Mitten in ...:Zu kalt gebadet

Auch ein Strand bei 30 Grad kann trügen, zeigt sich in Jalta. Und zwei streitende Navis machen die Rückfahrt aus Brügge zur kleinen Hölle.

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Mitten in Jalta

Quelle: Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Jalta

Ein Mann mit Bauch legt seine Brille auf das Handtuch und dreht sich kurzsichtig zur Sonne: Ein wunderbarer Tag! Es ist erst kurz vor neun, aber die versprochenen 30 Grad sind in Kürze erreicht. Der Strand ist noch leer, nur ein blasses Mädchen liest schon mit dem Rücken zur Sonne in einem Buch. Er marschiert ins Wasser - und weicht zurück. Sucht die Sonne im Himmel. Steckt einen Fuß ins Wasser. Den anderen. Nein, es ist zu kalt! Er bleibt am Wasserrand stehen. Zwei gutgebaute Beach Boys laufen an ihm vorbei, als wäre er ein Laternenpfosten, werfen sich ins Wasser. Aber sie springen sofort wieder heraus. Sie fluchen und lachen. Wassertemperatur: 9 Grad. Hat doch auch der Wetterdienst gesagt. Kalte Strömung heute. Aber noch den ganzen Tag über versuchen sie es in Jalta, Dutzende Ungläubige. Und keiner hält es länger als eine Minute aus.

Tim Neshitov

SZ vom 18. August 2017

Mitten in Brügge

Quelle: Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Brügge

Schon die Hinfahrt nach Brügge war die Hölle. Als wollte jemand verhindern, dass die Stadt erreicht wird, versperrten Baustellen den Weg, führten Umleitungen in die Irre, sorgten Straßenschilder für Verwirrung oder blieben einfach aus. Aber nichts gegen die Rückfahrt. Da insistiert das etwas betagte Navi zweimal auf einem Weg, den es derzeit nicht gibt; der zusätzlich gestartete Smartphone-Wegweiser kommt zunächst mit einer Alternativroute - nur um dann doch dazu zu raten, das schon bekannte schwarze Loch anzufahren. Also wüst schimpfen bei 90 km/h, während beide Navis minutenlang plärren "Bitte wenden!" Erst, als sie nach minutenlanger Beschimpfung ignoriert werden, entschließen sich beide Geräte synchron dazu, einen ganz anderen Weg zu offerieren. Denselben obendrein. Anschreien hilft manchmal eben doch.

Milan Pavlovic

SZ vom 18. August 2017

Mitten in Brooklyn

Quelle: Zeichnung: Marc Herold

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Mitten in ... Brooklyn

Er müsste mal kurz aufs Dach, sagt er, und hält einem seine Dienstmarke entgegen. NYPD, New York Police Department. Das beeindruckt, zweifellos. Er ist schwarz, Mitte 40 vielleicht. Also lässt man ihn rein. Das hier ist Crown Heights, Brooklyn. Früher mal eine echt harte Gegend. Früher. "Gefällt es Ihnen hier?", fragt er. Ja, doch, nette Gegend, nette Leute. Er schaut nicht, als wäre er überzeugt. Und was will er auf dem Dach? "Drogendealer gegenüber beobachten." Oh. "Das geht von Ihrem Dach aus besonders gut." Ah, ja? Er klettert durch die Dachluke und knöpft sein Hemd auf. Die kugelsichere Weste kommt zum Vorschein, die Pistole steckt im Halfter. Hinter unserem Schornstein versteckt zieht er sein Fernglas aus einer Plastiktüte. "Und, gefällt es Ihnen hier?", fragt er jetzt. Darüber muss man jetzt doch noch einmal nachdenken.

Thorsten Denkler

SZ vom 18. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten am ... Brenner

Die persönliche Diesel-Krise findet Anfang August auf dem Brenner statt. Das Auto des schlechten Gewissens hat auf Höhe des Gardasees angefangen zu blinken. Irgendwas mit dem Motor. Ist es zu heiß? Eine Abkühlungspause also - für den Motor, nicht für die Insassen, denn die Sonne brennt. Kurz vorm Brenner blinkt es wieder, ein Automechaniker muss her. Eine Stunde später taucht ein gut gelaunter Mann auf, steckt seinen Computer an den Wagen und wirft einem Begriffe entgegen, von denen man noch nie gehört hat. Während man hochrechnet, was dieser Mist wohl kosten wird, kramt er in seinem Werkzeugkasten. Es gebe eine 50:50-Chance, ohne Probleme zurück nach München zu kommen, sagt er. Und schlägt mit einem Hammer beherzt auf den Motor. Die Rückfahrt verläuft ohne Zwischenfälle. In manchen Krisen hilft eben nur Zuhauen.

