town an der Westküste Sansibars. Man riecht den Ozean, Gewürze, Staub, Moped-Irre rasen durch die Gassen. Der große Freddie Mercury: bürgerlich Farrokh Bulsara, Sohn eines indischstämmigen Kolonialbeamten, geboren 1946, als Sansibar noch Sultanat war. An der Fassade ein paar Schaukästen, Konzertfotos. Das war's dann aber auch. Kein Museum. Im Erdgeschoss werden Kissenbezüge und Kerzen verkauft, und je weiter man sich entfernt, desto weniger Menschen wissen, wer Mercury überhaupt ist. Bob Marley, der ist überall. Und der einheimische Popstar Diamond Platnumz mit seinen Golduhren. Mercury verließ Sansibar im Alter von acht Jahren und betrat es, abgesehen von einem kurzen Aufenthalt 1963, nie wieder. Schwule sind hier bis heute nicht willkommen.

Tim Neshitov

SZ vom 10. November 2017

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