Julia Rothhaas

SZ vom 11. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Horb am Neckar

Wumms. Und schon liegt alles auf dem Boden der Regionalbahn: drei Plastiktaschen, Isomatte, Schlafsack, Backpacker-Rucksack, Reisetasche und Wurfzelt. "Evangelisches Mädchenzeltlager", sagt die Frau, Mitte 20, Strohhut, Pluderhose, und fällt auf den Sitz neben mir. "Ich werde dort aus der Bibel lesen. Jesus und so, Sie wissen?" "Ja, sagt mir was", meine Antwort. Das ist ihr Startschuss. Mit 15 sei ihr Gott begegnet. Lieber nicht nachfragen, denke ich, starre auf den Boden. "Er sagte mir: ,Ich will Sie kennenlernen.'" Kurzes Stutzen. "Natürlich sagte er Du und nicht Sie." Sie grinst. Ich nicke. So geht es weiter, 40 Minuten lang. Dann plötzlich: Wenn ich wolle, könne sie für mich beten. Jetzt gleich, hier im Zug. Schon faltet sie die Hände, schließt die Augen, setzt zum ersten Wort an. "Endstation", schallt es aus dem Lautsprecher. Gott sei Dank!

Michaela Schwinn

SZ vom 11. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Von einer echten Großstadt aus gesehen ist München ein Dorf, aber von einem echten Dorf aus betrachtet ist München eine Großstadt. Das ist nicht nur Ansichts-, sondern auch Glückssache. Zum Beispiel kann man hier über Jahre wohlbehütet leben. Kommen aber die Eltern aus dem Heimatdorf zu Besuch, wird München plötzlich unfreundlich: Falsche Mönche betteln die Besucher an, und dem Auto werden die Nummernschilder abgeschraubt. Im netten Café sollen die Eltern endlich Münchens nette Seite kennenlernen. Gemütlich ist's. Nebenan bestellt jemand Bier und Schnaps. Bald kommen zwei Polizisten herein und bitten den Mann nach draußen: Festnahme! Kannst du, liebes München, nicht ein einziges Mal nett sein, wenn der Besuch da ist? Es kann. Der Mann kommt doch noch mal herein. "Ich muss da mit", verabschiedet er sich. Und zahlt.

Martin Wittmann

SZ vom 11. August 2017

Mitten in Fatima

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Fátima

Heiligenfiguren in allen Größen und Preisklassen bieten die Andenkenläden im portugiesischen Wallfahrtsort Fátima an. Ein betagtes Pilgerpaar bleibt vor einem der Läden gegenüber dem Hotel "Alleluia" stehen, die Frau ist ganz aufgeregt: Zwischen all den Heiligen hat sie eine barbusige, kniende Frauenfigur entdeckt. "Das gehört ja wohl überhaupt nicht hierhin", sagt sie, Entrüstung in der Stimme. "Und ob!", entgegnet die Verkäuferin. "Das ist die reumütige Maria Magdalena, die Schutzpatronin der gefallenen Mädchen." Jesus habe ihr die Sünden vergeben, deshalb sei es sehr angebracht, sie käuflich zu erwerben, am besten im Doppelpack mit einer Christusfigur, 15 Prozent Rabatt. Der Pilger nickt überzeugt und schickt sich an, Maria Magdalena näher in Augenschein zu nehmen. Doch seine Frau zieht ihn energisch am Ärmel.

Thomas Urban

SZ vom 4. August 2017

Mitten in Berlin

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Im Lieblingschinesen "Good Friends" brennt noch Licht. Ich setze mich an einen Tisch und bestelle Nr. 16, Nr. 30 und ein Bier. Schräg gegenüber sitzt ein anderer Mann, lange graue Haare, runde Brille, Dreitagebart. Ist das nicht Wim Wenders? Er ist nicht direkt ein guter Freund, aber wir haben uns mal halb privat kennengelernt, es war ein anregender Abend. Weil er auch alleine vor seinem Bier sitzt, wage ich es, ihn anzusprechen. Ich: "Sie werden sich nicht erinnern, aber wir haben uns mal eine Pizza in Starnberg geteilt." Er: "Sorry, ich erinnere mich wirklich nicht." Ich: "Nein? Wir haben Ihren Film angeschaut." Er: "Welchen Film?" Ich: "Paris, Texas." Er: "Sie verwechseln mich. Ich bin Dominic Raacke." Immerhin hat der auch was mit Filmen zu tun. Ein wirklich guter Freund von mir ist Augenarzt, ich sollte ihn mal besuchen.

Titus Arnu

SZ vom 4. August 2017

Mitten in Ebersdorf

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Ebersdorf

Ein Sommerabend. Ums Lagerfeuer ein Dutzend Menschen. Halblaute Gespräche, Bier, Weingummi. Die beiden Polizisten, die neben dem Feuer stehen, bemerkt erst niemand. Dann plötzlich Aufregung. Die Beamten teilen mit, Feuer sei in Thüringen seit dem Jahr 2015 verboten, ein Nachbar habe angerufen. Wenn die Feuerwehr anrücken müsse, werde es "richtig teuer". Der Beamte wiegt drohend den Kopf, "das würde ich nicht riskieren". Dass die Feuerwehr informiert sei und alles genehmigt habe, lässt er nicht gelten. "Gesetz ist Gesetz." Dann zeigt er Gnade. Wenn man das Feuer nicht weiter anfache, werde er keine Maßnahmen ergreifen, sagt er - und gibt noch einen praktischen Tipp: Beim nächsten Mal eine Maxi-Feuerschale kaufen und darin Holz und Kohle anzünden. "Dann könnte man sagen: Das ist ein Grill."

Charlotte Theile

SZ vom 4. August 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Pahrump

41 Grad, Staub, flache, ins Schotterbett gepflanzte Häuser. An einem Mittag im Juli wartet bei McDonald's eine Handvoll lebloser Gestalten auf die längst bestellten Burger. Darunter: eine einarmige Frau mit bunten Tattoos, eine kleinwüchsige Dame ohne Zähne, ein Zwirbelbärtiger, ein Cowboy, vielleicht mit Pistole im Halfter - in Nevada darf man das. Fünf Minuten vergehen, zehn, fünfzehn, und mit jeder weiteren wächst die Angst, dass sich die Mitwartenden wie einst in "From Dusk Till Dawn" als Vampire entpuppen und in die Kehlen der Durchreisenden verbeißen werden. Wer bei Google "Was stimmt nicht mit Pahrump?" eintippt, stößt auf einen Mann, der 2008 in den Ort gezogen war und rasch glaubte, auf Tolkiens "Mittelerde" gelandet zu sein. In dem Blog kündigt er an, fortan regelmäßig aus Pahrump zu berichten. Es war sein letzter Eintrag.

Claus Hulverscheidt

SZ vom 21. Juli 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Reykjavik

Warten auf Hafþór im Café Stofan, Downtown Reykjavik. Eine junge Frau starrt seltsam rüber, steht auf, kommt her. "Dich kenn ich doch", sagt sie. "Gestern Abend", Restaurant soundso, "da hab ich bedient." Hä? "Die große Cola, das warst du!" Verlegenes Händeschütteln, wie nett, sich wiederzusehen. Dann kommt Hafþór, eine blonde Frau stoppt am Tisch, die beiden diskutieren angeregt auf Isländisch. "Meine Cousine", entschuldigt sich Hafþór. Die Cousine streckt die Hand aus: "Wir kennen uns doch!" Stimmt, die Frau ist Anwältin, Interview vergangenen Herbst zum Verfassungsreferendum. Später vor dem Café, Hafþór möchte sich gerade verabschieden, da stoppt ein Radfahrer. "Ein Onkel von mir", sagt er. Der Onkel grüßt: "Bis du nicht die, die am Mittwoch bei Sara mit zum Abendessen war?" Stimmt. Island ist klein. Sehr klein.

Silke Bigalke

SZ vom 21. Juli 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ...Töging

Hoppla, jetzt hat sich ein anderer Herr auf den schönen Platz gesetzt. Scheint ein wichtiger Mensch zu sein, denn offenbar traute sich ihm kein Sitznachbar zu sagen, dass dieser eine Sitz im Stadion schon belegt sei. Darf man sich ja nicht entgehen lassen, wenn der örtliche Fußballklub in die Landesliga startet. Ach, das ist doch - ja, das Gesicht vom Wahlplakat. Schön, dass er für den Freizeitfußball Zeit findet. Da kommen zwei Buben. "Eine kleine Spende für die Jugendkasse, bitte." Der Wichtige verbirgt vor den Buben die Münze, die er generös wie ein reicher Onkel in ihre Kasse wirft. Aber von den Plätzen daneben sieht man sie. Es ist: ein Cent. In der Halbzeit begrüßt der Stadionsprecher "unseren Bundestagsabgeordneten" zum Interview vor der Tribüne. Der edle Ein-Cent-Spender antwortet souverän. Aber irgendwie klingt's billig.

Rudolf Neumaier

SZ vom 21. Juli 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Tokio

Die Visitenkarte ist in Japan das Gesicht eines Menschen. Sie jemandem achtlos oder zerknittert zu überreichen, ist so unhöflich, wie unfrisiert anzukommen. Überreichen muss man die Karte mit beiden Händen und einer angedeuteten Verbeugung. So nimmt man sie auch entgegen - und studiert sie lange. Richtig schlimm aber ist es, überhaupt kein Meishi zu haben, wie die Karten hier heißen. Das ist dann fast, als wäre man nackt unterwegs. Aber im Land der Verkaufsautomaten gibt es für jedes Problem überall eine Lösung. Auf dem Gipfel des Fuji zum Beispiel stehen Getränke-, Gemüse-, Reis- und Glübirnen-Automaten, in vielen Waschsalons gab es vor dem Zeitalter des Smartphones Pornohefte, und am Bahnhof Shinjuku kann man, welch Glück, für umgerechnet acht Euro am Automaten 30 Instant-Meishi drucken.

Christoph Neidhart

SZ vom 21. Juli 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Makadi

Manfred strahlt. Viel los heute in seiner Strandbude an der Makadi Bay am Roten Meer. Alle fünf Plätze sind besetzt, Urlauber halten ihre Füße in Wasserbassins, ein Schwarm Garra Rufa fällt über sie her. Überraschtes Quieken, Fischpediküre mit Saugbarben ist gewöhnungsbedürftig. Im Regal steht Manfreds abgegriffenes Wörterbuch Arabisch-Deutsch. Manfred ist Ägypter, und er ist ein Sprachtalent, weltoffen, neugierig. Innerhalb kurzer Zeit hat er Deutsch gelernt durch Zuhören. Sogar die Dialekte kann er, "Servus". Zwischentöne beherrscht er und auch Ironie - deshalb hat er sich einen der bescheuertsten deutschen Vornamen zugelegt. Sein arabischer Name, findet er, ist für Touristen zu schwierig. Er kennt alle Sehenswürdigkeiten in Deutschland. Will er mal hin? Da wird Manfred ernst: "Für Muslime ist das zu gefährlich bei euch."

Ulrike Heidenreich

SZ vom 21. Juli 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Geburtstag, kein runder, deshalb nur ein paar Freunde eingeladen und die Nachbarn mit der aus Uni-Zeiten bewährten Floskel vorgewarnt, dass es lauter werden könnte. Doch so einfach ist das nicht, nicht hier. Schon am Nachmittag klingelt ein Mann im Unterhemd und kündigt an, die Polizei zu rufen, die Hausverwaltung sei schon eingeschaltet. Und der Zettel am Briefkasten mutiert zur analogen Facebook-Wand. "Feier an der Isar!", klingt noch wie ein väterlicher Rat, allerdings schüttet es. Deutlicher und mit den typischen orthografischen Fouls versehen ist der Beitrag einer zweiten Partei: "Ab 22 Uhr Nachtruhe einhalten. Das heißt ab 22 Uhr Musik leise drehen. Alle andere ist Ruhestörung. Kann zu Anzeige führen." Es tanzt also später niemand, der Hausfrieden ist gewahrt. Aber den nächsten Geburtstag feiere ich am Rhein.

Sebastian Fischer

SZ vom 21. Juli 2017

Hamburg

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hamburg

Wie wär's mit einer winzigen Pause, Hamburg? Tagelang kreisten Geschwader von Helikoptern über unseren Dächern, und es stand zu befürchten, dass so ein Ungetüm auf dem Balkon landet. Kaum ist der Hubschrauber- und Sirenenwahnsinn von G 20 jetzt weitgehend abgestellt, da wird wieder die halbe Stadt aufgesägt, aufgehämmert und aufgebohrt. Am Feierabend nun plötzlich: Stille. Herrlich. Fenster auf. Dann beginnt schon wieder der Querflötenmann im Zentrum, den hat auch G 20 nicht gestört. Er spielt "Griechischer Wein", es hallt durch die Straßen, und der Glockenturm läutet "Yesterday" oder so. Fenster zu. Irgendwann: Ruhe. Eine Minute, zwei. Fenster auf. Bis der Saxofonist kommt und "Michelle" spielt sowie die Filmmusik von "Titanic", letztere im Duett mit dem Flötisten. Ich wünsche mir ganz kurz wieder einen Hubschrauber.

Peter Burghardt

SZ vom 14. Juli 2017

Rio

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Eine schreckliche Kältewelle hat Rio de Janeiro heimgesucht. Die sibirischen Julitage 2017 brechen derzeit wirklich alle Negativrekorde. Tatsächlich ist es so kalt, dass manche Taxifahrer freiwillig die Klimaanlage abstellen. Eltern mit Handschuhen bringen Kinder in Skianzügen zur Kita. Auf Geburtstagsfeiern wird statt halbgefrorenem Bier Glühwein ausgeschenkt. Die Bäcker backen Lebkuchen. Die Apotheken informieren über Grippeschutz in der kalten Jahreszeit. Weil viele Cariocas aufgrund der widrigen Witterung ihre Häuser nicht mehr verlassen, fallen Geschäftsmeetings und Bolzplatz-Verabredungen aus. Wer trotzdem an den Strand geht, muss ein verrückter Ausländer sein. Laut einem Frostbericht der Zeitung O Globo sind die Temperaturen am bislang eisigsten Tag des Jahres in ganz Rio nicht über 21,3 Grad geklettert.

Boris Herrmann

SZ vom 14. Juli 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Kopenhagen

Kann nur schiefgehen, wenn der naive Provinzling sich in den Kopenhagener Meatpacking District verirrt. Dabei hatte es gut angefangen: Hinter dem Tivoli Richtung Vesterbro abgebogen und rein in die ultrahippen Hinterhöfe der alten Schlachterei, wo ein Laden namens "Fleisch" ebensolches vortrefflich serviert. Nach dem Essen auf die Hauptstraße getaumelt, plötzlich steht da diese Frau: übercool gekleidet, Gewinnergrinsen, kurzer Blick, "Hej", dann auf Englisch: "Willst du was machen?" Leider kommt in diesem Moment, in jenem Sekundenbruchteil, in dem eine filmreife Antwort vonnöten ist, nur ein karges: "Nein. Bin okay!" Wirklich saublöd. Aber da ist es schon zu spät, weg ist sie. Dann erst dämmert im Smørrebrød-gesättigten Hirn die Erkenntnis: Die Dame meinte es zwar gut - aber sie wollte eben auch ein paar Kronen verdienen.

Jonas Beckenkamp

SZ vom 14. Juli 2017

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Quelle: Illustration: Marc Herold

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Mitten in ... Duisburg

"Noch zwei Bier", sagt der Japaner am Tisch nebenan im Zugrestaurant, und natürlich ist das seine Sache. Er spricht schon ein bisschen zu laut mit seiner weiblichen Begleitung. Aber man will ja auch nicht gleich wieder anfangen mit diesem Klischee, dass Japaner keinen Alkohol vertragen. Die Landschaft zieht vorbei, es ist eine Fahrt ohne Störungen. "Noch zwei Bier", sagt der Japaner. Hat er im Deutschkurs keinen anderen Satz gelernt? Seine Sache, wie gesagt. Und vielleicht hat sein glasiger Blick ja auch gar nichts zu bedeuten. Bäume, Felder, Städte ziehen vorbei - im Blick aus dem Fenster kann man versinken wie in einem guten Film. Plötzlich, ungefähr auf Höhe Duisburg, macht es "Rumms!". Der Japaner liegt neben dem Tisch am Boden. Mühsam hangelt er sich auf seinen Platz zurück. Der Kellner kommt. Der Japaner sagt: "Noch ein Bier."

Thomas Hahn

SZ vom 7. Juli 2017

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Quelle: Illustration: Marc Herold

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Mitten in ... Brixen

Wenn der Deutsche an Brixen denkt, dann denkt er an Südtirol, Schinken, Schnaps. Der gut informierte Deutsche weiß noch, dass Brixen an dem Eisack liegt. Aber wer weiß schon, dass der Hofer Andreas (der Südtiroler nennt zuerst den Nachnamen) 1809 die Bayern aus Brixen vertrieben hat? Oder dass der Brixener Bischof Poppo 1048 Papst geworden ist? Dass Brixen einen schönen Dom hat? In diesem Dom gibt es eine Pinnwand, an die man seine Wünsche an Gott heften kann. Darunter: Bitten, dass die kranke Frau wieder gesund werde oder Flüchtlinge gut aufgenommen würden. Oder: ein Dank an Gott, "dass alle gestorbenen Leute bei dir im Himmel gut aufgehoben sind". Schließlich: "Lieber Gott, mach, das ich der berühmteste, beste, reichste Hollywoodschauspieler werde und den Oscar kriege." Wir bitten dich, erhöre ihn.

Gerhard Fischer

SZ vom 7. Juli 2017

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Quelle: Illustration: Marc Herold

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Mitten in ... Penedo

Nordwestlich von Rio gibt es einen Ort namens Penedo, wo das Postamt nicht Correios heißt, sondern Posti. Er vermarktet sich als Klein-Finnland in Brasilien. Der Überlieferung zufolge errichteten Migranten aus Helsinki hier vor knapp 90 Jahren die erste Sauna im tropischen Atlantikwald. Die Cariocas aus der nahegelegenen Strandstadt schätzen Penedo vor allem für sein kulinarisches Angebot. Die tropikalisierten Finnen haben sich auf die Forellenzucht sowie auf den ganzjährigen Verkauf von Schokonikoläusen und Adventsnippes spezialisiert. Es gibt: "Tonttulakki, 100 Prozent belgische Schokolade aus der einzigen finnischen Kolonie in Brasilien." Beliebt sind auch italienische Teigwaren und französische Crêpes. Finnland, das ist hier ein weit gefasster Begriff für einen fernen, kalten Kontinent, auf dem immer Weihnachtsstimmung herrscht.

Boris Herrmann

SZ vom 7. Juli 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Istanbul

Kind müsste man sein. Dann darf man in der Türkei einfach alles. Mit großen Augen den Straßenbahnfahrer anschauen, schon öffnet sich die Glastür zum Führerstand. Große Hand greift kleine Hand zur Begrüßung, Merhaba! Die Türen schließen sich, die Bahn fährt los. Am Steuer nun: eine Fünfjährige.

Ebenso schnell erobert auf diese Art: das Polizei-Motorrad, die Küche im Fischrestaurant und neulich sogar das Herz des Messerkünstlers Herr Hakan, des Metzgers in der Nachbarschaft. Herr Hakan öffnet den Kühlschrank. Oben hängt, was vom Rind übrig ist. Unten liegen die Knochen. Von Angst keine Spur, dafür Bewunderung für Herrn Hakan, das große Messer und den Fleischwolf. Schwupps hebt er die Kleine auf die Arbeitsplatte, in ihren Straßenschuhen. Sie soll das Hackfleisch machen. Vorschriften? Was für den Fleischwolf!

Mike Szymanski

SZ vom 30. Juni 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Astypalea

Kleine Insel, Sandstrand, türkises Wasser, übergossen von warmem Spätnachmittagsgold. In der griechischen Bucht ankern zwei bemalte Fischerboote. Wir schnorcheln an den Felsen am Rand der Bucht entlang und zeigen einander kleine Fische. Vielleicht gibt's im etwas tieferen Wasser ja größere Fische? Tatsächlich. Da, ein Rochen! Aber warum liegt der auf dem Rücken? Daneben ein fliegender Fisch. Ein kleiner Babyhai grinst vom Sandboden hoch, zwei meterlange Neunaugen, mehrere Rochen, alle mit dem Bauch nach oben treibend, das Fleisch strahlend weiß. Ein riesiger Fischfriedhof.

Es ist der heutige Beifang der beiden bemalten Fischerboote, achtlos über Bord geworfen. Abends beim Essen google ich "Fische Mittelmeer". 93 Prozent der Bestände überfischt. Auf der Karte des Restaurants: sechs frische Fischgerichte.

Alex Rühle

SZ vom 30. Juni 2017

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Altenmarkt

Brite heiratet Bayerin. Der Organist spielt Mendelssohn; als das Paar in Frack und weißer Spitze die Kirche betritt, schniefen sofort die Ersten. 230 Gäste haben sich in die Bankreihen gezwängt, mit fantastischen Hüten, mit glänzender Abendgarderobe, mit Dirndl, mit Schottenrock. Wilde Mischung. Trotzdem: Die zwei in der letzten Reihe passen irgendwie nicht ins Bild. Freundliches Rentnerpaar, seniorenbeige Jacken über frisch Gebügeltem. Als der Pfarrer vorn in tiefbayerischem Englisch vermählt, schnäuzen sich die zwei hinten leise.

Anschließend stellen sie sich abseits in die Sonne und beobachten, wie das Brautpaar 230 Glückwünsche entgegennimmt. Viel Zeit für Fragen also. Nein, die Braut kennen sie nicht, nein, den Bräutigam auch nicht. Schelmisches Lächeln. "Aber wir gehen gern auf Hochzeiten. Das hält die Liebe jung."

Laura Hertreiter

SZ vom 30. Juni 2017

Mitten in Wien

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wien

Man soll ja vorsichtig sein mit Klischees, besonders als Deutscher in Österreich. Was aber die Wiener zum Abschied der SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit aufbieten, ist an Charme und Liebreiz kaum zu überbieten. Der Bundespräsident spricht warmherzig, der bekannteste Nachrichtenmoderator rührt die Herzen, André Heller singt im Chor, und dann kommt auch noch der Bundeskanzler zu später Stunde und ergreift das Wort. Das Problem: Im Heurigen-Garten, umgeben von Wohnhäusern, sollte eigentlich ab 22 Uhr Ruhe herrschen. Prompt öffnet sich also eine Balkontür, und von oben zischt es herab. Betretene Gesichter in der Festgemeinde, einer versucht dem Protestrufer die Größe des Augenblicks zu vermitteln: "Der Kanzler spricht!" Was man im 16. Bezirk von den Autoritäten hält, kommt ansatzlos zurückgeschossen: "Des is ma wuascht."

Stefan Kornelius

SZ vom 23. Juni 2017

Mitten in Dresden

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Dresden

Sommer ist, wenn die Dealer aus ihren Hauseingängen treten und Verborgenheit wieder unter freiem Himmel suchen. In Dresden kommen dafür die Elbauen infrage, etwa ein Streifen am Rande der sündigen paar Quadratmeter im Stadtteil Pieschen. An einem normalen Werktag wechselt dort gleich zu Beginn einer Begegnung ein Päckchen Gute Laune die Hand. Man luschert interessiert von der Nachbarbank, endlich mal was los hier. Lieferant und Kunde unterhalten sich freundlich, auf den Smalltalk folgt das Finanzielle. Der Kunde holt einen knittrigen Überweisungsträger hervor, es fehlt nur noch die Unterschrift. Er schmiert sie hin, noch ein Handschlag, die jungen Herren gehen auseinander. Man geht ebenfalls und ist nun voll wundersamer Verwunderung: Mensch, so ein richtiger Überweisungsträger, aus Papier, ist doch unglaublich.

Cornelius Pollmer

SZ vom 23. Juni 2017

Mitten in Amsterdam

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Amsterdam

Fantastischer Plan, geradezu naiv: ein Low-Budget-Hostel mit Familienzimmer, Amsterdamer Stadtrand, so lässt sich in Ruhe Geld sparen. Ernüchterung in der Lobby: Betrunkene Deutsche grölen: "Heuuutt Abend geh'n wir in den Puff." Andere stehen mit Bierflasche beim Einchecken, und in einem Sessel sitzt ein wirklich sehr umfangreicher Mann mit T-Shirt-Aufdruck "Ich bin nur zum Saufen da". Geht's denn noch? Derweil zupft der elfjährige Sohn an einer Visitenkarte des Red-Light-Districts, die an der Rezeption herumliegt. Nur so halt. Discount-Preise für Besuche in 15 Nachtklubs. Ich lege sie dezent zurück. Im Hostel-Lift dann der exzellente Hinweis auf die Frühstücksampel für den Morgen: "Rush Hour ab 9.30", aber wir sind schneller - und haben den ganzen Saal für uns allein. Und dann auf ins Reichsmuseum: Die Nachtwache, bitte!

Frank Nienhuysen

SZ vom 23. Juni 2017

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